Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat verteidigt, dass sich Deutschland dem internationalen Appell von inzwischen 28 Staaten für ein sofortiges Ende des Krieges im Gazastreifen nicht anschließt. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala sagte Merz, Deutschland habe bereits zuvor eine „praktisch inhaltsgleiche“ Position im Europäischen Rat vertreten. An der Gestaltung dieser Erklärung habe er sich „aktiv beteiligt“.
„Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich einer der Ersten gewesen
bin, der in aller Deutlichkeit auch in Deutschland gesagt hat, dass die
Zustände dort nicht länger hinnehmbar sind“, sagte Merz mit Blick auf den
Gazastreifen. „Ich will auch die israelische Regierung jetzt
wirklich mit großem Nachdruck auffordern, die massiven militärischen
Interventionen zu stoppen, einen Waffenstillstand zu ermöglichen und vor
allem die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung dort zu ermöglichen“, sagte Merz.
Der Aufruf, der ursprünglich von 25 Ländern unterzeichnet worden war, darunter Frankreich, Großbritannien und Italien, fordert einen sofortigen Waffenstillstand und das Ende der israelischen Angriffe in Gaza. Die unterzeichnenden Staaten mahnen, Israel müsse seinen Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht nachkommen. Zugleich wird die Hamas zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung der „grausam gefangen gehaltenen Geiseln“ aufgefordert. Ein ausgehandelter Waffenstillstand biete „die beste Hoffnung, sie nach Hause zu bringen und das Leiden ihrer Familien zu beenden.“
© Lea Dohle
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Am Dienstag schlossen sich drei weitere Länder sowie die EU-Kommission der Initiative an. Auch die SPD-Bundestagsfraktion forderte die Bundesregierung inzwischen dazu auf, den Appell zu unterstützen.
Deutliche Unterschiede der Erklärungen
Die Erklärung der 28 Staaten unterscheidet sich von der des Europäischen Rates durch eine ungleich schärfere Tonlage und eindeutige Schuldzuweisungen an die israelische Regierung. So verurteilen die unterzeichnenden Länder „die unmenschliche Tötung von Zivilisten, einschließlich Kindern, die versuchen, ihre grundlegendsten Bedürfnisse nach Wasser und Nahrung zu stillen“, und bezeichnen die israelische Verweigerung humanitärer Hilfe als „inakzeptabel“.
Während der Europäische Rat lediglich die „verheerende humanitäre Lage“ in Gaza beklagt und Israel auffordert, humanitären Zugang zu ermöglichen, sprechen die 28 Staaten von einem „gefährlichen Hilfsmodell“ der israelischen Regierung, das „die Würde der Menschen in Gaza untergräbt“. Auch eine Zwangsumsiedlung der palästinensischen Bevölkerung wird ausdrücklich als „völlig inakzeptabel“ und als „Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“ benannt.
Katastrophale humanitäre Situation im Gazastreifen
Lieferungen der Vereinten Nationen werden seit Monaten kaum mehr in das Küstengebiet gelassen; nach dem Ende der Waffenruhe im März blockierte das israelische Militär fast drei Monate sämtliche Hilfslieferungen vollständig. Inzwischen ist vor allem die von Israel und den USA unterstützte umstrittene Gaza Humanitarian Foundation (GHF) zuständig, die an einigen wenigen Verteilzentren im Süden von Gaza Rationen verteilt. Laut übereinstimmenden Berichten von Augenzeugen und UN-Mitarbeitern hat das israelische Militär sowie von der GHF eingesetztes Sicherheitspersonal in den vergangenen Wochen wiederholt das Feuer auf palästinensische Zivilisten eröffnet. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsministeriums sowie der Vereinten Nationen wurden dabei bislang mehr als 1.000 Menschen getötet. Zudem reichen die Rationen laut UN bei Weitem nicht aus, um die akute Hungersnot zu lindern.
Auch der Weg zu den Ausgabestellen ist hochgefährlich, weil Israel seine Angriffe im gesamten Küstengebiet fortsetzt. Mit sogenannten Evakuierungsanordnungen zwingt das israelische Militär Zehntausende zur Flucht in den Süden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind derzeit rund 85 Prozent des Gazastreifens entweder zur Evakuierung ausgewiesen oder als militärisches Sperrgebiet deklariert.
Zuletzt kündigte die israelische Regierung an, im Süden von Gaza ein Lager errichten zu wollen, das zunächst 600.000 Palästinenser beherbergen soll. Einmal umgesiedelte Menschen sollen die sogenannte „humanitäre Stadt“ nach Betreten nicht mehr verlassen dürfen. Führende Vertreter der israelischen Regierung haben sich bereits zuvor wiederholt zu dem Ziel bekannt, den Gazastreifen dauerhaft zu entvölkern. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung ethnische Säuberungen vor, sowie Hunger gezielt als Kriegswaffe einzusetzen. Der Vorwurf eines Völkermords wird derzeit vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geprüft.
Alle Entwicklungen zum Krieg im Gazastreifen lesen Sie in unserem Liveblog.
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