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Beim Antibiotika begehen viele Menschen einen großen Denkfehler. „Dürfte sich noch verstärken.“

Ukraine-Krieg, Israel-Krieg, Atomstreit mit Iran und Klimawandel: In einer Welt voll sichtbarer Krisen, wächst von vielen unbemerkt eine Gefahr heran, die Experten und Expertinnen als eine der größten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts bezeichnen. Die Rede ist von Antibiotikaresistenzen. Bis zum Jahr 2050 könnten sie fast 40 Millionen Menschen töten, hat eine Lancet-Studie von 2024 ausgerechnet.

„Die Ausbreitung von Resistenzen dürfte sich noch verstärken“, bestätigt Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) bei BuzzFeed News Deutschland von Ippen.Media. Zwar hätten in den vergangenen Jahren einige Unternehmen neue, resistenzbrechende Antibiotika entwickelt und zur Zulassung gebracht, andererseits steige der Antibiotika-Verbrauch in Deutschland statt zu sinken und international seien weitere Krisenherde dazu gekommen.

Antibiotikaresistenzen: Viele Menschen begehen einen großen Denkfehler

Dass Antibiotika in den vergangenen Jahrzehnten so viel eingesetzt wurden (fälschlicherweise bei Virusinfektionen, bei Tieren in Mastbetrieben und so weiter) führe dazu, dass die Bakterien, die das Medikament abtöten soll, widerstandsfähiger werden. Sie entwickeln Multiresistenzen. Bereits heute sterben laut Helmholtz-Institut jährlich etwa 700.000 Menschen wegen solcher multiresistenter Keime. In 25 Jahren könnten als Folge solcher Keime zwei Millionen Menschen jährlich sterben.

Viele Menschen glauben, dass sie, solange sie selbst keine Antibiotika nehmen, auch keine Antibiotikaresistenzen entwickeln können und nicht gefährdet sind. Aber das ist ein großer Denkfehler: Die Gefahr ist nicht, dass unsere Körper immun gegen Antibiotika werden, weil wir sie zu oft nehmen, sondern, dass sich resistente Keime in den Mikroorganismen selbst entwickeln. Sie können, wie Krebs, jeden treffen. Unabhängig davon, ob derjenige jemals ein Antibiotikum eingenommen hat.

Streptococcus BakterienStreptococcus-Bakterien gehören zu den häufigsten Vertretern der resistenten Keime. Sie können Pharyngitis, Meningitis, bakterielle Lungenentzündung und Endokarditis auslösen. © Depositphotos/IMAGO

Wir fragen Hömke, welche Bakterien er aktuell besonders kritisch beäugt. Er verweist auf die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die beobachte das Antibiotikaresistenz-Geschehen genau und führe eine Liste mit Bakterienstämmen, gegen die mit besonderer Dringlichkeit Schutzmaßnahmen entwickelt werden müssen. „Derzeit zählt sie 24 Keime auf, darunter multiresistente Gonorrhoe- und Tuberkulose-Bakterien“, sagt der Arzneimittelforscher BuzzFeed News Deutschland.

KI als Hoffnung für die Antibiotika-Forschung

Um zu verhindern, dass ab 2050 zwei Millionen Menschen jährlich aufgrund multiresistenter Keime sterben, und wir gar in eine „post antibiotische Ära“ kommen, in der Menschen an einem Kratzer sterben könnten, müssen wir in den kommenden Jahren folgende fünf Dinge tun, sagt Hömke:

  1. Antibiotika verantwortungsvoll einsetzen: Nur gegen bakterielle Infektionen, nicht gegen Viren, keine unterdosierte Anwendung, da diese Resistenzen fördern würde und „gezielt“, das bedeute, mit Antibiogramm-Testungen zu prüfen, welche Bakterien resistent seien
  2. Mehr Hygiene: Insbesondere in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verlangsame dies die Ausbreitung resistenter Bakterienstämme
  3. Mehr Impfungen: Gegen viele (auch resistente) bakterielle Erreger gebe es schon Impfungen. „Wenn sich genügend Menschen impfen, schützt dies das ganze Land vor der Ausbreitung solcher Bakterien“, sagt er.
  4. Überwindung militärischer Konflikte: Der Israel- und Ukraine-Krieg, jegliche militärischen Konflikte, zerstörten die geordnete medizinische Versorgung, Hygiene und Impfmöglichkeiten. „Sie machen Menschen durch Verletzungen, Hunger und Stress anfällig für Infektionen. All das fördert die Ausbreitung resistenter Keime von beispielsweise multiresistenten Tuberkulose-Stämmen.“
  5. Neue Antibiotika: „Es werden zu wenige neue Antibiotika entwickelt“, sagt der vfa-Forschungssprecher BuzzFeed News Deutschland. „Um mit der Resistenzentwicklung Schritt zu halten, müssten es dreimal mehr sein.“ Der Grund dafür seien die hohen Kosten, die Pharmaunternehmen nicht wieder refinanziert bekämen, weil Antibiotika im Vergleich zu anderen Medikamenten nur wenig Gewinn bringen.

Hinzu komme der Entwicklungsaufwand. Neue Antibiotika können zum Beispiel aus Naturstoffen hergestellt werden. Tausende davon genetisch zu entschlüsseln und auf Wirksamkeit zu testen, sei mit herkömmlichen Methoden fast unmöglich, sagt Andreas Keller vom Helmholtz-Institut. Seine Hoffnung für die Antibiotikaforschung liegt auf Künstlicher Intelligenz (KI). Sie könnte die Suche enorm beschleunigen und damit die Entwicklung von neuen Antibiotika billiger und attraktiver für die Pharmaindustrie machen.

29 Pharmaunternehmen und Organisationen beteiligen sich am sogenannten „AMR Action Fund“, der Unternehmen, die neue Antibiotika entwickeln, finanziell unterstützt. „Das Geld reicht allerdings nur für zwei bis vier zusätzliche Antibiotika bis 2030“, sagt Hömke. Deswegen hoffen der vfa und andere Pharmaunternehmen auf ein EU-Gesetz: Wer ein wirksames Antibiotikum gegen resistente Bakterien entwickelt, soll als Belohnung ein Jahr lang vor Generika-Konkurrenz bei einem anderen Medikament geschützt werden. Das Gesetz ließe bisher jedoch noch auf sich warten.

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