Vor dem Spiel in die Knie zu gehen, ist ein Zeichen gegen Rassismus. Englands Fußballerinnen werden das heute erstmals nicht tun – aus Protest gegen Rassismus. Die Geste habe sich abgenutzt.
Rassistische Kommentare und Online-Hetze im Netz: People of Colour im Spitzensport sind das leider gewohnt. Aber was die englische Fußball-Nationalspielerin Jess Carter jetzt bei der Frauen-EM in der Schweiz über sich lesen musste, war zu viel. Sie zog sich von den sogenannten sozialen Plattformen zurück und veröffentlichte folgende Erklärung.
Auch, wenn ich überzeugt bin, dass jeder Fan das Recht auf eine Meinung zu Leistung und Ergebnis hat, halte ich es nicht für akzeptabel, jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft ins Visier zu nehmen.
„So viele stehen hinter ihr“
Die 27-jährige Abwehrspielerin Carter war wegen einiger Schwächen nach ihren EM-Einsätzen in die Kritik geraten. Nach dem Viertelfinalsieg der englischen Lionesses hatte sie dann die heftigen Social-Media-Angriffe öffentlich gemacht. Der englische Fußballverband FA (Football Association) arbeitet jetzt mit der Polizei daran, die Verantwortlichen für die Hassnachrichten vor Gericht zu bringen.
Carters Team-Kolleginnen stützen sie, erklärt Georgia Stanway, die beim FC Bayern spielt, wenn sie nicht für England auf dem Platz steht. „Es sieht aus, als stehe Jess alleine da, aber so viele stehen hinter ihr. Das ist das Tolle am Fußball, dass man als Kollektiv Dinge verändern kann.“
Jess Carter, hier in der Partie gegen Frankreich am 5. Juli.
„Geste hat nicht den Erfolg gebracht“
Darum will die Mannschaft ein gemeinsames Zeichen setzen: Die englischen Spielerinnen wollen vor dem Halbfinale heute Abend erstmals nicht mehr in die Knie gehen. Sie wollen die im Sport bekannte Geste gegen Rassismus aus Protest aussetzen. Sie habe sich abgenutzt, erklärt Stanway: „Diese Geste hat nicht den Erfolg gebracht, den wir uns davon erhofft haben. Darum wollen wir stehen bleiben. Und wollen so die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken.“
Die Diskussion über das „Knee-Taking“ ist in Großbritannien wieder aufgeflammt. War das kurze Niederknien vor dem Anpfiff von jeher leerer routinierter Symbolismus – oder gar „woker Quatsch“, wie vor allem Kritiker aus der konservativen Richtung meinen? Oder hat die Geste tatsächlich das Bewusstsein gegen Rassismus geschärft?
Im Radiosender LBC diskutierten dazu Hörerinnen und Hörer. Das Ergebnis: Die Hörerschaft sei zwiegespalten, erklärt Moderator Nick Ferrari: „Viele respektieren zwar die Entscheidung der Lionesses, finden die Geste an sich aber stark. Die andere Hälfte sagt, das hatte nie eine Bedeutung.“
Kritik an Social-Media-Unternehmen
Aber ob Hinknien oder nicht: Die Schattenseite der steigenden Popularität des Frauenfußballs sei eben leider auch, dass mit dem Erfolg der Hass zunehme, schildern Spielerinnen. Das hat auch Sanjay Bhandari von der Anti-Rassismus-Kampagne „Kick it out“ beobachtet. Er sieht die Versäumnisse vor allem bei den Online-Plattform-Betreibern.
Die Social-Media-Unternehmen haben in den letzten vier oder fünf Jahren tatsächlich Rückschritte gemacht, die Situation ist schlimmer geworden. Sie müssen uns Tools zur Verfügung stellen, die uns schützen und die toxischen Einflüsse auf den Plattformen reduzieren. Sie tun einfach nicht genug.
Jess Carter, die Lebensgefährtin der deutschen Torhüterin Ann-Katrin Berger, wird heute Abend übrigens auflaufen, erklärt die englische Bundestrainerin Sarina Wiegman: „Jess möchte nach vorne blicken, sie ist stark, sie ist bereit, das Team auch – sie alle wollen kämpfen. Und das sagt auch viel über Jess und die Mannschaft.“
Gabi Biesinger, ARD London, tagesschau, 22.07.2025 08:30 Uhr