Der SPD-Vorsitzende hat sich festgelegt: Die Bedenken des Koalitionspartners wegen angeblicher Plagiatsvorwürfe gegen die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf seien ausgeräumt, sagte er am Wochenende der „Bild“. Auch deshalb fordert Lars Klingbeil einen neuen Termin im Bundestag, um die Juristin ans Verfassungsgericht zu wählen.

In der Fachwelt gibt es zur Frage, was von den Täuschungsvorwürfen zu halten ist, aber auch andere Einschätzungen. Der Plagiatsexperte Stefan Weber hatte auf Textparallelen zwischen der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der später veröffentlichten Habilitationsschrift ihres Ehemanns Hubertus Gersdorf aufmerksam gemacht. Es geht um 23 Fundstellen, bei denen sich oft Abschnitte, die mehrere Sätze lang sind, stark ähneln.

Das Ehepaar ließ daraufhin das Kurzgutachten einer Anwaltskanzlei veröffentlichen. Darin heißt es, der Plagiatsvorwurf sei unbegründet, die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten stehe nicht infrage.

Gedanklicher Austausch führt nicht zu nahezu wörtlichen Übereinstimmungen ganzer Passagen, wie sie in den beiden Arbeiten nun einmal festzustellen sind.

Jeanette Reisig-Emden, Fachanwältin für Verwaltungsrecht

„In der Öffentlichkeit ist inzwischen der Eindruck entstanden, an den Täuschungsvorwürfen sei mit Sicherheit nichts dran. Das sehe ich anders“, sagt dazu Jeanette Reisig-Emden. Sie ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht, häufig mit Plagiatsfällen befasst, und sagt: „Der Erstverdacht, dass eine Täuschung vorliegen könnte, ist aus fachlicher Sicht berechtigt.“

Menge der Fundstellen nicht allein entscheidend

Es gebe Stellen, die für sich genommen ihrer Erfahrung nach als Täuschung gewertet werden könnten und zum Beispiel bei einer Hausarbeit ein Durchfallen zur Folge hätten. Zwar sei die Gesamtmenge dieser Stellen im Vergleich zum Umfang der beiden untersuchten Arbeiten niedrig. „Es stimmt aber nicht, dass alle Fundstellen deshalb automatisch unproblematisch sind, wie im Gutachten behauptet“, sagt Reisig-Emden.

Zu beanstanden seien nämlich auch Textpassagen, die Schlussfolgerungen und Theorien enthielten. „Es geht also um den Kern des wissenschaftlichen Arbeitens, und da ist nicht allein entscheidend, wie groß die Menge der problematischen Textstellen ist“, sagt die Anwältin. Ein, zwei Sätze könnten hier schon ausreichen, damit eine ganze Arbeit als Täuschungsversuch zu werten sei.

„Wenn Frau Brosius-Gersdorf den Täuschungsverdacht tatsächlich widerlegen will, sollte sie die Universität Hamburg bitten, die Vorwürfe unabhängig zu prüfen“, sagt Reisig-Emden. In solchen Fällen brauche es „eine genaue Einzelfallprüfung statt voreiliger Entlastungsbekundungen“. 

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Besonders stört sie sich an einer Stelle in dem Kurzgutachten, an der es heißt: „Auch die teilweise ähnlichen Ausführungen in den Texten deuten […] allenfalls auf einen gedanklichen Austausch hin, nicht aber darauf, dass einer der Beteiligten von der oder dem anderen, ohne dies kenntlich zu machen, Inhalte übernommen hätte.“

Diese Passage könne sie aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehen, sagt dazu Reisig-Emden. „Gedanklicher Austausch führt nicht zu nahezu wörtlichen Übereinstimmungen ganzer Passagen, wie sie in den beiden Arbeiten nun einmal festzustellen sind.“

Bevölkerung unterstützt Kandidatin

Eine Mehrheit der Deutschen ist laut einer Umfrage dagegen, dass Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückzieht. In einer Forsa-Erhebung für den „Stern“ und RTL lehnten 57 Prozent der Befragten einen solchen Schritt ab. Nur 24 Prozent vertraten die Ansicht, dass die Kandidatin freiwillig verzichten sollte. 19 Prozent äußerten sich nicht.

Bei den Wählerinnen und Wählern der Union sind nur 23 Prozent dafür, dass sich Brosius-Gersdorf zurückzieht. 59 Prozent lehnen das ab. Auch die Wähler von SPD (82 Prozent), Grünen (84 Prozent) und Linke (74 Prozent) sind mehrheitlich gegen einen Rückzug. Von den AfD-Anhängern plädieren hingegen 55 Prozent für einen Verzicht, 28 Prozent sind dagegen. (dpa)

Vielmehr sei hier ein objektiver Anschein gesetzt worden, der widerlegt werden müsse. „Liegt ‚nur‘ ein gedanklicher Austausch vor oder ist hier – gegebenenfalls täuschungsrelevant – zusammengearbeitet oder abgeschrieben worden? Hierzu bedarf es einer objektiven Einzelfallprüfung, ob Gründe gegen eine Täuschung sprechen. Das Kurzgutachten geht über diesen Punkt einfach hinweg“, sagt Reisig-Emden.

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Reisig-Emdens Fazit lautet: „Dieses Kurzgutachten entlastet Frau Brosius-Gersdorf nicht.“ Es unterscheide an wichtigen Stellen nicht differenziert genug. „Für mich liest sich dieses Kurzgutachten als subjektives Parteigutachten“, sagt die Anwältin. Für sie bleibe abzuwarten, ob diese Ungenauigkeiten in dem angekündigten ausführlichen Prüfgutachten ausgeräumt würden.