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Wäre Frank Elstner nicht gewesen, würde Achim Graul vielleicht heute noch in Kassel leben. Die Radio- und Fernseh-Legende Elstner holte Graul am 1. Oktober 1967 als Moderator zu Radio Luxemburg (heute RTL Radio), das damals als erfolgreichstes Hörfunkprogramm deutscher Sprache galt, wie es wenige Jahre später im Spiegel zu lesen war.
Vor dem Jockey-Club: Hier arbeitete Achim Graul von 1965 bis 1967. Später war in den Räumen an der Werner-Hilpert-Straße viele Jahre der Cuba Club beheimatet. © privat
Bis zu seinem Umzug nach Luxemburg hatte der gebürtige Berliner in der Kasseler Kellerdisco „Jockey-Club“ an der Werner-Hilpert-Straße als Diskjockey gearbeitet. Eine Zeit, an die sich der heute 83-Jährige noch gerne erinnert, wie er im HNA-Gespräch erzählt.
Nach Nordhessen brachte den Berliner die Beatmusik. Als Sänger der Kapelle „Merseyteens“ tourte er mit Coverhits der Beatles und Beach Boys Anfang der 60er-Jahre durch West-Deutschland. Weil der Manager der Band in Bad Wildungen lebte, wurde häufig in Kassel und im Umland gespielt. „Der Manager hatte uns einen Band-Bus bei einem Händler in Korbach gekauft, einen VW T1. Unser erstes Engagement war im Wiener Café in Eschwege“, erinnert sich Graul. Später folgten Auftritte in Kassel – unter anderem in der „Tenne“ an der Leipziger Straße und im „Atlantik-Club“ an der Wilhelmsstraße.
Verkleidet: Achim Graul an seinem Arbeitsplatz im Jockey-Club. © privat
So lernte der damals 24-jährige Abiturient den Kanadier Robert (Bob) Toms kennen, der in Kassel mehrere Clubs führte. „Bob war ein feiner Mensch. Er bot mir 1965 einen Job als DJ in dem von ihm neu eröffneten Jockey-Club an“, erzählt Graul. In dem Kellerclub an der Werner-Hilpert-Straße 9 befand sich zuletzt – bis zu dessen Abriss 2020 – eine Arcade-Spielhalle und zuvor jahrelang der Cuba Club. „Ich hatte damals nur das Abitur und keine Ausbildung. Doch beim Umbau des alten Möbellagers zur Disko habe ich mitgeholfen und dabei viel gelernt.“ Auch eine Wohnung hatte der Clubbetreiber Graul besorgt. Sie befand sich an der Kölnischen Straße/ Ecke Rudolf-Schwander-Straße. Von dort hatte er es nur wenige Meter bis zu seinem Arbeitsplatz.
Bei der Arbeit: Achim Graul an den Plattentellern. © privat
600 DM verdiente Graul im Monat als DJ – arbeitsfrei war nur der Montag. Bei seiner Arbeit profierte er von seinem privaten Band-Archiv. „Ich hatte 50 Tonbänder, die ich alle in meiner Jugend im Radio aufgenommen hatte.“ Seine Schallplatten kaufte er zum Großhandelspreis beim „Globus“-Schallplattenladen an der Fünffensterstraße. „Weil der Händler merkte, dass ich Ahnung von Musik hatte, bekam ich dort noch eine Halbtagsstelle.“ Schon bald konnte er sich einen VW-Käfer leisten. Erst später sei ihm aufgefallen, dass das zugeteilte Kennzeichenkürzel JC zu „Jockey-Club“ passte. Als DJ knüpfte der Berliner viele Bekanntschaften – auch zu den in Kassel stationierten US-Soldaten. Die hätten ihn auch mal zur Fritz-Erler-Kaserne in Rothwesten mitgenommen, als dort für die GIs der damalige Countrystar Hank Snow auftrat. Als großer Fan der Western- und Countrymusik war das für Graul ein unvergessliches Erlebnis.
Vor dem Eingang: Achim Graul war von 1965 bis 1967 DJ im Jockey-Club an der Werner-Hilpert-Straße. © privat
Die Suche nach einer Schallplatte, die er im Radio gehört hatte, führte Graul 1967 zum Londoner Studio von Radio Luxemburg. „Dort fanden zufällig gerade Probeaufnahmen für Sprecher statt. Als Deutscher hatte ich keine Chance, aber ich wurde zum deutschsprachigen Sender nach Luxemburg vermittelt.“ Also fuhr er im Sommer 1967 mit seinem Käfer von Kassel nach Luxemburg und traf Frank Elstner, der dort damals Chefsprecher war und später Programmdirektor des Privatsenders werden sollte. „Frank Elstner hat mich getestet und für gut befunden.“ Also fing Graul im Oktober 1967 als Sprecher an. „Hätte es diese Chance nicht gegeben, hätte ich nie bei Bob Toms aufgehört“, ist sich der heute 83-Jährige sicher.
Um sich auf den neuen Job in Luxemburg vorzubereiten, ließ er sich von einem Schauspielerehepaar des Kasseler Staatstheaters Sprechunterricht geben. „Die haben mir das Berlinerische abtrainiert.“
An der alten Wirkungsstätte: Achim Graul im Jahr 2020 kurz vor dem Abriss des Club-Gebäudes. © privat
Achim Graul lebt nun schon seit 58 Jahren in Luxemburg. Bis zu seinem Ruhestand 2003 arbeitete er die allermeiste Zeit für Radio Luxemburg beziehungsweise später RTL. Nur für kurze Zeit war er beim Hessischen Rundfunk engagiert, wo er von 1973 bis 1974 ein Jahr lang die „Hitparade International“ moderierte – noch vor Werner Reinke. Auch für den WDR war er zeitweise tätig. Schließlich kehrte er zu RTL zurück, wo er sich vor allem als Experte für Country- und Westernmusik einen Namen machte. So traf er 1981 Johnny Cash zum Interview für RTL-Radio.
Nachfolger gesucht: Mit dieser Anzeige suchte der Clubchef einen Ersatz für Graul. © privat
Heute lebt seine 25-jährige Enkeltochter in Kassel. Sein ältester Sohn hatte einst seine Partnerin in Kassel gefunden. Achim Graul hat auch deshalb den Kontakt nach Nordhessen nicht verloren. Erst vor ein paar Jahren besuchte er die Orte seiner Blütezeit.
Das sagt Frank Elstner über Graul
Wir haben mit Frank Elstner über seinen ehemaligen Weggefährten Achim Graul am Telefon gesprochen. Elstner schwärmt noch heute von dessen Talent: „Er war einer meiner Säulen im Programm, als ich damals Programmdirektor bei Radio Luxemburg war. Ich hatte einige gute Leute, dazu gehörte auch er. Achim war spezialisiert auf Country und Western. Er ist der größte Elvis-Presley-Fan, den ich kenne. Jahrelang hat er Musik gesucht und gesammelt. Wenn ich heute noch einen Sender hätte, würde ich ihm den Job des Country- und Western-Experte anbieten.“