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Ukraine-Präsident Selenskyj besiegelt Korruptionsgesetz trotz Widerstand. Demonstrationen folgen umgehend. EU-Beitrittshoffnungen schwinden rapide.

Kiew – Für einen EU-Beitritt muss die Ukraine sich EU-Standards anpassen und die Korruption bekämpfen. Doch ein neues Gesetz beschränkt jetzt die Unabhängigkeit von Ermittlungsorganen. In Kiew kommt es zu Protesten gegen das neue Korruptionsgesetz. Der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, warnt vor dem Verlust der Unabhängigkeit von Organen zur Korruptionsbekämpfung. „Faktisch wurden zwei Institute – das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) – in die Abhängigkeit überführt. Wir sind kategorisch dagegen.“

Am 22. Juli unterzeichnete Präsident Wolodymyr Selenskyj dennoch das neue Gesetz. Als Reaktion versammelten sich mehrere Hundert vor allem junge Menschen in Sichtweite des Präsidentensitzes in Kiew, um gegen die Entwicklung im Zusammenhang mit der Korruption zu protestieren. In Sprechchören riefen sie „Schande, Schande“, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur von dem Ort berichtete. Für die Ukraine könnte sich das neue Gesetz auch darüber hinaus zum größeren Problem entwickeln. Die Europäische Union und die G7-Staaten äußerten die Befürchtung, dass der Schritt den Kampf der Ukraine gegen Korruption untergraben und ihre EU-Beitrittsbemühungen verzögern könnte.

Gesetz schränkt Antikorruptionsbehörden ein: EU reagiert besorgt

Ein Sprecher der EU-Kommission sagte in Brüssel, die EU sei besorgt über die jüngsten Maßnahmen der Ukraine. NABU und SAP seien für die Reformagenda der Ukraine von entscheidender Bedeutung und müssten unabhängig arbeiten, um die Korruption zu bekämpfen. Er erinnerte auch daran, dass die EU der Ukraine viel Geld zur Verfügung stellt, „das von Fortschritten in den Bereichen Transparenz, Justizreform und demokratische Staatsführung abhängig gemacht wird“.

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Die Ukraine rangiert aktuell im Corruption Perceptions Index 2024 von Transparency International auf Platz 105 von 180 Ländern mit 35 von 100 Punkten. Trotz der schlechten Platzierung konnte die Ukraine seit 2014 erhebliche Verbesserungen erzielen. 2023 rangierte das Land sogar vor Russland. Das neue Gesetz stürzt die Ukraine nun allerdings in eine neue Korruptions-Krise und rückt die EU-Bestrebungen des Landes, abseits von den Hindernissen durch den Ukraine-Krieg, in weitere Ferne.

EU-Beitritt an Korruption in der Ukraine gekoppelt – Selenskyj vor großer Aufgabe

Für einen EU-Beitritt hatte die Europäische Kommission sieben Kriterien festgelegt, die für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllt sein müssen. Mehrere Punkte tangieren dabei die Korruption in der Ukraine. Die Bundeszentrale für politische Bildung nannte 2023 in einer Analyse die Korruption und die Bekämpfung ebendieser als größte Hürde für den EU-Beitritt des Landes. Vor der Gesetzesänderung hatte die Ukraine in diesem Zusammenhang wichtige Reformen angestoßen, etwa die Wiedereinführung der Verpflichtung für öffentliche Bedienstete, jährliche Einkommens- und Vermögenserklärungen abzugeben.

Parlamentssitzung UkraineSelenskyj will direkt mit Putin verhandeln. (Archivbild) © Vadym Sarakhan/AP/dpa

Parteien müssen zudem regelmäßig eine Finanzberichterstattung vorweisen. In den Fokus der Kontrolle sind auch Spitzenpolitiker gerückt. Deren finanzielle Überwachung wurde an internationale Standards angepasst. Die Korruptionsbekämpfung ist besonders kritisch im Hinblick auf den geplanten Wiederaufbau der Ukraine nach Kriegsende. Die Bundeszentrale für politische Bildung warnte 2023: „Vor allem im Hinblick auf den anvisierten EU-Beitritt und den Wiederaufbau nach Kriegsende, der mit enormen internationalen Geldern finanziert werden muss, muss die Ukraine den nach dem Maidan eingeschlagenen Reformkurs konsequent fortsetzen.“

Korruption in der Ukraine: Geheimdienst SBU ging gegen NABU vor

Der jetzigen Gesetzesänderung im Zusammenhang mit der Korruption in der Ukraine gingen jüngst Razzien durch regierungsnahe Behörden voraus. Erst am Montag war der Selenskyj unterstehende Geheimdienst SBU unter anderem mit Vorwürfen der Zusammenarbeit mit Russland gegen Mitarbeiter des NABU vorgegangen. Die Behörde sprach demnach von einem „russischen Agentennetz“. EU und G7-Botschafter reagierten darauf zurückhaltend.

Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko begrüßte nun die Verabschiedung des neuen Gesetzes. „Das ist für mich ein strahlender Tag in diesem Parlament. Denn das erste Mal haben wir uns davon überzeugt, dass die Kolonisierung der Ukraine kein Allheilmittel für all unsere Probleme ist“, sagte sie laut der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Kritiker hatten den Organen zur Korruptionsbekämpfung immer unterstellt, ein westliches Einflussmittel auf die ukrainische Politik zu sein.

Selenskyj zu Korruptions-Gesetz – Ukraine gehe gegen „russischen Einfluss“ vor

Selenskyj begründete die Gesetzesentscheidung nach Informationen der Kyiv Post mit russischem Einfluss auf das Land. „Die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung wird funktionieren, aber ohne russischen Einfluss – alles muss aufgeräumt werden. Und es sollte mehr Gerechtigkeit geben“, sagte er in seiner täglichen Videobotschaft. (fbu/dpa)