Frau Ruck-Schröder, Sie haben zu Ihrem Amtsantritt gesagt, dass Sie sich gegen die Mutlosigkeit in der Kirche einsetzen und dabei neue Wege gehen wollen. Mut ist gut, aber wie wollen Sie das machen?
Adelheid Ruck-Schröder: Wir müssen „Ja“ dazu sagen, dass sich Dinge verändern und dass sich Kirche verändert. Die Menschen haben heute andere Fragen. Wir müssen mehr danach fragen, was Menschen von uns erwarten und wie Menschen ticken. Darauf habe ich Lust. Ich will Menschen danach fragen, was sie von uns erwarten und wie sie ticken. Wir müssen Stärken der Kirche wiederentdecken. Die Kirche ist nach vorn ausgerichtet, weil Gott ein Gott der Hoffnung ist.
Aber die Freikirchen erstarken, während die Amtskirche schrumpft. Die Frage des Glaubens ist relevant, aber die Kirche bringt ihre Anliegen nicht rüber.
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Ruck-Schröder: Der Glaube hat immer etwas mit Lebenspraxis zu tun. Wie kann er mir dabei helfen, mein Leben interessanter zu gestalten und auch in Krisen gut voranzukommen? Freikirchen gelingt das auf ihre Art. Die Mitgliederkommunikation ist für uns ein wichtiges Thema. Und das nicht als Trick, sondern als Begleitung. Was erwartet ihr? Wie können wir digital auf unser Angebot hinweisen?
Sind Sie persönlich denn auf TikTok unterwegs und auf Instagram?
Ruck-Schröder: Da müssen wir dran arbeiten. Die Kirchen müssen auf TikTok präsent sein, weil die Jugendlichen da sind. Wir sind da nicht, da müssen wir uns besser aufstellen.
Besteht da nicht die Gefahr, dass die klassischen Gottesdienstbesucher sagen: Jetzt ist die Präses auch noch auf diesem TikTok unterwegs! Die läuft dem Zeitgeist nach.
Ruck-Schröder: Die alteingesessenen Kirchenmitglieder wünschen sich, dass ihre Kirche mit möglichst vielen kommuniziert, auch mit den jungen Menschen. Mit ihren Kindern und Enkeln. Das sehe ich viel positiver.
Die Kirche leidet doch aber unter Finanz- und Personalmangel. Jede Stelle steht auf dem Prüfstand.
Ruck-Schröder: Es ist nicht einfach so, dass wir jede Menge Stellen streichen. Wir haben auch die Herausforderung, gute Leute für kirchliche Arbeit zu gewinnen. Dass Kirche ein attraktiver Arbeitgeber für viele verschiedene Berufe ist, nicht nur für Pfarrer und Pfarrerinnen. Wir haben genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber wenn wir an die Hochschulen und Bildungseinrichtungen schauen, sehen wir, dass es in Zukunft schwieriger wird, sie für die Kirche zu gewinnen. Wir müssen ihnen sagen: Bei uns kannst du mitgestalten.
Präses Adelheid Ruck-Schröder (m.) mit (v. r.) Martin Fröhlich, Andrea Rolfes, Björn Vahle (Sprecher EKVW) und Carsten Heil.
| © Mike-Dennis Müller
Die Probleme führen dann dazu, dass Kirchen nicht nur leerer werden, sondern umgewidmet werden müssen.
Ruck-Schröder: Das schmerzt alle Beteiligten, nicht nur mich, und ist immer die Ultima Ratio. Das hat etwas mit Abschied zu tun. Wenn die Gemeinde sich entschieden hat, dass eine Kirche nicht mehr gehalten werden kann, ist eine sehr gute Nachnutzung wichtig.
Was ist denn eine gute Nutzung?
Ruck-Schröder: Es gibt gute Beispiele. Wenn eine jüdische Gemeinde eine Kirche übernimmt, ein Kulturzentrum entsteht oder ein Café oder auch ein Restaurant einzieht. Das können interessante Lösungen sein und ist besser, als wenn sie leer steht. Mir ist dabei wichtig: Kirchen sind ein Kulturzeugnis, ein Kulturdenkmal, das auch mit Identität zusammenhängt. Das möchten wir bewahren. Manchmal sind Kirchen aber auch einfach nicht mehr zu halten. Dann kommen sie für Mehrfachnutzungen oder als Veranstaltungsort infrage. Darüber können am besten die Menschen vor Ort entscheiden.
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Die Kirche steht auch für Frieden.
Ruck-Schröder: Ja, da kommen Sie zum Krieg im Nahen Osten. Da ist eine katastrophale Situation entstanden. Da haben wir die Aufgabe, den Dialog zu führen, weil der vor Ort nicht mehr möglich ist. Für mich ist es unerträglich, wenn bei uns Demonstrationen laufen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen. Aber dennoch müssen wir den Dialog suchen und fordern. Mit Palästinensern und Palästinenserinnen, mit Jüdinnen und Juden – auch untereinander. Wir brauchen Empathie für das Leid auf beiden Seiten.
Aber was hilft es, wenn wir das hier debattieren? Man kann doch nur noch resignieren. Kann Kirche da mit Worten überhaupt wirkmächtig sein?
Ruck-Schröder: Es ist nicht der Mut der Verzweiflung, sondern der Mut der Friedensszenarien, die ich nicht aufgeben möchte. Gott ist ein Gott des Friedens und die Welt war noch nie friedensreich. Wo Mutlosigkeit und Hass vorherrschend sind, ist es notwendig, die Friedensmöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Anders geht es nicht. Außerdem müssen sich Religionen mit dem Thema „Gewalt und Religion“ auseinandersetzen. Wie dämmt ihr Gewalt ein und wie tun wir das?
Da geht es auch um den anderen Krieg, den in der Ukraine. Wie positioniert sich die Kirche zu den Themen Waffenlieferungen an die Ukraine und Wehrpflicht? Das Wort von „Frieden schaffen ohne Waffen“ hat kaum Konjunktur. Und mit Pflugscharen wird man nicht erfolgreich gegen Aggressoren zu Felde ziehen können.
Ruck-Schröder: Da werden wir in eine Zerreißprobe gestellt. Aber die Idee des Pazifismus brauchen wir als Gegenmodell und Prüffrage. Wie ist die Situation in der Ukraine? Wir können nicht sagen: Sprecht miteinander, dann ist alles gut. Ein überfallenes Land hat das Recht, sich zu wehren. Und ein Diktatfriede ist nicht ein Friede, der biblisch verheißen ist. Ich wiederhole: Die Kirche hat die Aufgabe, Friedensszenarien zu entwickeln und Dialogmöglichkeiten zu schaffen. Und sich um die Opfer zu kümmern: Dafür gibt es Brot für die Welt und die Katastrophenhilfe der Diakonie.
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Missbrauch innerhalb der Kirche ist ja auch eine Art von Gewalt.
Ruck-Schröder: Unser Umgang mit sexualisierter Gewalt ist deshalb ein wichtiges Thema. Wir brauchen bessere, transparentere Strukturen und Standards. Die sind wichtig für Prävention und Aufarbeitung. Wir verbessern gerade unsere Ansprechbarkeit für Betroffene. Wir haben mehrere Möglichkeiten – personell noch mal aufgestockt –, aber für Betroffene ist es schwierig, da durchzufinden. Die Stabsstelle ist Anlaufpunkt für eine Vielzahl von Anfragen, Beratungsgesprächen und Meldungen im Bereich von Grenzverletzungen. Seit diesem Jahr wird sie von einer Kriminologin geleitet. Betroffene können sich auch an externe Stellen wenden, die dann auf uns zukommen. Nicht jeder möchte den persönlichen Kontakt zur Kirche. Diese und weitere Empfehlungen aus Studien haben wir bereits umgesetzt.
Das klingt nach technischer Abwicklung.
Ruck-Schröder: Ja, auch die ist wichtig, weil sie Standards schafft. Es geht aber noch mehr um einen Kulturwandel in der Kirche. Wie können wir uns für das Thema sensibilisieren? Da geht es auch um den Umgang mit Macht in der Kirche und wir haben noch eine große Aufgabe vor uns. Denn über das Thema zu sprechen, ist sehr schwierig und wird uns begleiten.