Er lebt unter russischer Besatzung in Cherson und riskiert als Chef der Widerstandsgruppe „Yellow Ribbon“ sein Leben. Trotz der Gefahr wächst der zivile Protest unaufhörlich.

Das Gespräch mit einem deutschen Medium könnte ihn ins Gefängnis bringen, wo ihn Folter und Hunger erwarten. Jeder Schritt, den er unternimmt, sei es zum Supermarkt, zu seinen Freunden oder zur Tankstelle, könnte sein letzter als freier Mann sein. Doch er sieht sich längst nicht mehr als frei an, daher geht der 24-jährige Ukrainer viele Risiken ein.

Iwan, der in Wirklichkeit anders heißt, lebt unter russischer Besatzung in der Region Cherson in der Ukraine. Er ist Chef der zivilen Widerstandsgruppe „Yellow Ribbon“ (Deutsch: Gelbes Band). Zusammen mit einem Kollegen rief er die Bewegung kurz nach dem russischen Großangriff 2022 ins Leben.

Vor dem Krieg baute der IT-Spezialist Websites, Chatbots und Telegram-Chats. Die Russen fluteten nach der Okkupation Iwans Heimatstadt mit ihrer Propaganda. Er wollte dem etwas entgegensetzen. Ein Zeichen setzen, das die Ukrainer verbinden würde. „Uns kam die Idee mit den gelben Bändern. Sie leuchten und haben eine Farbe unserer Flagge“, sagt er im Gespräch mit t-online. Sie verteilten Hunderte solcher Bänder in der Stadt und lösten damit einen Schneeballeffekt aus. Viele Menschen schlossen sich den Aktivisten an – bis heute.

Dem Vernehmen nach gehört Yellow Ribbon mit rund 20.000 aktiven Menschen zu einer der größten gewaltfreien Widerstandsgruppen in der besetzten Ukraine. Unabhängig nachprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

„Wir wachsen ununterbrochen in Cherson, Donezk und Luhansk“, sagt Iwan. Am aktivsten ist die Bewegung auf der Krim. Bevor Russland die Halbinsel 2014 völkerrechtswidrig besetzte und annektierte, machte Iwan dort jeden Sommer Urlaub. Damals hieß das Kreml-Narrativ, dass alle dort pro-russisch seien, erinnert er sich. Yellow Ribbon zeigt ein anderes Bild: „Es gibt Tausende Unterstützer der Ukraine und sie warten auf ihre Befreiung“, sagt der junge Mann.

Im Videocall verdeckt er sein Gesicht bis über die Nase mit einem schwarzen Tuch. Doch wenn er er von den Erfolgen seiner Bewegung erzählt, leuchten seine Augen. Neben dem Verteilen der gelben Bänder leisten die Aktivisten auch auf anderen Wegen Widerstand.

Um den Russen stets einen Schritt voraus zu sein, werden die Aktivisten immer kreativer. „Wir verbrennen russisches Propaganda-Material, hängen gigantische ukrainische Flaggen auf oder spielen die Nationalhymne der Ukraine über Lautsprecher auf der Straße ab“, zählt Iwan auf.

Zudem gibt es auch Online-Proteste wie die Aktion „United Heart of Ukraine“. Dabei fotografierten Zehntausende Ukrainer in den besetzen Gebieten eine Hälfte eines Herzens in Gelb. Ihre Mitbürger in den von Russland kontrollierten Regionen ergänzten es mit der anderen Hälfte in Blau.

Die Anhänger der Widerstandsbewegung kennen sich untereinander nicht. Jede Person bleibt anonym, nur ihr Aufenthaltsort ist bekannt, um Aktionen besser planen zu können und ihnen Zugriff auf das Material der Bewegung zu ermöglichen. Namen, Berufe, Ausbildung bleiben geheim.

Zur Sicherheit kommunizieren die Aktivisten ausschließlich über Chats. Dafür hat der gelernte IT-Experte online einen sicheren Raum geschaffen. Die Aktivisten benutzen verschiedene Messenger, hauptsächlich den Chat-Anbieter Telegram. Der Gründer der Widerstandsorganisation sagt, in der physischen Welt vermieden die Mitglieder aus Sicherheitsgründen „jeglichen Kontakt oder Verbindung zu anderen Aktivisten. So bleiben wir sicher.“