An Adolf Hitlers 56. Geburtstag gibt es in Stuttgart selbst für Nazis nichts mehr zu feiern. Abends rollen französische Panzer in Plieningen ein. Damit hat die braune Tyrannei ein Ende. Das letzte Todesopfer des nationalsozialistischen Regimes ist wohl der Landwirt Karl Bauch aus Stammheim. Er kutschiert Weizen zur Mühle nach Schwieberdingen. So erzählt es der ehemalige Stadtarchivdirektor Hermann Vietzen. Auf der Rückfahrt passiert Bauch einen französischen Vorposten, wird kurz danach von einem Leutnant der Wehrmacht angehalten und nach dem Verhalten der anrückenden Feinde gefragt. Der Bauer erwidert leutselig: „Ha, das ist nicht so schlimm. Ich habe bereits mit den Franzosen in Schwieberdingen ein Glas Bier getrunken.“ Daraufhin erschießt ihn der Leutnant.

Bis zuletzt Durchhalteparolen in den Nazi-Blättern

An jenem Tag erscheint der „NS-Kurier“ in Stuttgart zum letzten Mal. „Trotz alledem“, steht in der braunen Postille zu lesen, „auf den Trümmern unserer schönen Stadt hat zu stehen ein standhaft Herz.“ Falls noch irgendjemand Notiz davon nimmt, muss ihm der Satz wie Zynismus übelster Sorte erscheinen. Von der „schönen Stadt“ sind 4,9 Millionen Kubikmeter Schutt und Trümmer geblieben. 80 000 Wohnungen sind ruiniert. Führende Nazis demonstrieren, was sie persönlich unter einem standhaften Herzen verstehen: Sie machen sich aus dem Staub, noch bevor alliierte Truppen am Schlossplatz aufmarschieren.

Nach der finalen Ausgabe der im okkupierten Tagblatt-Turm produzierten NS-Gazette herrscht erst einmal Funkstille in der Stadt. Zeitungen dürfen vorerst nicht mehr erscheinen. Bevor der Krieg offiziell zu Ende ist, regen sich allerdings schon Vorboten eines politischen Neuanfangs. Ende April und in den ersten Maitagen des Jahres 1945 formieren sich „Kampfbünde“, die „aufbauwillige und nazifeindliche Kräfte“ vereinen. Am 7. Mai, dem Tag vor der deutschen Kapitulation, wollen sie die Erstausgabe einer neuen Zeitung in Umlauf bringen. „Stuttgarter Aufbau“ soll sie heißen.

Josef Eberle mit Bundespräsident Theodor Heuss auf dem Dach des Pressehauses, dem Tagblatt-Turm. Foto: StZ

Doch die französische Militärregierung stoppt den Druck. Zehntausende Exemplare, die schon fertig sind, werden illegal verteilt. Politisches Engagement wollen die Siegermächte nicht dulden. Die Deutschen sollen sich erst einmal als Besiegte fühlen. Das ändert sich zunächst auch nicht, als am 8. Juli 1945 die Amerikaner das Regiment in der Stadt übernehmen. Colonel William W. Dawson, Militärgouverneur der US-Army in Stuttgart, betont in einer Ansprache, „dass jede politische Betätigung zur Zeit verboten ist“. So ist es auch in der Direktive JCS 1067 nachzulesen, einer Art Masterplan für die amerikanische Besatzungspolitik.

Erst auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 vereinbaren die Siegermächte, „die endgültige Umgestaltung des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage vorzubereiten“. Jetzt kann auch wieder eine Zeitung erscheinen – vorerst aber nur unter amerikanischer Regie. Im August lässt die US-Army eine Art Amtsblatt drucken: Die „Stuttgarter Stimme“ verstummt aber schon nach sieben Ausgaben.

Die Amerikaner suchen neue Journalisten

Hinter den Kulissen suchen die Amerikaner verlässliche Journalisten, denen sie die Neugründung einer unabhängigen Zeitung anvertrauen können. Sie werden dabei von Helmut Cron beraten, dem früheren Chefredakteur des Mannheimer Tageblatts, den die Nazis abgesetzt hatten. „Die neue Zeitung sollte den Stil der guten journalistischen Tradition fortsetzen“, schreibt Cron. Sie sollte schlicht Stuttgarter Zeitung heißen. Diesen Titel hat sich der amerikanische Presse-Offizier John H. Boxer ausgedacht. Im Vorfeld gibt es noch Streit, weil die Amerikaner sich gegen einen Leitartikel auf der Titelseite sperren. Der habe früher im „Stuttgarter Neuen Tagblatt“ jedoch immer dort gestanden, argumentiert Cron. Ein Meinungsbeitrag an exponierter Stelle sei als Signal zu verstehen, dass hier nichts „amerikanisch diktiert“ werde. So kommt es dann auch.

Die Lizenz für das neue Blatt wird drei höchst ungleichen Herren anvertraut: Josef Eberle, Henry Bernhardt und Karl Ackermann. Eberle ist eigentlich ein Radiomann. Bernhard war zu Weimarer Zeiten Privatsekretär des Außenministers Gustav Stresemann. Ackermann hatte wegen seiner Nähe zur Kommunistischen Partei im KZ gesessen. Die Wege der Herausgeber trennen sich rasch wieder: Eberle bleibt bis 1971 Patron der Stuttgarter Zeitung. Bernhard gründet 1946 die „Stuttgarter Nachrichten“. Ackermann gibt später den „Mannheimer Morgen“ heraus.

„Es geht vorwärts!“ ist sein Leitartikel in der ersten StZ-Ausgabe betitelt. Sie erscheint am 18. September 1945, umfasst zunächst nur sechs Seiten, wird aber in einer Auflage von 400 000 Exemplaren gedruckt. Die neu erlangte Pressefreiheit sei „das beste Mittel gegen jenen Pessimismus unserer Landsleute, der in den Ruinen unserer Heimat die Hoffnung auf eine bessere Zukunft begraben sieht“, schreibt Ackermann. Nichts bekunde deutlicher die „ehrliche Absicht, mit dem Nazismus fertig zu werden“, als ein „vernünftiger Gebrauch“ dieser Freiheit, die später zu einem Grundrecht werden sollte.