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Gianna Nannini im Wiesbadener Kurpark. Gianna Nannini im Wiesbadener Kurpark. © Ansgar Klostermann

Gianna Nannini im Wiesbadener Kurpark.

Offiziell war das berückende Konzert im Wiesbadener Kurpark, das zum Rheingau Musik Festival gehörte, Teil der laufenden Tour um Gianna Nanninis Album „Sei nell‘anima“, von dem sie drei Stücke sang und spielte: „1983“, „Il buoio nei miei occhi“ sowie die Titelnummer. Ansonsten lief der Abend auf eine Reise durch die kraftvollsten Lieder der Sieneserin hinaus, war aber auch so etwas wie eine Tour de force durch die Seele Italiens und anderer Länder.

Es war, als ob sich Gianna Nannini wie schon 2005, als sie mit 50 ihre Autobiografie „Io“ vorlegte, erneut im Rückblicks-Modus befinde. Nicht nur schrieb sie, eine „summa cum laude“ promovierte Kennerin der Abgründe zwischen Stimme und Körper, 2024 am Netflix-Drehbuch zur Verfilmung ihrer Autobiografie mit. Die liegt als „Die schöne Rebellin (Sei nell’anima)“ vor. Auch die Setlist des Konzerts kam der Nostalgik ihrer mitgealterten Fans entgegen.

Angereist war Gianna Nannini samt Tourband unter Davide Tagliapietra. Zur Seite standen dem Venezianer an der Gitarre Sofia Gaudenzi und Isabella Casucci (Backgroundchor, Reis-Ei, Schellenkranz) sowie Francis Hylton an der Bassgitarre, ein toller Gitarrist mit Johnny-Depp-Sonnenbrille und Leute an Keys und Drums. Das klingt nach Schlagkraft, was sich auch schickt für eine Musikerin wie sie, die zu gern und oft als „Rockröhre“ verhunzt worden ist, sich aber auch stets mit dem kraftvollen Gesang Janis Joplins identifiziert hat – sogar in der Doktorarbeit. Giannas Italo-Version „Me and Bobby McGee“, oder war es ein anderer Joplin-Titel, kam denn auch zu Gehör.

Mit jetzt 71 hat die wunderbare Künstlerin, die Klavier studierte, statt die Konditoren-Gruppe von pappà Danilo zu übernehmen, reichlich, worauf sich zurückblicken lässt. Da wäre die offene und sehr mittelmeerische Sinnlichkeit ihrer Canzoni, aber auch die unter Künstlern nicht seltenen Anfechtungen der psychischen Gesundheit, die sie überstanden hat.

Sie bekennt sich

Sie spricht von Depression und Schizophrenie – etwa der Halluzination, zu sterben und wieder aufzuerstehen. Dass sich die Schreiberin und Sängerin von „Bello impossibile“ und „Latin Lover“, den Zugaben des Abends, als pansexuell bekennt und heute mit Frau und Tochter in Mailand lebt, ist gleichfalls informativ zu wissen, wenn man ihre Lieder liebt. Wie auch immer. Mit „Panorama“ und „America“, „1983“ und „Fenomenale“ ging das Konzert am Teich los: verflossene Liebe und ihre Abschiedsrituale, Suche und Einsamkeit, dazu der Zwiespalt über die beste Zeit im Leben: „1983, sono vittima e carnefice – Opfer bin ich und Henker“.

Und immer wieder: Liebe und die Animalität der Körper. In diesem Sinne eben noch ihr „Profumo“, dann schon der neuere Titel „La differenza“, wo sich alte Gewissheiten in Verwirrung auflösen. Hier der halb sexuelle, halb engagierte Klassiker „Ragazzo dell’Europa“ und ihre kokette Provokation „Scandalo“, dort das Selbstbild als Abenteurerin („Avventuriera“) und immer so fort.

Irgendwie passt es, als sich Gianna bald nach ihrem Kostümwechsel und dem volkstümlich-dunklen, verrockt toskanischen Wiegenlied „Ninna nera“ mitten in den Oktavsprüngen von „I maschi“ launig aufs Schlagzeug legt, nur um sich beim Sturz vom Blech den rechten Unterarm so zu verletzen, dass Eispacks beigeschafft werden müssen und sie eine Schlinge umbekommt. Tapfer, tapfer, ihr trotziges „The show must go on“ (Applaus!). Fünf Stücke hielt sie danach noch durch. Was für ein taffes Weibsstück.