Inzwischen verzieht Mario John gar keine Miene mehr, wenn er die Geschichte erzählt. Er hat sie schon x-mal ausgeführt, vielleicht kann er auch deshalb nicht mehr darüber lachen – aber es komme bei Auswärtsspielen tatsächlich immer wieder vor, dass ihm gegnerische Fans „eine gute Rückfahrt nach Greuther Fürth“ wünschen. Viele, sagt John, glauben wirklich, dass seine Heimatstadt so heißt. Mag sein, dass die Geschichte eine amüsante Note hat, aber John, von Kleinkindesbeinen an Fürth-Fan, findet sie schon lange nicht mehr lustig – im Gegenteil. Es sei „einfach traurig“, sagt er und wirkt ernsthaft betroffen.

Es ist Montagabend, John, 36, steht in einem früheren Fabrikgebäude in Fürth, das schon seit mehr als dreißig Jahren ein Kulturzentrum ist. Hier werden sonst Konzerte und Theater gespielt, Bilder ausgestellt und Biere ausgeschenkt, nun ist in einem Nebenraum ein provisorisches Podium für eine Pressekonferenz aufgebaut. Es soll jetzt um die SpVgg Greuther Fürth gehen, um Identität – und um eine 1500-Einwohner-Gemeinde rund 50 Kilometer entfernt von Fürth: Vestenbergsgreuth.

Der dortige Fußballklub hat bis heute einen festen Platz in den Geschichtsbüchern, weil ihm 1994 als Drittligist mit einem 1:0 gegen den FC Bayern eine der größten Sensationen im DFB-Pokal gelang; zwei Jahre später half er dann der finanziell angeschlagenen SpVgg Fürth aus der Klemme. Aus dem TSV Vestenbergsgreuth und der SpVgg Fürth wurde die SpVgg Greuther Fürth – und genau deshalb ist John jetzt mit drei Mitstreitern in dieses alte Fabrikgebäude gekommen. Sie wollen über nicht weniger als die Frage sprechen, wie der Klub heißen soll, der in der zweiten Fußball-Bundesliga 1797 Punkte geholt hat und damit mehr als jeder andere Verein in Deutschland.

Der Vorsänger ist auch ein Vordenker: Mario John (re.).Der Vorsänger ist auch ein Vordenker: Mario John (re.). (Foto: Wolfgang/Imago)

Identität ist ein hohes Gut, auch und gerade im Fußball, in dem sich mehr und mehr jene Klubs durchsetzen, die über finanzielle Mittel verfügen. Der Preis: Alles wird auf Hochglanz poliert, glatter und damit austauschbarer. Ist es da nicht besonders viel wert, Traditionen zu pflegen, für etwas zu stehen und eine eigene gute Geschichte erzählen zu können?

Es sind auch Fragen wie diese, die John beschäftigen. Fußballfans wie er sind Bewahrer. Und dafür engagiert sich John auch. Er ist Vorsänger in der Nordkurve und einer der Köpfe jener Gruppe, die mittlerweile schon seit sieben Jahren darauf hinarbeitet, dass ihr Klub irgendwann wieder unter dem Namen SpVgg Fürth antritt. Schon 2018, als die Fans bei einem Pokalspiel gegen Borussia Dortmund mit ihren Plänen erstmals an die Öffentlichkeit gingen, stand John in der ersten Reihe. Im Laufe der Jahre saß er dann auch am Tisch, wenn die Fans ihr Anliegen bei den Klub-Verantwortlichen vorbrachten.

Heute ist die Identität bei wenigen so klar wie bei ihm: Mario John, aufgewachsen in einem Haus im Laubenweg, nur einen Einwurf entfernt vom Ronhof, in dem Fürth seine Heimspiele austrägt. Das Stadion hat er früher von innen gesehen als eine Schule, jetzt sagt er im Fürther Kulturzentrum: „Wir haben mit Vestenbergsgreuth nichts zu tun. Diese Ortschaft und der Fußballverein haben keinen Bezug zur SpVgg Fürth oder zur Stadt Fürth. Deswegen tun sich viele unglaublich schwer, sich mit diesem Kunstnamen zu identifizieren.“ Zumal die Spielvereinigung oft unterschlagen und nur noch von Greuther Fürth gesprochen werde. Inzwischen rufe sich der Verein zwar auch die Zeit vor 1996 wieder häufiger in Erinnerung und pflege sie als Teil seiner Geschichte, sagt John – aber das genüge noch nicht. Nur: Ist es überhaupt im Sinne des Klubs, dass die Fans gerade jetzt ein derart einschneidendes Thema auf die Tagesordnung setzen?

Braucht es in unruhigen Zeiten auch noch eine ausgewachsene Debatte über den Namen? Die Fans finden: ja

Fürth durchlebt gerade eine äußerst volatile Phase. In der vergangenen Saison saßen vier Trainer auf der Bank, nach der Freistellung von Geschäftsführer Rachid Azzouzi wirkte der Klub merkwürdig orientierungslos, und am letzten Spieltag hätte die Mannschaft noch auf den Abstiegsrelegationsplatz stürzen können. Es sind also ohnehin schon alles andere als stabile Zeiten für die Spielvereinigung. Braucht es da auch noch eine ausgewachsene Debatte über den Namen?

Das Thema schwele nun schon seit Jahren, entgegnet John. Daher müsse es besser heute als morgen ausgeräumt werden. Die Zeit drängt auch deshalb, weil Fans bis zum 31. Oktober Mitglied werden müssen, wenn sie bei der Jahresversammlung 2026 stimmberechtigt sein und sich für die Umbenennung aussprechen wollen. 75 Prozent müssen dann ihr Ja-Wort geben. Geht der Plan auf, könnte das Kleeblatt ab der Saison 2027/28 wieder unter dem Namen SpVgg Fürth auflaufen.

Während schon jetzt etwa drei Viertel der Fanklubs die Pläne unterstützen, sind sie im Verein reserviert bis skeptisch. Der neue, alte Name würde den Klub eine mittlere bis hohe sechsstellige Summe kosten, schließlich müssten die Schriftzüge auf sämtlichen Schildern, Trikots und Fanartikeln geändert werden. John nennt den Austausch mit den Verantwortlichen zwar „vertrauensvoll“ und betont auch: „Uns ist nicht daran gelegen, dass es Grabenkämpfe gibt.“ Allerdings liegt es auf der Hand, dass sich gerade im Verein nicht nur Befürworter finden lassen für den Weg, den John mit seinen Mitstreitern geht.

Er sagt selbst: „Ich kann verstehen, dass der Verein mit einer ganz anderen Sichtweise und Verantwortung an die Sache herangeht, wenn so eine hohe Summe einmalig anfällt. Natürlich macht man sich da Gedanken, wo das Geld herkommt, und hat auch Bedenken, ob es nicht an anderer Stelle ein Loch reißt.“ Die Fans wollten aber durch Projekte und Spendenaufrufe „zwei Drittel bis drei Viertel der Summe selbst aufbringen“. Eine Ankündigung, die ziemlich ambitioniert klingt, doch Mario John und die anderen Anhänger wollen nichts unversucht lassen. Eines soll in Zukunft ja nicht mehr passieren: dass man ihnen eine gute Rückfahrt nach Greuther Fürth wünscht.