„Ich war schockiert und erschrocken, dass das über zwanzig Jahre nicht aufgefallen ist“, sagte Kultusministerin Theresa Schopper am frühen Dienstagabend bei einer Sondersitzung im Landtag in Stuttgart. Hintergrund: Im Schulpersonalbereich wurden 1.440 Lehrerstellen über einen Zeitraum von rund 20 Jahren falsch ausgewiesen und blieben so unbesetzt. Der Fehler wurde vergangene Woche publik. Schopper bezeichnete diese Tatsache als „gravierenden Fehler“ und sprach von einer „gigantischen Panne“, die nun aufgearbeitet werden müsse. Seit 9. Juli hat sie nach eigenen Aussagen davon Kenntnis.
Wichtig sei jetzt, das Vertrauen wiederherzustellen. Dafür wolle man den Fehler transparent machen und nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte. Der Fall reiche bis in die Anfangsjahre des Jahrtausends zurück, als eine Software zur Verwaltung der Lehrerstellen programmiert wurde und später mehrfach umprogrammiert wurde. „Wir haben den Fehler aufgedeckt, aber nicht verursacht“, betonte die Ministerin mehrfach und warnte davor, die Verantwortung alleine bei ihr zu suchen.
50 Prozent der Lehrer sollen Job ablehnen
Heiko Engling, Ministerialdirektor im Finanzministerium, versuchte, die technische Misere zu erklären: „Der Grund ist auf jeden Fall in der IT zu suchen.“ Wann genau der Fehler passiert ist, ist aktuell noch unklar – „es kann auch 1985 gewesen sein. Wir gehen aber davon aus, dass es 2005 war, bei der Umstellung der Vergütungssysteme“, so Engling. Alles Weitere müsse erst aufgearbeitet werden.
Das Kultusministerium gab zudem die konkrete Verteilung der unbesetzten Stellen bekannt. Von den 1440 entdeckten Stellen sollen 485 im Bereich der Sonderpädagogik besetzt werden. Dort herrscht laut Schopper aktuell der größte Mangel an Lehrkräften. Daher wolle man auch den Großteil der Stellen dort zurechnen. Weitere 350 Lehrerstellen gehen an die Grundschulen. Auch mit Blick auf die rund 3000 ukrainischen Kinder, die ab Sommer eingeschult werden, so Schopper. Die übrigen neu entdeckten Stellen verteilen sich auf die Realschulen, Gymnasien, berufliche Schulen und Krankheitsreserven.
Das Problem als „reinen Lehrermangel“ zu bezeichnen, ist laut der Kultusministerin aber zu kurz gegriffen. Es gibt nämlich durchaus junge, engagierte Lehramtsabsolventen – aber die wollen nicht immer da unterrichten, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Trotz Mangel soll die Absagequote bei Referendaren bei stolzen 50 Prozent liegen. Der Grund? „Weil der Arbeitsplatz nicht am Wunschort lag“, berichtete Schopper.
Ministerium hofft auf Flexibilität bei Referendaren
Das Problem ist auch ein geografisches: „Am Bodensee haben wir kein Problem, die Lehrer zu finden und unterzubringen“, so Schopper – „denn da wollen alle gern hin.“ Doch in Gegenden wie Freudenstadt oder Tübingen tue man sich „hart“. Ein Beispiel aus der Praxis: Wer in Freiburg studiert und dort seinen Lebensmittelpunkt hat, will eben nur maximal nach Lörrach pendeln. Ein Dilemma, das auch andere Bundesländer kennen.
Schopper appelliert daher an die Flexibilität und verspricht: „Wir geben eine feste Zusage an alle, die jetzt in einer anderen Schulart unterrichten, dass sie eines Tages an ihre ‚studierte Schulart‛ wechseln können.“ Heißt: Wer als Gymnasiallehrer kurzfristig in der Grundschule aushilft, kommt später auch ans Gymnasium zurück.
Noch diese Woche gibt es weitere Sitzungen
Für Kritik im Saal sorgte auch ein älteres Statement von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Dieser sagte 2022: Einfach nur nach mehr Lehrern zu rufen, „kann nicht die Lösung sein“. Dabei wird in den Raum gestellt: Vielleicht hätten diese zusätzlichen Kräfte tatsächlich geholfen – eingeplant waren sie ja auch.
Nun sind weitere Sitzungen und eine externe Arbeitsgruppe geplant. Der Druck ist enorm: Der größte Bildungsskandal seit Jahrzehnten muss aufgearbeitet werden. Weiter geht es bereits am Mittwochvormittag – mit einer politischen Debatte im Landtag.