Der Himmel ist grau und der Regen setzt gerade wieder etwas stärker ein, als der französische Präsident um Punkt 19 Uhr aus dem Helikopter steigt und den grünen Rasen betritt. Mit einer guten halben Stunde Verspätung nimmt ihn der Bundeskanzler vor der Villa Borsig im Nordwesten Berlins in Empfang.
Der geplante Spaziergang muss witterungsbedingt ausfallen. Kräftiger Handschlag, Umarmung, doppelter Handschlag, Lächeln. Dann betreten sie gemeinsam das opulente Landhaus der ehemaligen Unternehmerfamilie.
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Nach dem Krieg war die Villa Borsig die Residenz des Oberkommandierenden der französischen Truppen in Deutschland. Mittlerweile werden auf dem Gelände am Tegeler See unter anderem angehende Diplomatinnen und Diplomaten ausgebildet. An diesem Tag ist sie Schauplatz für den ersten Staatsbesuch des französischen Präsidenten in Berlin, seit Merz Kanzler ist.
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Der CDU-Vorsitzende reiste schon am ersten Tag nach seiner Vereidigung nach Paris. Damals riefen sie einen Neustart der deutsch-französischen Beziehungen aus. Seitdem sind sich beide bei verschiedenen internationalen Veranstaltungen begegnet.
Beide duzen sich. Merz heißt den „lieben Emmanuel“ willkommen, auch auf Französisch. Der bedankt sich später beim „lieben Friedrich“ und spricht von einer persönlichen Freundschaft ihrer beiden Länder.
Der Termin am Mittwoch ist ein reines Arbeitstreffen. Handel, Ukraine, Gaza, Europa – die Themenliste ist lang für einen Kurzbesuch. Es soll keine Entscheidungsvorlagen geben. Auch Fragen von Journalisten waren nicht zugelassen.
Die Botschaft soll klar sein: Die deutsch-französische Achse funktioniert wieder. Merz und Macron versuchen weiter ein Signal der Einigkeit zu senden. Doch in zentralen Fragen sind Deutschland und Frankreich anderer Auffassung – bis jetzt.
Reaktion auf Trumps Zölle
Der US-Präsident will auf europäische Importe ab dem 1. August Zölle von 30 Prozent erheben. In Brüssel arbeitet man weiter an einem Kompromiss mit Washington, hat allerdings auch etwaige Gegenmaßnahmen in Höhe von 72 Milliarden Euro auf Produkte wie Whiskey oder Jeans vorbereitet.
Bisher drängte Merz eher auf Deeskalation und Verhandlungen mit Trump. Reagieren will er nur, wenn die Verhandlung scheitern. Macron forderte dagegen schon lange mehr Druck und Entschlossenheit seitens der EU.
Der französische Präsident signalisierte zudem Bereitschaft, die sogenannte „Handels-Bazooka“ einzusetzen. Damit könnten US-Firmen zum Beispiel von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Laut einem Bericht der „Financial Times“ vom Mittwoch befürwortet nun auch Deutschland den Einsatz des noch nie genutzten Instruments. „Deutschland hat sich innerhalb weniger Tage um 180 Grad gedreht“, zitiert die Zeitung einen Diplomaten.
Macron sagt vor dem Gespräch mit Merz, man habe sich in den letzten Tagen intensiv mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsident Giorgia Meloni abgestimmt. Nun pocht Macron auf einen Abschluss der Gespräche, „so schnell und so gut wie möglich“. Während beide vor den Mikrofonen stehen, machen Gerüchte die Runde breit, dass die Verhandlungen zwischen den USA und der EU entscheidend vorangekommen sind.
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Haltung zu Gaza-Krieg
Deutlich weiter auseinander liegen die Positionen in der Nahostpolitik. Frankreich und Großbritannien haben die israelische Regierung in einer Resolution mit 26 weiteren Staaten zu einem sofortigen Ende der Kampfhandlungen im Gazastreifen aufgefordert. Macron und Co. sind für einen sofortigen Waffenstillstand, das Ende der israelischen Angriffe und die Einhaltung des Völkerrechts durch Israel.
Das Leiden in Gaza muss enden Deutschland sollte Waffenexporte nach Israel aussetzen
Merz und die Bundesregierung teilen die Positionen zwar inhaltlich. Unterschrieben hat Deutschland die Resolution allerdings nicht. Zudem tritt man deutlich weniger konfrontativ gegenüber Israel auf. Druck auf Merz dürfte nicht nur von Macron kommen. Auch in der SPD-Bundestagsfraktion wurden zuletzt Stimmen lauter, die einen Kurswechsel in der deutschen Israel-Politik fordern.
Freihandel mit Südamerika
Beim Mercosur-Abkommen sind die Rollen genau umgekehrt. Auf der Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten drängt die Exportnation Deutschland und vor allem die kriselnden Autobauer seit Jahren auf eine Freihandelszone mit Argentinien, Brasilien und weiteren südamerikanischen Staaten. Auch Merz pocht darauf, dass ein entsprechendes Abkommen nach über zwei Jahrzehnten Verhandlungen 2026 endlich in Kraft tritt.
Frankreich ist seit Jahren einer der größten Kritiker des Abkommens. Zwar bewegte man sich bei dem Thema zuletzt etwas auf die deutsche Position zu. Doch Macron sitzen weiter die heimischen Bauern im Nacken. Durch günstigeres Rindfleisch oder Geflügel aus Südamerika sehen sie ihre Existenz bedroht.
Nach der politischen Einigung im Dezember feilt die EU-Kommission weiter an den letzten Details des Abkommens. Parlament und Rat müssen dem noch zustimmen. Frankreich kann es nicht im Alleingang blockieren. Bringt Macron andere Kritiker aus Österreich oder Niederlande auf seine Seite, könnte es für eine Sperrminorität reichen und er das ganze Abkommen oder Teile davon doch noch zum Scheitern bringen.
Gemeinsame Rüstungsprojekte
Noch unter Merz‘ Amtsvorgängerin Angela Merkel haben Deutschland und Frankreich beschlossen, mit dem Future Combat Air System (FCAS) gemeinsam ein Kampfflugzeug der nächsten Generation zu bauen. Dabei geht es um Unabhängigkeit von den USA und Abschreckung gegenüber Russland. Unter anderem Airbus und Dassault sollten das deutsch-französische Vorzeigeprojekt vorantreiben – in Zusammenarbeit.
Doch laut „Handelsblatt“ wollen die Franzosen mittlerweile mehr vom Kuchen. Demnach soll Dassault auf einen Arbeitsanteil von 80 Prozent pochen. Bei Airbus soll man den französischen Rüstungskonzern schon als den „falschen Partner“ bezeichnet haben. Dazu gibt es auch bei anderen geplanten Projekten Streit.
Mehr zu den deutsch-französischen Beziehungen bei Tagesspiegel Plus Gerichtsniederlage für Marine Le Pen Was heißt das für den Machtkampf in ihrer Partei? Frankreich verschärft Gesetze massiv Wo das Rauchen bald verboten ist – und wo nicht Macron als Gegenspieler Netanjahus Was den französischen Präsidenten bei seiner Nahost-Politik antreibt
Merz räumte zuletzt ein, dass es bei dem Thema noch Meinungsverschiedenheiten gebe. Auch in Paris hieß es, die „politischen Diskussionen“ liefen noch.
Sollten Merz und Macron das Thema nicht bilateral klären, dürfte sich der Deutsch-Französische Verteidigungsrat in seiner nächsten Sitzung Ende Augst damit befassen. Spätestens dann dürften sich auch Macron und Merz wiedersehen. In Toulon treffen sich laut Kanzleramtschef Thorsten Frei Mitglieder beider Regierungen zu einem Ministerrat.