Es regnet unaufhörlich, aber das ist nicht das Problem. Auf den Wind kommt es an bei der Aktion, die Kuppel wird von einem Kran, dem ein zusätzlicher Hebekran assistiert, vom Turm gehoben, da muss es absolut windstill sein. Deshalb haben die Verantwortlichen die Arbeiten auch auf den frühen Morgen gelegt: Um 3 Uhr am Donnerstag fangen Arbeiter mit den ersten Vorarbeiten an, zwischen 5.30 Uhr und 8 Uhr wollten sie die Kuppel des Perlachturms im Herzen Augsburgs runterheben – um diese Zeit, das haben Beobachtungen der vergangenen Wochen ergeben, weht für gewöhnlich am wenigsten Wind.
Aber es tut sich nichts, nicht um 6 Uhr, nicht um 7 Uhr, auch nicht um 8 Uhr. Die Kuppel hängt, erst noch an einer Schraube, dann am Baumaterial. Der „historische Moment“, wie Schaulustige sagen, ereignet sich erst gegen 8.45 Uhr. Plötzlich hebt die Kuppel des Perlachturms ab – und schwebt, getragen von einer Stahlkonstruktion und mithilfe der zwei gewaltigen Kräne, aus einer Höhe von etwa 60 Metern zu Boden. Der Perlachturm ohne Kuppel, das gab es noch nie in der mehr als 1000-jährigen Geschichte des Augsburger Wahrzeichens – ist aber nötig, um das Gemäuer sanieren zu können. Die Kuppel wird nun unten vor dem Rathaus stehen und von 11. August an begehbar sein.
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Seit 2017 ist der Perlachturm für Besucher gesperrt. Die Treppe hat statische Probleme, die Fassade hat Schäden, der Naturstein platzt ab. Freiliegende Konstruktionseisen an der Treppe gefährden die Sicherheit, die Belastungsgrenze der Stahlbetontreppe sei überschritten, warnt die Stadt. Das ist nicht weiter verwunderlich bei einem mehrere Hundert Jahre alten Bauwerk mit reicher Geschichte, das immer wieder umgebaut, erneuert und saniert wurde – und gemeinsam mit dem Rathaus sowie dem Augustusbrunnen als eines der schönsten Renaissance-Ensembles nördlich der Alpen den Augsburgern „am Herzen liegt“, wie es Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) ausdrückt.
Im Jahr 989 soll der Perlachturm errichtet worden sein, als Wachturm mit etwa 30 Metern Höhe. Später wohnte ein Türmer in dem Bauwerk, der die Bevölkerung mit Glockenläuten warnte, sobald Gefahr drohte, etwa von einem Brand. Später avancierte der Perlach zum Glockenturm der anliegenden Kirche Sankt Peter. Im Jahr 1562 stockten ihn die Augsburger auf 63 Meter auf und statteten ihn mit einem Uhrwerk aus. Stadtbaumeister Elias Holl verlieh dem Turm zwischen 1612 und 1618 sein heutiges Erscheinungsbild mit der Zwiebelhaube – der Perlachturm war nun 70 Meter hoch. 1911 sanierte ihn die Stadt, nach Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg bauten die Augsburger ihr Wahrzeichen wieder nach alten Plänen auf.
Die Kuppel hängt fest, erst noch an einer Schraube, dann am Baumaterial – der ursprüngliche Zeitplan wird deshalb nicht ganz eingehalten. (Foto: Florian Fuchs)
Zwei große Kräne sind aufgestellt, um die Kuppel anheben zu können. (Foto: Stefan Puchner/dpa)
Nach einer guten halbe Stunde Baumeln am Kranseil landet die Turmzwiebel dann vor dem Rathaus. (Foto: Stefan Puchner/dpa)
Selbst der kürzlich gestorbene Papst Franziskus blickte mit Wohlwollen auf die mit dem Perlachturm baulich verbundene Kirche Sankt Peter. Als er noch Erzbischof von Buenos Aires gewesen war, erreichte ihn eines Tages eine Postkarte mit einer Darstellung der Gottesmutter aus dem 17. Jahrhundert, deren angestammter Platz die Kirche unter dem Turm ist: die Heilige Maria als Knotenlöserin. Der Papst war fasziniert, er ließ eine Kopie für sein Gästehaus im Vatikan anfertigen – jährlich reisen nicht wenige Touristen vor allem aus Lateinamerika extra wegen des Gemäldes nach Augsburg.
Dabei weiß niemand, woher eigentlich der Name des Turms stammt. Vom lateinischen „perlego“, weil früher vor dem Turm offizielle Verlautbarungen verlesen wurden? Von den altdeutschen Begriffen „Per“ für Bär und „Lach“ für Fest, weil auf dem Vorplatz Tanzbären vorgeführt und im Sockel des Turms gehalten wurden? Oder weil einst eine römische Legion dort eine Schlacht verloren hatte: „perdita legio“ bedeutet so viel wie untergegangene Legion?
Gemeinsam mit dem Rathaus sowie dem Augustusbrunnen bildet der Perlachturm eines der schönsten Renaissance-Ensemble nördlich der Alpen. (Foto: Alexander Rochau)
Der 989 errichtete Perlachturm (ganz links) auf einem Kupferstich von Simon Grimm, vermutlich aus der Zeit zwischen 1654 bis 1660, als Grimm in Augsburg tätig war. (Foto: Knorr + Hirth/Süddeutsche Zeitung Photo)
Die Stadtgöttin Cisa jedenfalls, von Stadtbaumeister Elias Holl als goldene Figur ganz oben auf den Turm gesetzt, deren Ursprung und historische Herleitung auch nicht ganz zu klären ist, hätte vergangene Woche am Mittwoch bereits abgebaut werden sollen, um tags darauf bei Windstille und Sonnenschein frühmorgens die Kuppel vom Turm zu heben. Stattdessen musste Cisa oben bleiben und mitsamt der Kuppel heruntergehoben werden, weil die zuständige Fachfirma einen zu kurzen Hebekran bestellt hatte. Es war das zweite Mal, dass die Aktion verschoben werden musste, beim ersten Anlauf blies der Wind zu stark. Ein neuer, höherer Hebekran wurde besorgt, davon gibt es nur wenige in Deutschland – und die Arbeiter schafften es, alles so zu fixieren und festzuzurren, dass die Stadtgöttin nicht extra abmontiert werden musste.
Es ist ja aber nicht so, dass die Augsburger nicht Kummer gewohnt wären mit ihrem Wahrzeichen, das schon so lange nicht mehr betreten werden darf. Wie für so vieles in Augsburg fehlte auch hierfür lange das Geld, weshalb nichts vorwärts ging und die Stadt auf die Idee kam, Spenden einzuwerben. Unterstützer konnten auch „nachhaltige Kuscheldecken aus recycelter Baumwolle“ erstehen, für 79,99 Euro, ein Teil davon floss in den Topf für die Sanierung. Den Durchbruch brachte dann eine Förderung des Bundes in Höhe von 2,99 Millionen Euro, den die Augsburgerin und Beauftragte für Kultur und Medien der früheren Bundesregierung, Claudia Roth von den Grünen, nur zu gern der Öffentlichkeit verkündete.
Vielleicht findet im Perlach künftig auch wieder der Turmlauf statt, einer der Ersten in Deutschland
Neun Millionen Euro kostet die Sanierung, die 2027 abgeschlossen sein soll. 1,8 Millionen schießt die Städtebauförderung zu, der Bezirk Schwaben zahlt mit, die Bayerische Landesstiftung, und die Stadt als Eigentümerin plant 3,8 Millionen ein. Dafür wird es künftig einen Museumsshop geben und eine neue Treppe, die über das nun entstandene Loch an der Spitze des Turms hineingehoben werden wird, genauso wie es das Loch benötigt, um die alte Treppe abzumontieren und abzutransportieren. Am Ende werden Besucher ganz oben auf einem Aussichtspavillon stehen dürfen, nicht nur für einen Ausblick über die Stadt, sondern bei gutem Wetter bis zu den Alpen.
Vielleicht findet dann im Perlach auch wieder der Turmlauf statt, einer der ersten in Deutschland. Ganz sicher wird nach der Restaurierung wieder das Turamichelefest über die Bühne gehen, immer im September. Das mechanische Figurenspiel zeigt den Erzengel Michael im Kampf mit dem Teufel. Gut gegen Böse und das zugehörige Familienfest auf dem Rathausplatz, das muss während der Arbeiten trotzdem nicht ausfallen. Die Puppenkiste hat sich bereit erklärt, mit einer mobilen Bühne auszuhelfen.