„Was gibt das? Ein Fisch?“ Diese Frage ist wohl die häufigste, die derzeit an Manuela Tirler gestellt wird. In der Tat sieht das Stahldrahtgeflecht, an dem sie arbeitet, ein wenig wie der spindelförmige Körper eines Thunfischs aus. Wenn es dann aber einmal aufrecht steht, wird das rund 5,40 Meter hohe und 1,20 Meter breite Objekt eher an einen Thujabaum oder eine Zypresse erinnern.

Manuela Tirler ist die 15. Spaichinger Stadtkünstler:in, die seit dem Jahr 2000 in einem öffentlichen Atelier unter dem „Fliegenden Dach“ mitten auf dem Spaichinger Marktplatz ein Kunstwerk erstellt.

Immer wieder kommen neugierige Passanten mit ihr ins Gespräch, Mütter mit Kindern, Marktbesucher mit ihren Einkaufstaschen. „Gestern hat mir ein Mann eine Portion Eis spendiert“, erzählt Manuela Tirler, „und einer, der hier immer sein E-Bike auflädt, hat mich zu einer Pizza eingeladen.“

Fleischkäse für den Vegetarier

Das sei von Anfang an so gewesen, dass die Spaichinger den Künstlern offen, neugierig und unterstützend gegenübertreten, erzählt Karl-Ludwig Oehrle, Vorsitzender des Fördervereins Stadtkünstler. Vizevorsitzende Sylvia Reichle-Teufel erinnert sich, wie ein freundlicher Spaichinger dem Stadtkünstler von 2017, Urban Hüter, einen dicken Leberkäswecken spendiert hat – der ist zwar Vegetarier, aß aber aus Höflichkeit den angebotenen Fleischkäse dennoch.

Seit 25 Jahren gibt es das Projekt „Spaichinger Stadtkünstler“, damals von der CDU-Gemeinderatsfraktion angeregt. Seit 2010 wird es durch den Förderverein Stadtkünstler Spaichingen organisiert und finanziert. Am Ende wird das Kunstwerk dann der Stadt Spaichingen übergeben und an prominenter Stelle im Stadtgebiet aufgestellt.

Fester Bestandteil des Stadtbildes

Längst sind sie aus dem Spaichinger Stadtbild nicht mehr wegzudenken: Skulpturen wie der Gelbe Taxifahrer („MannAuto“), Anno 2000 vom ersten Stadtkünstler Thomas Wagenblast gefertigt, oder die „Mächtige Gruppe“ der drei geschwärzten Eichenstämme auf dem Markplatz, die der Spaichinger Stadtkünstler von 2003, Armin Göhringer, geschaffen hat.

Das Projekt ist in Künstlerkreisen so bekannt, dass ehemalige „Spaichinger Stadtkünstler“ das stolz in ihre Vita schreiben, selbst wenn sie in Paris ausstellen.

Von Anfang an mit dabei ist der renommierte Rottweiler Künstler Jürgen Knubben als Berater und Kurator. Knubben, der in der Kunstszene bestens vernetzt ist, ist es auch, der die Künstler vermittelt. So auch die diesjährige Stadtkünstlerin.

Aufgewachsen in Tennessee

Die 1977 in Stuttgart geborene und unter anderem in Morristown, Tennessee, aufgewachsene Manuela Tirler wurde an der Freien Kunsthochschule Nürtingen und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ausgebildet. Ihre zahlreichen Stipendien haben sie unter anderem 2007 nach San Francisco geführt. Sie lebt und arbeitet in Plochingen.

Ihr „Markenzeichen“ sind Skulpturen aus ineinander verschweißten Drahtgeflechten. Bildende Künstler stellt man sich eher als „abgehobene“, vergeistigte Exzentriker im Elfenbeinturm vor. Doch Manuela Tirler schweißt und werkelt wie ein Arbeiter auf einer Werft mit Handschuhen, Schweißerjacke und einem belüfteten Helm, der sie ein wenig wie eine Astronautin aus einem Science-Fiction-Film aussehen lässt.

Manuela Tirler bei der ArbeitBild vergrößern

Manuela Tirler bei der Arbeit (Foto: Frank Czilwa)

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit

„Die Leute sollen sehen, dass Kunst Arbeit ist, das ist Handwerk“, so Syliva Reichle-Teufel. „Und sie sollen sehen, dass Künstler sympathische Menschen sind.“ – „Das ist es, was wir mit dem Projekt erreichen wollen“, ergänzt Karl-Ludwig Oehrle: „Ein Kunstwerk erlebbar zu machen. In anderen Städten werden Kunstwerke einfach gekauft und hingestellt.“

Der handwerkliche Aspekt fasziniert auch Passant Rudi Schmid, der selbst schon geschweißt hat, sich aber beim Filzen oder Töpfern auch schon künstlerisch betätigt hat. „Ich muss mit den Händen schaffen“, sagt er.

Rudi Schmid im Gespräch mit Stadtkünstlerin Manuela Tirler.Bild vergrößern

Rudi Schmid im Gespräch mit Stadtkünstlerin Manuela Tirler. (Foto: Frank Czilwa)

Der Draht, den Manuela Tirler verwendet, ist Armierungsdraht aus abgebrochenen Gebäuden. Der ist meistens schon angerostet, wird dann, wenn die Skulptur draußen steht, noch mehr rosten, bis es die Illusion erzeugt, dass es auch aus Holz sein könnte.

Hart und filigran

Die Verbindung aus Stahldraht und organischen Formen und der Kontrast zwischen Festigkeit und filigraner Durchsichtigkeit machen die Faszination ihrer „Spindeln“ aus. Das Werk bietet, wenn man es umkreist oder an der Haarnadelkurve, wo es aufgestellt werden wird, umfährt, immer neue Ansichten, was die Illusion von Bewegung erzeugt.

Die „Weed Spindle V“ wird den „Kunstpfad von Berg zu Berg“ vom Dreifaltigkeitsberg zum Hohenkarpfen ergänzen und an der Straße nach Hausen ob Verena ihren Standort finden.

Noch bis 5. August soll Manuela Tirler auf dem Marktplatz öffentlich arbeiten.

Künstlerhock mit Manuela TirlerEinladungKünstlerhock mit Manuela Tirler

Bewirtung für jedermann und einen gemütlichen Hock unter dem „Fliegenden Dach“ auf dem Marktplatz wird es am Donnerstag, 24. Juli, um 18 Uhr im Freiluftatelier geben. Die Stadtkünstlerin wird ebenfalls dabei sein und für Fragen und Gespräche zur Verfügung stehen.

Offizielle Übergabe der Skulptur an die Stadt Spaichingen ist dann am Freitag, 19. September, um 17 Uhr auf dem Markplatz.