„Wie sagt man, dass man aus Rostow kommt, ohne zu sagen, dass man aus Rostow kommt? Man hat nur einen Balken Handyemfang“. Dieser Satz stammt aus einem Video des russischen Influencers Pavel Osipyan, das kürzlich auf Instagram viral ging. In dem Clip läuft Osipyan mit seinem Smartphone durch seine Stadt und beschwert sich in einem Rapsong über die anhaltenden Internetausfälle.

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Osipyan beklagt: „Wir haben bis 12 Uhr Internet, und seit Kurzem gibt es überhaupt keine Verbindung mehr.“ Er könne weder seine Einkäufe digital bezahlen, noch das Parkticket. Der Rapper kommentiert die Situation sarkastisch: „Kein Grund zur Verärgerung, gewöhnen Sie sich einfach daran“.

Der Fall ist offenbar keine Seltenheit. Seit etwa zwei Monaten seien Dutzende russische Regionen von Handy- und Internetabschaltungen betroffen, berichtet die Nachrichtenagentur AP. Es komme zum Ausfall von Kartenzahlungen, Taxi- und Mitfahrapps und sogar Geldautomaten. Beobachtern zufolge begannen die Probleme mit Beginn der Feierlichkeiten und der Militärparade, die Russland zum 80. Jahrestag der Niederlage Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg im Mai abgehalten hatte.

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Immer wieder Internetausfälle

Was steckt dahinter? Nach offiziellen Angaben der russischen Behörden seien die Internetabschaltungen notwendig, um ukrainische Drohnen abzuwehren. Betroffen waren zunächst grenznahe Gebiete wie etwa Rostow. Später jedoch gab es Internetprobleme auch im Rest des Landes – selbst die Hauptstadt Moskau war zeitweise betroffen. Fachleute sehen in den Vorfällen daher keine Sicherheitsmaßnahme, sondern eine ganz neue Dimension der Internetzensur in Russland.

Anastasiya Zhyrmont, Policy Manager für Osteuropa und Zentralasien bei der Gruppe für digitale Rechte Access Now, sagte der Nachrichtenagentur, solche Abschaltungen würden häufig im Namen der Sicherheit durchgeführt, öffneten den Behörden aber „Tür und Tor für den Missbrauch der Beschränkungen“. Gleichzeitig gefährden sie offenbar den Alltag und die Versorgungssicherheit tausender Russinnen und Russen.

Ausfälle würden manchmal stunden-, manchmal aber auch tagelang anhalten, berichten Betroffene der Nachrichtenagentur. Eine Bewohnerin von Woronesch erklärte, sie habe sich Anfang Juli „wie in einer Höhle“ gefühlt, da es im Haus weder Handynetz noch stationäres Internet gab. Erst am nächsten Tag haben sie bei der Arbeit wieder online gehen können. Laut dem Verband unabhängiger Apotheken komme es zu Problemen bei der Ausstellung von Rezepten. Diese müssten in einer speziellen Software erfasst werden, was jedoch aufgrund der Ausfälle wochenlang nicht möglich sei.

Zhyrmont warnt vor einem Gewöhnungseffekt, der langsam eintrete. Viele Russinnen und Russen würden sich allmählich damit abfinden, dass Internetbeschränkungen zu ihrem Alltag gehörten. Die Lage sei „sehr beunruhigend“.

Tests für ein abgeschottetes Netz

Die Internetausfälle der vergangenen Monate reihen sich ein in eine ganze Serie von Maßnahmen, die offenbar darauf abzielen, das russische Internet immer drastischer zu beschränken. Schon seit Jahren wird gemutmaßt, dass Russland mit einem nationalen, vollständig abgeschotteten Internet liebäugelt – vergleichbar mit der Great Firewall in China. Und in der Vergangenheit wurden technische Möglichkeiten dafür intensiv getestet.

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Bereits 2019 wurde ein Gesetz verabschiedet, das der russischen Regierung die Befugnis erteilt, Internetnutzerinnen und -Nutzer innerhalb Russlands von der weltweiten Netzinfrastruktur abzutrennen. Dazu sollte ein alternatives Domain-Name-System (DNS) aufgebaut werden – zudem wurden russische Internet-Provider dazu verpflichtet, Tools zu installieren, um den Datenverkehr einzusehen und bei Bedarf auch zu zensieren. Begründet wurde das Gesetz seinerzeit mit dem angeblichen Schutz vor Cyberangriffen. Kritikerinnen und Kritiker vermuteten hingegen, die Maßnahme diene vor allem dazu, mögliche Aufstände innerhalb der Bevölkerung schon im Keim zu ersticken.

Im Dezember und an zwei Tagen im Januar kam es dann mehrmals zu größeren „Machtdemonstration“, wie die Autoren-Organisation Global Voices es formuliert. Mehrere Tage hintereinander konnte rund ein Drittel der russischen Internetnutzer die meisten Websites und Plattformen nicht erreichen. Medienberichten zufolge handelte es sich dabei um Tests der Zensurbehörde Roskomnadsor, die offenbar überprüfen wollte, was passiert, wenn alle Netzwerke, die das russische mit dem ausländischen Internetsegment verbinden, komplett abgeschaltet würden.

Plant Russland ein Whatsapp-Verbot?

Auch andere Pläne deuten darauf hin, dass Russland verstärkt an einem eigenen Internet-Ökosystem arbeitet, das ohne Zugang zum freien Netz funktioniert. Der aktuellste Vorstoß: ein mögliches Verbot des Messengers Whatsapp. Anton Gorelkin, der Vorsitzende im Duma-Ausschuss für Informationspolitik, schrieb auf Telegram, es sei Zeit, „dass Whatsapp sich darauf vorbereitet, den russischen Markt zu verlassen“.

Auch weitere Mitglieder des IT-Ausschusses unterstützen den Vorstoß. Anton Nemkin etwa wird von der Nachrichtenagentur TASS zitiert: „Die Präsenz eines solchen Dienstes im digitalen Raum Russlands ist faktisch ein Verstoß gegen die nationale Sicherheit.“

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Laut einem Bericht des kremlkritischen Exil-Mediums „Meduza“ ist die Sperrung von Whatsapp wohl schon beschlossene Sache. Der Dienst zählt mit rund 97 Millionen Nutzerinnen und Nutzern in Russland zum mit Abstand beliebtesten Kommunikationstool.

Ein russisches WeChat steht in den Startlöchern

Doch was wäre die Alternative? Wohl nicht ganz zufällig ist erst vor wenigen Monaten in Russland ein neuer Messengerdienst namens Max vorgestellt worden. Hinter ihm steht das Unternehmen VK, das auch den russischen Facebook-Klon VKontakte betreibt. Dieses arbeitet seit Jahren eng mit dem russischen Staat zusammen.

Mitte Juni stimmte Russlands Staatsduma dann für ein Gesetz zur Einführung eines nationalen Kurznachrichtendienstes. Zwar wird Max darin nicht explizit erwähnt – doch vieles spricht dafür, dass der VK-Dienst künftig als russisches Standardkommunikationstool dienen soll. Er könnte dann auch weitere Dienste beinhalten, etwa Bezahlmöglichkeiten. Es ist das exakt gleiche Konzept, wie es auch in China existiert.

Die russische Politik hat offenbar schon lange den Plan zur Einführung einer Super-App, die ähnlich wie das chinesische WeChat funktionieren soll, wie „Meduza” berichtet. Hier werden private Chats mit Bezahlmöglichkeiten und allen möglichen weiteren Diensten verbunden. Der Vorteil: Läuft alles über einen einzigen Dienst, hat der Staat auch die bestmögliche Kontrolle über seine Bürgerinnen und Bürger.

Die App werde wahrscheinlich nicht nur in der Lage sein, private Nachrichten mitzulesen und Einsicht auf alle Kontakte und Fotos zu haben – es sei auch möglich, Nutzerinnen und Nutzer auf Schritt und Tritt zu lokalisieren, warnte im Juni der russische IT-Experte Michail Klimarew gegenüber dem WDR. „Es ist buchstäblich ein Spitzel, ein personalisierter Spitzel, der sagt, wo du gewesen bist“, so Klimarew. Der Konzern VK gibt Berichten zufolge schon jetzt Hinweise auf Straftaten auf seiner Plattform nicht nur weiter, sondern beteiligt sich auch aktiv an der Suche nach rechtswidrigen Äußerungen.

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Gesetz stellt Suche nach Inhalten unter Strafe

Parallel zu diesen Maßnahmen arbeitet der Kreml weiter an seiner Gesetzeslage, um das freie Internet zu beschränken. Erst vor wenigen Tagen hatte das russische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das künftig allein die Suche nach Inhalten strafbar macht, die die russischen Behörden als „extremistisch“ einstufen.

Darunter fällt in Russland praktisch alles, was nach Regierungskritik aussehen könnte – etwa der Anti-Korruptions-Fond des in Haft gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny. Wer gegen das Gesetz verstößt, muss mit einer Geldstrafe von 5000 Rubel (rund 55 Euro) rechnen. Bislang war lediglich das Verbreiten und Schaffen angeblicher „extremistischer Inhalte“ verboten – ein Gesetz für die Suche danach gab es nicht.

Auch eine weitere Gesetzesänderung wurde von den Abgeordneten der Staatsduma angenommen: Künftig wird Werbung für sogenannte VPN-Dienste unter Strafe gestellt. Darunter versteht man Apps, mit denen sich das Geoblocking umgehen lässt – so lassen sich auch gesperrte Websites in Russland aufrufen. Wer künftig Werbung für derartige Dienste macht, muss mit einer halben Million Rubel Strafe rechnen, was rund 55.000 Euro entspricht. Die Apps selbst bleiben jedoch zunächst weiter erlaubt.

Die Abschottung schreitet voran

Russland hat eine lange Historie, was Internetsperrungen betrifft. Schon Anfang der Nullerjahre wurden im Land die ersten Websites blockiert, 2008 wurde dann die Zensurbehörde Roskomnadsor gegründet, die weitreichende Regulierungsbefugnisse für Medien, Telekommunikation und Informationstechnologie erhielt.

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Mit der russischen Vollinvasion in der Ukraine wurde schließlich ein Großteil von Medienwebsites sowie nahezu alle sozialen Netzwerke in Russland gesperrt, mit Ausnahme von Youtube. Doch auch die Plattform hat inzwischen mit Einschränkungen zu kämpfen: Seit dem vergangenen Jahr wurde die Geschwindigkeit der Website immer wieder gedrosselt.

Im September gab der Kreml Pläne bekannt, in den nächsten fünf Jahren über eine halbe Milliarde US-Dollar (fast 60 Milliarden Rubel) in die Modernisierung seines Internet-Sperrsystems zu investieren, insbesondere gegen die Nutzung von VPNs. Der Weg zur vollständigen Abschottung des russischen Internets, er scheint nicht mehr weit.

Mit dpa und AP