
Hanser Berlin
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Roman
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Doris Knecht: „Ja, nein, vielleicht“
Fast jeder kennt die kleinen Zettelchen, die zu Schulzeiten durch die Sitzreihen im Klassenzimmern gereicht werden: „Willst du mit mir gehen? Kreuze an: Ja, nein, vielleicht“. Mit Mitte 50 sieht sich eine Frau plötzlich wieder mit pubertären Tagträumen konfrontiert und der Frage: Soll sie, die erfolgreiche Single-Frau, wirklich noch mal einen Mann in ihr Leben lassen? „Ja, nein, vielleicht“?
Wer I Wie I Was
Zunächst klingt der neue Roman der Österreicherin Doris Knecht nach turbulenter Liebesgeschichte und nettem Unterhaltungsroman. Tatsächlich entfaltet er aber schon auf der ersten Seite seine tiefere Dimension. Ein Besuch beim Zahnarzt offenbart der Ich-Erzählerin ihre eigene Vergänglichkeit. Ein Zahn ist unrettbar verloren, weder Implantat, Krone oder Brücke können ihn ersetzen, zu sehr hat sich der Knochen schon zurückgezogen.
„Als ich die Zahnarztpraxis verlasse und zu Fuß zu meiner kleinen Stadtwohnung gehe, bevor ich wieder in mein Haus aufs Land fahre, denke ich ans Sterben. Vielleicht zum ersten Mal. Ich werde alt. Ich bin schon alt, in einem früheren Jahrhundert wäre ich wahrscheinlich längst tot. Es ist nicht so, dass ich nicht merke, dass ich älter werde, dass ich schon weit über fünfzig bin, aber bisher spielte das keine Rolle. Jetzt wird mir plötzlich klar, dass man manche meiner Teile nicht mehr reparieren kann.“
Wer braucht schon einen Mann im Leben?
Der Blick auf die älter werdende Frau – sei es der von außen oder der eigene – setzt den Ton. Humorvoll und ironisch, gleichzeitig leichtfüßig und gesellschaftskritisch seziert Doris Knecht das Leben einer Single-Frau, Mutter von erwachsenen, längst ausgezogenen Zwillingen und Schriftstellerin Mitte 50, die sich plötzlich mit der Frage konfrontiert sieht: Bin ich noch mal bereit für die romantische Liebe? Will ich mein Leben wieder mit einem Mann teilen?
Eigentlich ist sie zufrieden mit sich:
„Wenn ich jetzt in den Spiegel schaue, sehe ich eine Frau Mitte fünfzig, mit grau melierten Haaren, gesund, stark, fit genug, schön genug, ich bin zufrieden mit ihr.“
Aber als sie in einem Supermarkt auf dem Land in Friedrich hineinläuft, mit dem sie vor 20 Jahren eine On-Off-Affäre in New York hatte, fühlt sie sich wieder wie ein Teenager. Sie verfällt in Tagträume und wartet auf Nachrichten, die nicht kommen. Sie putzt sogar das Haus für den Fall, das Friedrich unangemeldet vorbeischaut.
Die Begegnung löst Erinnerungen und Sehnsucht aus. Wie wäre es, wieder als Paar durch die Welt zu gehen? Sie verabreden sich, knutschen, gehen auf ein Konzert, und sie stellt fest: es fühlt sich gut an „wieder mal an einem Männerarm zu hängen“, und „man wird weniger gejudged, wenn man zu einem Mann gehört“, das habe sie kurz nach der Trennung von ihrem Ex gemerkt. Eine Frau, die allein lebt und zufrieden damit ist, scheint auch im 21. Jahrhundert immer noch suspekt. Die Ich-Erzählerin ärgert sich aber auch über sich selbst.
„Immer erzählte ich mir selber Märchen über die Männer, die mich interessierten oder von denen ich glaubte, dass sie mich interessieren sollten und dass sie sich für mich interessierten, weil sie nun mal irgendwie in mein Leben gedrungen waren. Schnitzte sie mir zurecht, machte sie spannnender, als sie waren, und dann kam ich davon nicht mehr runter. (…) Ja, kann man machen, machen Frauen so, aber doch nicht in meinem Alter, das war doch lächerlich und peinlich, gut, dass niemand davon wusste.“
Der autofiktionale Blick auf die älter werdende Frau
Wie schon in ihrem letzten Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ schreibt Doris Knecht hier autofiktional. Die vier Schwestern und die Kinder der Ich-Erzählerin, die Zwillinge Max und Mila, tauchen wieder auf, ebenso wie enge Freundinnen. Zusätzlich zur Rahmen-Geschichte um Friedrich und die Frage, ob sie einem Mann in ihrem Leben Platz einräumen möchte, muss sie sich als Trauzeugin um die Hochzeitsvorbereitungen für ihre beste Freundin
Therese kümmern und der Lebenskrise ihrer jüngsten Schwester Paula auf die Spur kommen. Außerdem baut Doris Knecht eine Meta-Ebene über die Entstehung des Textes ein. Ihre Verlegerin und ihre Agentin tauchen in der Handlung auf, ebenso wie Reflexionen über das Schreiben. Zum Beispiel darüber, wie #MeToo ihren eigenen Blick aufs Frau-Sein verändert hat.
„Dass ich Friedrich diesen unmöglichen Zungenkuss angehängt hatte, ganz selbstverständlich, erschreckte mich. Es machte mir bewusst, wie sehr ich oder das Ich, das sich amourös und sexuell mit Männern auseinandersetzt, in den Neunzigern sozialisiert ist.“
Ein Buch mit Tiefgang, Wärme und Humor
Wer schon Romane von Doris Knecht gelesen hat, weiß, wie unterhaltsam sie große zwischenmenschliche und gesamtgesellschaftlliche Fragen mitten ins Leben hineinplatzieren kann. So ging es in „Die Nachricht“ 2021 nicht nur um eine Witwe, die langsam wieder ihr Glück findet, sondern auch um Frauenverachtung und digitale Gewalt. In „Wald“ (2015) um eine Frau, die nach Krise und Bankrott allein und mittellos zur Selbstversorgerin auf dem Land wird; oder in ihrem für den Deutschen Buchpreis nominierten Debüt „Gruber geht“ (2011) um einen Manager und Workaholic, der nach einer Tumordiagnose sein Leben umkrempelt.
In „Ja, nein, vielleicht“ verknüpft Doris Knecht die persönliche Suche einer älter werdenden Frau nach dem, was im Leben noch zählt, mit Kritik an dem Blick der Gesellschaft auf Frauen jenseits der 50. Der Roman feiert die Freundschaft und die Unabhängigkeit und stürzt die romantische Liebe von ihrem Sockel ohne bitter oder resigniert zu sein, stattdessen passiert dies lässig und lebensfroh.
Romantische Liebe ist schön, aber Frau braucht sie nicht für ein erfülltes Leben.
„Ja, nein, vielleicht“ liest sich locker weg, hat dabei aber viel Tiefe, Humor, Wärme und auch Melancholie. Ein Buch, das perfekt ins Urlaubsgepäck passt!
Nadine Kreuzahler, radio3
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Stand vom 24.07.2025
