Der Internationale Gerichtshof verlangt von Staaten mehr Einsatz gegen den Klimawandel: In einem Gutachten hat er eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ als Menschenrecht bezeichnet. Geschädigte Länder könnten sogar Anspruch auf Reparationen haben.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) hat erstmals ein Gutachten zum Umgang mit der Klimakrise veröffentlicht – und nimmt damit Länder weltweit in die Verantwortung.
Der Klimawandel stelle eine „universelle und ernstzunehmende Bedrohung“ für die Weltgemeinschaft dar. Daraus ergebe sich eine völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, Maßnahmen zu ergreifen, um dessen Voranschreiten einzudämmen.
Der IGH bezeichnete eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ als Menschenrecht. Zudem bekräftigte er die Verbindlichkeit des 1,5-Grad-Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen: Es sei die zentrale, wissenschaftlich belegte Vereinbarung der unterzeichnenden Staaten. Der Gerichtshof unterstreicht damit das Ziel, die globale Erwärmung zu begrenzen.
Fehlende Maßnahmen könnten völkerrechtswidrig sein
Es ging bei dem als wegweisend geltenden Gutachten vor allem um die Frage, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen Staaten zum Schutz des Klimasystems haben und welche Konsequenzen daraus folgen. Sollten Staaten keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, könne das völkerrechtswidriges Handeln sein, erklärte IGH-Präsident Yuji Iwasawa während der Verlesung des Gutachtens.
Das Gericht erklärte außerdem, dass Länder, die durch den Klimawandel geschädigt wurden, unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Entschädigung für die Schäden haben könnten. Was ihnen zustehe, müsse allerdings von Fall zu Fall entschieden werden.
Richtungsweisend – aber nicht bindend
Bindend sind die Forderungen des IGH allerdings nicht – denn es ist kein klassisches Urteil. „Der Gerichtshof nimmt eine beratende Rolle ein und legt seine Rechtsauffassung dar“, erklärte Philipp Overkamp von der Universität des Saarlandes. Aber dennoch: Der IGH genieße „juristische Autorität“. Das Gutachten gilt als wegweisend für künftige Debatten.
Die Einstufung einer sauberen Umwelt als Menschenrecht ebnet den Weg für weitere rechtliche Schritte, mit denen sich Staaten gegenseitig zur Rechenschaft ziehen können, aber auch für innerstaatliche Gerichtsverfahren.
„Das höchste Gericht der Welt hat uns ein mächtiges neues Instrument an die Hand gegeben, um die Menschen vor den verheerenden Auswirkungen der Klimakrise zu schützen – und um Gerechtigkeit für den Schaden zu schaffen, den ihre Emissionen bereits verursacht haben“, sagte die ehemalige UN-Menschenrechtsbeauftragte Mary Robinson in einer Erklärung.
Aktivisten von Pazifikstaat kämpften jahrelang für Gutachten
Angestoßen hatten das wegweisende Gutachten Aktivisten des Inselstaates Vanuatu. Dort sind die lebens- und existenzbedrohenden Folgen des Klimawandels bereits deutlich spürbar: Immer mehr Zyklone wüten und zerstören die Lebensgrundlagen der Bewohner. Durch den Anstieg des Meeresspiegels sind einige Landstriche nicht mehr bewohnbar, die gezwungene Umsiedlung ist bereits real.
Die Studierendenorganisation PISFCC sammelte jahrelang weltweit Unterstützer für ihr Vorhaben, um die Problematik vor das höchste Gericht der Welt zu bringen. Mit Erfolg: Die UN-Vollversammlung beauftragte das IGH 2023 ohne Gegenstimmen mit dem Gutachten.
Das Gutachten des IGH bringe eine Welt näher, in der Regierungen ihre rechtlichen Verpflichtungen nicht länger ignorieren könnten, sagte PISFCC-Präsidentin Vishal Prasad. „Sie bestätigt eine einfache Wahrheit der Klimagerechtigkeit: Diejenigen, die am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben, verdienen Schutz, Wiedergutmachung und eine Zukunft.“
Mit Informationen von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion