Jörg Matysik ist „erstaunt“, als er in der vergangenen Woche eine Anfrage der Leipziger Zeitung (LZ) erhält: „Nehmen wir einmal an, jemand, der Sie nicht leiden kann, Grund ist egal, rammt Ihnen ein Messer in den Rücken. Oder dieser jemand verleumdet Sie mit absurden Anschuldigungen auf Plakaten. Diese Person ist offenbar ein Krimineller. Ein Journalist fragt Sie dann: Was haben Sie falsch gemacht, dass der Messerstecher so außer sich war?“
Wer diese angenommenen Personen in der Realität sein sollen, ist offensichtlich: Der Journalist bin ich, das Opfer ist Matysik und der Messerstecher ist eine Gruppe von antifaschistischen Studierenden. Als letztere bezeichnen sich zumindest eine oder mehrere Unbekannte in einem „Outing“, das sie Ende Juni veröffentlicht haben. Sie warnen darin vor einem „rassistischen Prof“ namens Jörg Matysik.
Dieser lehrt seit 2013 als Professor am Institut für Analytische Chemie der Universität Leipzig. Laut Uni-Homepage hat es sich seine Forschungsgruppe zum Ziel gesetzt, „die Spin- und Photochemie von photosynthetischen Systemen, Photorezeptoren und Materialien durch die Entwicklung und Anwendung von optischen NMR-Methoden zu verstehen“.
Outing im Internet und am Campus
Außerdem soll Matysik auf einem eigenen Blog „Corona-Schwurbel“ betreiben, den Klimawandel leugnen und „faschistoiden Hass auf Migrant*innen“ schüren. So ist es in dem Outing zu lesen, das sowohl auf den linksradikalen Online-Plattformen „Indymedia“ und „Knack.News“ als auch am Campus der Fakultät für Chemie und Mineralogie verbreitet wurde. Auf den Plakaten finden sich zudem ein Foto des Professors und Zitate von seinem Blog.
Dort schrieb er beispielsweise: „Der kriminelle Abschaum aber, der polizeibekannt ist, der sich nicht abschieben lassen werden wird, muss nach der Genfer Konvention interniert werden, wenn Abschiebung trotz Drucks nicht möglich ist.“ Den „Abschaum“ ersetzte Matysik später durch „Abenteurer“, nachdem ein „geschätzter Kollege“ das Wort als nicht akademisch genug kritisiert habe.
Matysik betont auf seinem Blog, dass freiwillige Ausreise „natürlich immer möglich“ sei, und zeigt Gnade mit gut integrierten Migrant*innen: „Wer Richard Wagner auf dem Klavier oder Matthias Claudius auf der Orgel spielen kann, soll bitte bleiben! Herzlich willkommen, wunderbare Menschen! Hier mich gerne kontaktieren.“
Bis vor Kurzem war mit „hier“ gemeint: das Institut für Analytische Chemie. Dieses hatte Matysik auf der Kontaktseite als Adresse angegeben, inklusive Telefonnummer seines Sekretariats. Für den virtuellen Kontakt war seine persönliche Uni-Mailadresse hinterlegt.
Das Blog selbst nutzt keine Infrastruktur der Universität, sondern ist Teil einer privaten Homepage von Matysik. Er informiert dort über Forschung und Veröffentlichungen, kommentiert aber eben auch ausführlichst das politische Weltgeschehen.
Sympathie mit Trump und gegen den „woken Wahnsinn“
Dabei vertritt er immer wieder rechte Positionen und lässt keine Zweifel an seinen Sympathien: „Meloni, Wilders und Trump sind nur der Beginn. Diese und ihre Nachfolger werden den Wahnsinn beseitigen, der uns nun bedroht und hemmt.“ An anderer Stelle wird Matysik präziser, welche Art von Wahnsinn er meint: „Die letzten fünf Jahre waren besonders unangenehm. Überall in Deutschland erschien der woke Wahnsinn.“
In der folgenden Erläuterung des „woken Wahnsinns“ äußert sich Matysik abwertend über trans Menschen und queere Kinder, beklagt angebliche Sprechverbote und behauptet, dass die Unschuldsvermutung nicht mehr für Männer gelte und dass es zum „sozialen Tod“ führe, die Vorstellung vom menschengemachten Klimawandel zu kritisieren.
In einem anderen Kommentar schreibt Matysik, dass „1+1=2 nicht mehr für Schwarze gelten soll“, und meint damit offenbar angebliche Auswüchse von Identitäts- und Gleichstellungspolitik. Über die Bedeutung lässt sich nur spekulieren, denn die Frage, was genau damit gemeint ist, blieb unbeantwortet.
Uni-Gremien reagieren zurückhaltend, deutlich oder gar nicht
Ähnlich zurückhaltend reagierten verschiedene Stellen an der Universität auf Anfragen der Leipziger Zeitung. Die Gleichstellungsbeauftragte der Chemie-Fakultät antwortete gar nicht, das Dekanat verwies auf die Pressestelle der Universität; Chemie-Fachschaftsrat (FSR) und Unileitung argumentieren, dass es sich um private Äußerungen handle, die – so eine Sprecherin des FSR Chemie – „außerhalb des universitären Kontexts getätigt“ worden seien.
Zumindest letztere Aussage erscheint fragwürdig, verwies doch das Impressum zum Zeitpunkt der Anfrage klar auf das universitäre Chemie-Institut und die universitäre Mailadresse. Mittlerweile wurden diese Angaben gelöscht und durch persönliches Postfach und private Mailadresse ersetzt. Ob das auf Druck oder freiwillig geschah, blieb seitens Matysik unbeantwortet. Laut Uni-Pressestelle war das Impressum zuvor „Gegenstand einer internen Prüfung“.
Fachschaftsrat und Unileitung betonen, dass ihnen Menschenwürde, Pluralität, Toleranz, Vielfalt und Chancengleichheit wichtig seien. Natürlich ganz unabhängig von der Personalie Matysik.
Fakultät für Chemie und Mineralogie der Universität Leipzig. Foto: René Loch
Deutlicher positioniert sich das Stura-Referat für Hochschulpolitik. „Die Inhalte seines Blogs sind in Teilen menschenverachtend, diskriminierend, wissenschaftsfeindlich und verhöhnen die Lebensrealität vieler Studierender“, teilen die beiden Referent*innen Pauline Rothkegel und Alaska Krakor auf Anfrage mit. Es sei „nicht hinnehmbar“, dass sich ein Universitätsprofessor „gegen die Existenzweise von trans*, nicht-binären und rassifiziert wahrgenommenen Studierenden“ stelle.
Mit seinen Aussagen schaffe Matysik eine „Atmosphäre der Einschüchterung“, vor allem für Studierende, die sich kritisch äußern oder zu den im Blog erwähnten Gruppen gehören. „Wir fordern eine kritische Auseinandersetzung der Universität Leipzig mit der Personalie Jörg Matysik und erwarten, dass sie ihre Verantwortung gegenüber ihrer diversen Studierendenschaft wahrnimmt.“
Hinweise darauf, dass sich der Chemie-Professor gegenüber Studierenden ähnlich äußert wie auf seinem Blog, gibt es nicht. Das betonten mehrere Gesprächspartner*innen im Laufe der Recherche – auch solche, die das Blog kritisch sehen.
Matysik ätzt auch gegen Kolleg*innen der eigenen Hochschule
Matysik teilte mit, dass er zu den „Ergebnissen seiner Analysen“ stehe: „Man muss stolz sein, von Kriminellen – in meinem Falle: rot-lackierten Nazis – beschuldigt worden zu sein. Man muss der Kripo viel Erfolg bei den Ermittlungen wünschen.“ Wissenschaft lebe von Dialog und Disput, so Matysik.
Ein Beispiel für Dialog und Disput schilderte Matysik kürzlich in spöttischem Ton auf seinem Blog: „Auch ich wurde von ein/em/er/x Kolleg/en/in/x (m/w/d/x/y) aus der/die Leipziger/in KulturWissenschaft/in angesprochen: In den Naturwissenschaften seien ja kolonialistische Strukturen noch sehr stark.“ Matysik ergänzte mit einem augenzwinkernden Smiley, dass er „natürlich sofort herzlich zugestimmt“ habe. Danach argumentierte er mit Beispielen gegen die These.
„Es freut mich, dass Herr Kollege Matysik noch einen freien Platz im Internet gefunden hat“, schreibt Thomas Schmidt-Lux, Leiter der von Matysik erwähnten Leipziger Kulturwissenschaften, auf LZ-Anfrage. „Seine Kenntnisse kulturwissenschaftlicher Perspektiven sind nur zu bewundern und werden sicherlich eine angemessene Leserschaft finden.“
Möglicherweise wird Matysik seine Kenntnisse aber bald an einem anderen Platz im Internet vermitteln. Nach LZ-Informationen gab es ein Gespräch zwischen ihm und der Führungsebene der Universität. Ergebnis soll unter anderem gewesen sein, dass sein Blog und die sonstigen Inhalte der Homepage künftig stärker voneinander getrennt werden. Matysik wollte das auf Anfrage nicht bestätigen.