„Tage auf dem Land“ von Jane Gardam: Robust, aber tröstlich | ndr.de

Jane Gardam, "Tage auf dem Land"

Stand: 22.07.2025 06:00 Uhr

Im April ist die britische Autorin Jane Gardam im Alter von 96 Jahren gestorben. Jetzt erscheint posthum ihr Roman „Tage auf dem Land“. Darin beschreibt sie humor- und verständnisvoll die Jugend des Mädchens Marigold.

von Annemarie Stoltenberg

Die Romane von Jane Gardam sind ebenso altmodisch wie unverwüstlich. Robust wirken sie wider alle Zeitläufte und sind so tröstlich wie eine gute Tasse Tee. In „Tage auf dem Land“ erzählt ein Mädchen von seiner ziemlich ungewöhnlichen Kindheit. Sie ist die Tochter eines zerstreuten Lehrers, der ein Jungeninternat leitet, hauptsächlich liest und abends mit ihr Schach spielt. Ihre Mutter ist gestorben, aber Paula, eine verlässliche Mutterfigur für alle kleinen und größeren Jungen im Internat sorgt sich auch und vor allem um Marigold. Aber sie kann sie nicht vor allem beschützen. Marigold wird gemobbt und gequält, sie ist zu altmodisch gekleidet und zu ehrlich in ihrem Auftritt.

Zwischen Idylle und Katastrophe

Was ich mit alldem eigentlich sagen will, ist, dass ich, obwohl ich einen so großen Teil meines Lebens idyllisch und prinzessinnenhaft unter weitaus älteren Leuten zugebracht hatte und so einiges über die Eigentümlichkeiten der Erwachsenen wusste, in Bezug auf mich selbst und meine Altersgenossen vollkommen ahnungslos war, was die ersten Offenbarungen dann so verstörend machte. Es gab zwei einschlägige Offenbarungsmomente, die mehrere Jahre auseinanderlagen, für Außenstehende völlig belanglos waren, mich aber in ein Gewimmel aus Sorgen und Fehlannahmen und Schüchternheit und Qualen stürzten.

Leseprobe

Ein Mädchen namens Grace spielt ihr Freundschaft vor und verrät sie. Dann wird sie vollkommen überraschend vom Schwarm aller Mädchen namens Jack Rose zu einem Wochenende eingeladen. Marigold macht sich in einem von Paula verordneten unvorteilhaften Tweedkleid auf den Weg zur Familie Rose. Nach einer mühsamen Busreise mit mehrmaligem Umsteigen steht sie vor einer Villa, in der zwei Zahnärzte ihre Praxis haben.

Es sind die Eltern von Jack Rose. Das Haus wirkt schon von außen furchtgebietend wie ein Eisfach. Und im Haus wird es nicht gemütlicher. In Wirklichkeit hat sie niemand dort erwartet. Jack hat zu dem Wochenende nicht nur sie, sondern vor allem ihre Freundin Grace eingeladen, mit der er längst eine Liebesbeziehung hat. Eine mehrstufige Katastrophe für Marigold.

Eine Geschichte mit Längen

Jesus hat gesagt, liebe deinen Nächsten. Er hat gesagt, die einzigen Gebote, die wirklich eine Rolle spielen, sind die Liebe zu Gott und die zum Menschen. Er hat nicht gesagt, dass die Liebe, vor allem die Nächstenliebe, einen in Stücke reißt. Wäre vielleicht besser, er hätte gesagt, liebt euch nicht. Versucht einfach nur, miteinander auszukommen, und wenn ihr merkt, dass sich Liebe anbahnt, geht los und macht einen langen knackigen Spaziergang, wie mein Vater immer zu Uncle Edmund sagt. Mein Problem ist, dachte ich und starrte wieder auf die mitleidlose Spiegelfassade der Doppel-Dentisten-Villa, mein Problem ist, knurrte ich und dachte an die Schrecken im Innern und wie ich sie alle hasste, dass ich viel zu sehr geliebt habe. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich bin fertig mit der Liebe. Ich bin fertig mit den Männern. Und ich bin fertig mit der Freundschaft.

Leseprobe

Das „Nie wieder!“ in der Pubertät eines Menschen ist in der Literatur schon häufig beschrieben worden, aber selten mit so köstlichem Humor und Verständnis wie bei Jane Gardam. Es war noch nie möglich, Kinder in dieser Lebensphase zu beschützen. Nur hoffen, beten und Trost für Notfälle bereithalten. Achtung: die Geschichte beginnt ziemlich langweilig und nimmt erst nach 100 Seiten Fahrt auf.  

Jane Gardam, "Tage auf dem Land"

Tage auf dem Land

von Jane  Gardam

Seitenzahl:
272 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Übersetzt von Monika Baark
Verlag:
Hanser Berlin
ISBN:
978-3-446-28176-9
Preis:
24 €

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