Die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ ist sauer. Irgendwie berechtigterweise. Denn beschlossen ist beschlossen. Und am 21. November 2024 hat der Leipziger Stadtrat ja nun wirklich mehrheitlich dem von den Fraktionen der Linken und der Grünen eingebrachten Stadtratsbeschluss VIII-A-00426-NF-01 zugestimmt. Zumindest dessen viertem Punkt, weil die ersten drei Punkte zurückgezogen wurden.

Da ging es um die Klagebefugnis der Stadt und einen Beitritt Leipzigs zur Klage gegen den Flughafenausbau. Die so leider nicht möglich sind. Aber Punkt vier war möglich. Das bestätigte auch die Stadt.

„Die Stadtverwaltung wird aufgefordert, ein Gutachten (Umweltverträglichkeitsgutachten) erstellen zu lassen, das die Auswirkungen des wachsenden Flugverkehrs (Kurze Südabkurvung) auf das FFH-Gebiet (Natura 2000 Gebiete: FFH Gebiet Leipziger Auensystem) untersucht“, lauter dieser Beschlusspunkt aus dem Antrag, der am 21. November die Mehrheit im Stadtrat bekam. 

„Klingt einfach? War es aber offenbar nicht. Statt Taten ernteten wir Schweigen. Erst nach monatelangem Drängen, zig E-Mails und einem mehr als ernüchternden Gespräch mit Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) wurde klar: Dieser Beschluss war offenbar nur Dekoration für das demokratische Schaufenster“, schreibt nun recht konsterniert der Sprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ Matthias Zimmermann.

„Die juristische Argumentation der Verwaltung? Man könne ein solches Gutachten nicht erstellen lassen, weil es gegen ein übergeordnetes Organ gerichtet sei – und das gehe nur, wenn die Stadt planungsrechtlich direkt eingeschränkt würde. Aha. Ein Umweltgutachten, das Erkenntnisse liefern soll, sei also gleichzusetzen mit einem kommunalen Aufstand gegen die Obrigkeit.“

Kein Geld oder keine Lust?

Besonders pikant, so Zimmermann: „Die Stadt Leipzig hatte im Planfeststellungsverfahren selbst erhebliche umweltrechtliche und lärmmedizinische Bedenken angemeldet. Diese wurden von der Landesdirektion Sachsen ignoriert. Doch statt nun wenigstens per Gutachten ihre Position zu untermauern oder den Klägern von BUND und Bürgerinitiativen beizuspringen, zieht sich die Stadt auf die Zuschauertribüne zurück – natürlich mit dem Hinweis, man sei ‘nicht zuständig’.“

Und das Gutachten? Zimmermann: „Ein allgemeines Gutachten – also eines, welches lediglich sachliche Informationen liefern und der Wissenschaft dienen könnte – wird ebenfalls abgelehnt. Begründung: freiwillige Leistung, kein Geld da. Die Demokratie, so scheint es, endet in Leipzig dort, wo sie anfängt, unbequem zu werden.“

Man merkt: Da ist Dampf im Kessel.

Wobei das Argument mit dem Geldausgeben nicht so falsch ist. Denn Leipzig hat noch immer keinen genehmigten Haushalt. Die Stadt darf also derzeit nur finanzieren, was sie unbedingt finanzieren muss. Die sogenannten „freiwilligen Leistungen“ stehen alle unter Ausgabevorbehalt.

Und vergessen hat das Umweltdezernat den Beschluss vom November auch nicht. Es hat inzwischen sogar einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem es auch auf die Finanzierung des Gutachtens eingeht: „Mit der Beauftragung des Gutachtens ist noch nicht begonnen worden. Begründung: Angesichts der aktuellen Personal- und Haushaltslage ist eine Beauftragung des Gutachtens zurzeit nicht möglich.“

Das Dezernat darf da Gutachten derzeit gar nicht beauftragen. Und ob es nach Genehmigung des Haushalts durch die Landesdirektion möglich sein wird, steht in den Sternen.

Zahlen aus der Glaskugel

Obwohl das Dezernat auch gleichzeitig Zahlen liefert, die zumindest annehmen lassen, dass ein richtiges Fachgutachten aus Sicht der Stadt eigentlich überflüssig wäre.

Verraten die reinen Prognose-Flugverkehrsdaten die Belastung des FFH-Gebietes?

„Anhand einer Prüfung der zusammengestellten Flugverkehrsdaten ist davon auszugehen, dass das FFH-Gebiet Leipziger Auensystem (sowie das SPA-Gebiet Leipziger Auwald) durch den wachsenden Flugverkehr im Planfall 2032 voraussichtlich nicht erheblich beeinträchtigt wird“, schreibt das Dezernat in seinem Zwischenbericht.

„Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der Auwald in einer ungefähren Höhe von 700 m überflogen wird und nach obergerichtlicher Rechtsprechung (siehe auch Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgericht Bautzen 1 C6/14 vom 16. September 2016), die sich auf naturschutzfachliche Literatur stützen kann, es anerkannt ist, dass wesentliche Beeinträchtigungen der Avifauna bei einer Flughöhe von 600 m über einem Vogelschutzgebiet ausgeschlossen sind.

Beeinträchtigungen anderer Artengruppen (z. B. Fledermäuse) sind aus Sicht der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig im vorliegenden Fall voraussichtlich analog zu beurteilen, zumal die Steigerung der Flugbewegungen über dem FFH-Gebiet im Wesentlichen den Tagzeitraum (außerhalb der Aktivitätszeit von Fledermäusen) betrifft.“

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen von 2016.

Der vom Umweltdezernat zitierte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts betrifft die Kurze Südabkurvung und deren Genehmigung durch das damalige Regierungspräsidium von 2004. Klage gegen die Südabkurvung wurden immer wieder mit Verweis auf diese ursprüngliche Entscheidung abgewiesen – mit Betonung auf der eingeschränkte genehmigten Nutzung.

Nur fliegen eben auch etliche Flugzeuge über den Leipziger Auwald, die von dieser Genehmigung eigentlich nicht erfasst sind.

Papierzahlen für das Jahr 2032

Und damit begründet das Umweltdezernat denn auch, warum dein naturschutzfachliche Gutachten eigentlich unnötig wäre: „Das FFH-Gebiet Leipziger Auensystem wird lediglich beim Abflug über die sogenannte kurze Südabkurvung beflogen und kann darüber hinaus beflogen werden, wenn ein Fehlanflugverfahren (= ein zusätzlicher Abflug) notwendig ist. Den Datenerfassungssystemen (DES), die im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zum Ausbau des Flughafens erstellt wurden und die die prognostizierten Flugbewegungen der sechs verkehrsreichsten Monate des Jahres 2032 enthalten, können folgende Flugbewegungsdaten entnommen werden:

Abflugroute der kurzen östlichen Südabkurvung:
– Prognosenullfall 2032: 691 Flugbewegungen tags, 0 Flugbewegungen nachts
– Planfall 2032: 696 Flugbewegungen tags, 0 Flugbewegungen nachts

Damit ergibt sich ein Unterschied von 5 Flugbewegungen zwischen Prognosenullfall und Planfall für die sechs verkehrsreichsten Monate im Prognosejahr 2032 für die kurze Südabkurvung“, meint das Umweltdezernat.

Was natürlich reine Kaffeesatzleserei ist. Niemand weiß wirklich, wieviele Flugzeuge 2032 die Kurze Südabkurvung nutzen werden.

Dasselbe gilt für die Zahlen für die Strecke D08R.MAP (Fehlanflugverfahren), die über das FFH-Gebiet verläuft:
– Prognosenullfall 2032: 3 Flugbewegungen tags, 7 Flugbewegungen nachts
– Planfall 2032: 18 Flugbewegungen tags, 9 Flugbewegungen nachts

Grundlage für eine tatsächliche Prüfung könnten nur die realen Daten aus dem Jahr 2025 sein. Denn wenn man die heutige Belastung des FFH-Gebietes nicht kennt, kann man auch nichts über eine möglicherweise steigende Belastung im Jahr 2032 sagen.

Von einer wirklichen Prüfung, wie sie das Umweltdezernat behauptet, kann also keine Rede sein. Selbst was die Überflughöhe übers Auengebiet betrifft, verlässt sich das Umweltdezernat auf ein vom Freistaat benutztes Rechenmodell, nicht auf reale Daten: „Hinsichtlich der Überflughöhe wird nach Auskunft des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie für die kurze Südabkurvung im Berechnungsmodell IMMI für den Bereich des Auwaldes ungefähr eine Überflughöhe von 700 m über Grund, d. h. 810 m über dem Meeresspiegel ausgewiesen.“

So gesehen ist der Ärger bei der Bürgerinitiative verständlich. Das Umweltdezernat verspricht einen weiteren Prüfbericht für das zweite Quartal 2026, also in einem Jahr. Und die Frage wird natürlich sein, ob die Haushaltegenehmigung durch die Landesdirektion die Beauftragung eines richtigen naturschutzfachlichen Gutachtens ermöglicht oder die kommunale Finanzklemme die Beauftragung eines solchen Gutachtens unmöglich macht.