Das ARD-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel wurde am Sonntag von lautstarken Protesten begleitet. Philipp Ruch, Gründer des Künstlerkollektivs „Zentrums für Politische Schönheit“ (ZPS) verteidigte die Aktion am gegenüberliegenden Spreeufer. „Die AfD hat keinerlei Anrecht auf ein ‚Sommerinterview‘. Was wir machen, wurde damals nicht einmal mit der NSDAP gemacht“, sagte er der „Welt“.

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Laut Rundfunkstaatsvertrag habe die AfD zwar ein Recht auf Berichterstattung über sich in der „Tagesschau“, aber keinen Anspruch auf ein solches Interview, erklärte Ruch. Wie das Kollektiv vom Zeitpunkt der Aufzeichnung erfahren hat, wollte er nicht verraten. Den im ARD-Interview geäußerten Vorwurf Weidels, das ZPS erhalte staatliche Fördergelder, wies Ruch gegenüber der „Welt“ zurück.

Die AfD hat keinerlei Anrecht auf ein ‚Sommerinterview‘.

Philipp Ruch, Gründer des Künstlerkollektivs „Zentrums für Politische Schönheit“

Auch die Kritik, dass die Störaktion nur der AfD nutze, weil die Öffentlichkeit nun darüber diskutiert, anstatt über die Aussagen der AfD-Parteichefin, wollte er nicht gelten lassen. „Nur Hartgesottene stellen noch infrage, dass es sich um eine durch und durch rechtsextreme Organisation handelt, die sich als Partei tarnt“, wird Ruch zitiert. Damit eine solche Aktion nicht wieder vorkommt, will die ARD jetzt Maßnahmen ergreifen.

ARD will Maßnahmen ergreifen

„Ein ungestörter Ablauf der Interviews ist in unserem Interesse und vor allem im Interesse des Publikums, daher werden wir aus der Sendung Schlüsse ziehen und in Zukunft Vorkehrungen treffen“, teilte eine Sprecherin des ARD-Hauptstadtstudios auf dpa-Anfrage mit. Details nannte sie nicht.

„Wir bedauern, dass das Interview durch die akustische Protestaktion teilweise schwer zu verstehen war“, sagte die Sprecherin. Das werde intern ausgewertet. Bis zum Beginn der Sendung sei die Protestaktion nicht bekannt gewesen.

Das ARD-„Sommerinterview“ mit der rechtsextremen AfD-Chefin war im Lärm einer Gegendemonstration fast untergegangen. Das Open-Air-Gespräch im Berliner Regierungsviertel wurde von Protesten mit Trillerpfeifen, Hupen und Anti-AfD-Slogans vom anderen Spreeufer begleitet. Dort standen eine kleinere Gruppe Demonstranten sowie ein Bus. Das Fahrzeug gehört dem Künstlerkollektiv ZPS und hat extrastarke Lautsprecher an Bord.

Störer beim Weidel-Interview: Demonstranten und der Bus mit Lautsprecher am Spreeufer.

© Reuters/Liesa Johannssen

Phasenweise musste sich die Parteivorsitzende nach vorn beugen, um die Fragen von Moderator Markus Preiß zu verstehen. Preiß sprach anschließend im Livestream der ARD von verschärften Bedingungen. Man habe sich teilweise kaum verstehen können.  

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Die ARD versuchte zwischenzeitlich, dem Lärmpegel durch Anpassung der eigenen Tontechnik Herr zu werden, was die Probleme allerdings nicht löste. „Ich habe jetzt ein Echo auf dem Ohr, jetzt geht gar nichts mehr“, sagte Alice Weidel nach zehn Minuten.

Ein Chor aus Augsburg lief vom Band

Deutlich schlimmer wurde es noch, als aus den Boxen des Busses ein weiblicher Chor in Endlosschleife ertönte. Er bestand aus lediglich zwei Wörtern: „Scheiß AfD“. Eingesungen hat sie der „Corner Chor“ aus Augsburg.

Ich habe jetzt ein Echo auf dem Ohr, jetzt geht gar nichts mehr.

AfD-Chefin Alice Weidel beim gestörten ARD-Sommerinterview

Seinen Bus hat das Zentrum für Politische Schönheit auf den Namen „Adenauer SRP+“ getauft. Es handelt sich um einen umgerüsteten Gefangenentransporter.

Im Februar war er von der Berliner Polizei am Rande einer Demonstration beschlagnahmt, nach einer Woche jedoch wieder dem Besitzer übergeben worden. Die Polizei hatte das Fahrzeug zunächst als „verkehrsunsicher“ eingestuft. Unter anderem war eine Schlussleuchte beschädigt.

Schwierige Kommunikation: Alice Weidel (links) und ARD-Moderator Markus Preiß.

© Reuters/Liesa Johannssen

Am Sonntag sagte ein Sprecher der Berliner Polizei auf Nachfrage, es sei ein lautes Lied „mit den technischen Einrichtungen des sogenannten Adenauerbusses“ abgespielt worden. An dieser Aktion hätten sich 40 Personen beteiligt. Die Polizei habe die nicht angemeldete Aktion nach etwa 30 Minuten beendet. Festnahmen habe es nicht gegeben.

Die ARD veröffentlichte im Nachgang zur Sendung einen Faktencheck, in dem sie die Aussagen Weidels auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfte. Unter anderem nannte Weidel demnach eine grob falsche Zahl zu ausreisepflichtigen Syrern.

AfD-Anhänger wittern Absicht

Im Netz empören sich AfD-Anhänger nicht nur über die Demonstranten, sondern äußern auch Verschwörungstheorien über die ARD. Womöglich habe der Sender den Lärm genauso gewollt oder gar inszeniert, heißt es. Manche AfD-Anhänger vermuteten, die ARD habe am gegenüberliegenden Spreeufer Mikrofone installiert, um deren Tonspuren über das Interview zu legen.

In der AfD wird indes eine Wiederholung des ARD-Sommerinterviews gefordert. „In einer solchen Situation hätte die ARD für ein faires, ungestörtes Interview ins Studio ausweichen müssen“, sagte der Vize-Fraktionschef im Bundestag, Markus Frohnmaier, dem Nachrichtenportal „Politico“. „Ich erwarte, dass das Gespräch unter fairen Bedingungen wiederholt wird.“

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Weidel selbst kritisierte die Protestaktion vom Sonntag ebenfalls: „Es ist für die Debattenkultur in unserem Land nicht zuträglich, die Presse- und Informationsfreiheit derart anzugreifen. Dafür habe ich keinerlei Verständnis“, sagte sie dem Portal. „Die AfD und meine Person werden sich von solchen demokratiefeindlichen Aktionen nicht einschüchtern lassen.“

Die Berliner Polizei leitete zwei Ordnungswidrigkeitsverfahren. Diese richten sich gegen eine 64-Jährige und einen 39-Jährigen, da die Aktion nicht angemeldet gewesen sei, teilte die Polizei am Montag mit. Laut Polizei beeinträchtigten die Schallemissionen sowohl den Verkehr als auch die öffentliche Ordnung.

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Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte ein Sprecher des Aktionskünstlerkollektivs hingegen, es seien von der Polizei keine Maßnahmen ergriffen worden, und man habe sich mit den zuständigen Behörden abgestimmt. Zum Ablauf der Aktion teilte die ironisch auftretende Gruppierung mit, eine Person sei auf Toilette gewesen und habe vergessen, „das Autoradio am Adenauer SRP+ abzustellen“.

Das Künstlerkollektiv bittet im Netz unterdessen um Spenden, um den Dauerbetrieb des Busses zu ermöglichen. Das Geld werde für Versicherung, Wartung und Betrieb des Fahrzeugs benötigt, allerdings auch für „juristische Auseinandersetzungen mit der Polizei Berlin und der Landesregierung“. (mit dpa, epd)