Seit einigen Tagen tobt ein massives Berlin-Bashing. Grund ist der Plan des Landesamtes für Einbürgerung (LEA), in diesem Jahr über 40.000 Einbürgerungsanträge zu entscheiden. Der ist nicht neu. Doch angesichts der von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angekündigten Migrationswende – Grenzkontrollen, weniger Asylanträge, mehr Abschiebungen, Abschaffung der beschleunigten Einbürgerung für Leistungsträger – nehmen Unionspolitiker Berlin ins Visier. Und das, obwohl Berlin mit Kai Wegner von einem CDU-Politiker regiert wird.

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Der Vorwurf: Berlin verramsche deutsche Pässe, gebe dem LEA Zielzahlen vor und organisiere im Turboverfahren die Masseneinbürgerung. Das sei unsicher, weil es über weite Strecken komplett digital läuft. Weil Antragsteller erst zur Übergabe der Einbürgerungsurkunde und nicht schon vorher ins Amt kommen müssen, könne nicht überprüft werden, ob es Verfassungsfeinde oder etwa Islamisten sind.

Bundesinnenminister Alexander Drobrindt (CSU) sagte der Bild-Zeitung, „die Genauigkeit der Prüfung“ könne bei Einbürgerungsverfahren „der einzige Maßstab sein und nicht eine vermeintliche Quotenerreichung“. Er könne sich „schlecht vorstellen“, dass der Verfassungstreuecheck „ohne persönliche Vorsprache funktioniert“. Was ist dran an den Vorwürfen aus der Union? Ein Überblick.

Wie lief die Einbürgerung in Berlin?
Bis Ende 2023 waren die Bezirksämter für die Einbürgerungsverfahren zuständig. Die Fälle stapelten sich, ohne Beratungsgespräch war – wie in anderen Bundesländern – kein Antrag möglich, aber die Termine für Gespräche waren rar. Die Bilanz: 9.000 Einbürgerungen pro Jahr. 40.000 nicht entschiedene Altfälle landeten Anfang 2024 beim LEA, einige waren mehr als zehn Jahre alt.

„Seit Jahren warten in Berlin tausende von Mitbürgerinnen und Mitbürger mit unterschiedlichen Nationalitäten und Berufen – von Selbstständigen bis hin zu Angestellten – auf ihre Einbürgerung“, sagt Innensenatorin Iris Spranger (SPD). CDU-Innenexperte Burkard Dregger beschreibt das alte Verfahren der Bezirke als „desorganisiert und dysfunktional“.

Wie ist die Bilanz bei den Einbürgerungen?
2024 übernahm das LEA und konnte 21.802 Menschen einbürgern, im ersten Halbjahr 2025 sind es 20.000. Bis Jahresende setzt Behördenchef Engelhard Mazanke auf 40.000 Fälle. Das LEA arbeitet dabei neue Anträge und die Altfälle ab. Seit der Übernahme durch das LEA „wurden zehntausende digitale Einbürgerungsanträge gestellt“, sagt Spranger. Ist der Antragsstau abgearbeitet, werden es wohl auch nicht mehr 40.000 Einbürgerungen pro Jahr sein.

Abgelehnte Anträge

2024 wurde 64 Anträge abgelehnt, in den ersen sechs Monaten dieses Jahres schon 674.

Wie läuft das neue digitale Verfahren?
Wer einen Antrag stellt, hat gesetzlich Anspruch auf ein zügiges Verfahren. 1.321 Untätigkeitsklagen sind 2024 gegen das LEA erhoben worden, bis Ende Juni waren es knapp 2.000. Deshalb setzt LEA-Chef Mazanke auf Beschleunigung: Das Verfahren läuft komplett digital. Alles beginnt mit einem Quickcheck.

Auf der Website des LEA können Ausländer bereits über einen Fragebogen prüfen, ob sie die Voraussetzungen erfüllen. Auf zehn Quickchecks kommt ein Antrag auf Einbürgerung. „Im LEA haben wir erreicht, was wir uns für viele Berliner Behörden wünschen: Im LEA laufen die Daten, nicht die Bürger“, sagt Innensenatorin Spranger. „Wir werden in zehn Jahren spätestens bei allen Bundesländern entsprechend digitalisierte Ausländerbehörden sehen“, sagt CDU-Innenexperte Dregger.

Innenminister Alexander Dobrindt.

© REUTERS/NADJA WOHLLEBEN

Welcher Voraussetzungen gibt es für eine Einbürgerung?
Wer eingebürgert werden möchte, darf nicht vorbestraft sein, muss eine eigene Wohnung haben, den Lebensunterhalt für sich und seine Familien ohne Stütze allein bestreiten können, folglich auch Steuern zahlen. Er oder sie muss den Sprach- und Einbürgerungstest bestehen. Sie müssen seit fünf Jahren mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland leben und eine Loyalitätserklärung abgeben.

Damit bekennen sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und erklären, dass sie keine verfassungswidrigen oder terroristischen Bestrebungen verfolgen oder unterstützen. Nötig ist auch das Bekenntnis zu Deutschlands historischen Verantwortung für die NS-Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, zum Schutz jüdischen Lebens und zum Verbot von Angriffskriegen.

Muss Deutschland die Antragssteller einbürgern?
Wer die Bedingungen erfüllt, „ist auf Antrag einzubürgern“. Das Gesetz lässt das keinen Spielraum für „soll“ oder „kann“. CDU-Innenexperte Dregger sagt: „Diejenigen, die einen Anspruch haben auf Einbürgerung, sollten auch effizient und zügig eingebürgert werden. Wir alle wollen doch eine funktionierende, digitalisierte Verwaltung.“

Wie sicher ist das digitale Verfahren?
Es müssen keine Papierakten mehr zwischen Ausländeramt, Sicherheitsbehörden und Asylbehörden hin und her geschickt werden. Der gesamte Aufenthalt, Asylantrag, Aufenthaltsgenehmigungen, Schriftverkehr, Belege für Sprachkompetenz und der Einbürgerungstest, Abfragen bei Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, Identitätscheck – alles ist digital in einer Akte und überprüfbar.

Genau deshalb fand die Behörde erst heraus, dass ein Mitarbeiter einer Familie aus Nordmazedonien eine Einbürgerung illegal verschafft hat. Vergangene Woche durchsuchte die Staatsanwaltschaft seine Wohnung. Der Mitarbeiter glaubte dem Versprechen der Frau, wenn sie eingebürgert sei, trenne sie sich und ziehe zu ihm. Die Einbürgerung ist unwirksam.

Reicht ein Gespräch erst am Ende bei der Einbürgerung aus?
Bereits die Annahme, dass es nur ein Gespräch geben, wenn den Betroffenen die Einbürgerungsurkunde übergeben wird, ist laut Innensenatorin Spranger falsch. „Diejenigen, die Einbürgerungsanträge stellen, waren bereits bei der Ausländerbehörde als Teil des LEA vorstellig“, sagt sie. Soll heißen: Beim Verfahren für Asyl und Aufenthaltsgenehmigung haben die Personen vorgesprochen. Bestätigt das LEA, dass eine Person Anspruch auf Einbürgerung hat, wird sie am Ende erneut eingeladen.

Kann dann die Einbürgerung noch gestoppt werden?
Bei einem Rechtsgespräch wird der Antragsteller belehrt. Er muss die Loyalitätserklärung mündlich vortragen und unterzeichnen. Beim kleinsten Zweifel, auch beim äußeren Erscheinungsbild, können die Mitarbeiter die Einbürgerung stoppen. Spranger bezweifelt, dass Mitarbeiter in einer Behörde, die nicht vernetzt ist, die keine kompletten Akten haben, bei einem Gespräch genauso Widersprüche aufdecken können, wie es beim digitalen Verfahren schon möglich ist.

Wenn nach der Einbürgerung der Hinweis vom Verfassungsschutz kommt, dass der Eingebürgerte bereits davor an einer Demonstration teilnahm, die dem Terror der islamistischen Hamas gegen Israel huldigte, und Hamas-Sprüche anstimmte, kann die Einbürgerung aufgehoben werden. Es folgt ein Strafverfahren, der Pass wird entzogen. Denn er hat die Behörde getäuscht. Das Gegenbeispiel dazu: Ein studierter, hochbegabter IT-Techniker aus den USA wird eingebürgert, fällt bei Polizei und Verfassungsschutz nicht auf, wird aber erst nach einem Jahr aktiv in einer Islamisten-Moschee, bejubelt den Hamas-Terror und hetzt gegen Israel. Ihm kann die Staatsbürgerschaft nicht aberkannt werden.

Was bedeutet der Streit für CDU-SPD-Koalition in Berlin?
Das ist noch nicht klar, auf CDU-Seite gibt es verschiedene Signale. Der Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wies die Vorwürfe seiner Unionskollegen am Dienstag zurück. „Von mir gab und gibt s keine Vorgabe zur Zahl der Einbürgerungen“, erklärte Wegner. Entscheidend sei, dass alle rechtlichen Vorgaben eingehalten werden und Missbrauch ausgeschlossen wird. Seine einzige Vorgabe sei, dass das LEA jeden Einzelfall ordnungsgemäß prüfe. Die Innensenatorin habe versichert, dass das auch im digitalen Verfahren gewährleistet sei.

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner dagegen forderte für Einbürgerungen „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Massenhafte Einbürgerungen seien nicht das Ziel der Union. „Wir erwarten die sorgfältige Prüfung durch die SPD-Innensenatorin, wie sie dies auch im Parlament zugesagt hat“, sagte Stettner t-online. „Die SPD befindet sich offenbar im verzweifelten Versuch, die Linkspartei und Grünen links zu überholen, auf radikalem Linksaußenkurs. Das ist der falsche Weg.“

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Spranger sagte, es gebe von der Innenverwaltung „keine Vorgaben, wie viele Einbürgerungen vollzogen werden sollen“. Mit der Digitalisierung sowie der zentralen und beschleunigten Bearbeitung werde der Koalitionsvertrag umgesetzt. CDU-Innenexperte Dregger stützte Spranger und sagte, er müsse seinen Parteikollegen im Bund und dem Vorwurf widersprechen, Berlin bürgere massenweise ein. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagte Dregger. „Die Migrationswende findet statt, aber die hat mit Einbürgerungen nichts zu tun.“ Irreguläre Immigration nach Deutschland werde gebremst. Wer nicht aufenthaltsberechtigt und schutzbedürftig sei, werde abgeschoben.

Wer die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt, solle eingebürgert werden. „So sieht es das Bundesrecht vor“, sagte Dregger. „Wir haben es geschafft, in Berlin die effizienteste, am besten digitalisierteste Einbürgerungs- und Ausländerbehörde Deutschlands zu schaffen. Die anderen Bundesländer sind neidisch auf das, was wir hier erreicht haben.“