Es ist einer der ersten Eindrücke seiner Reise in ein vom Krieg gezeichnetes Land, die der Bischöfliche Beauftragte für die Weltkirche im Bistum Münster auf Einladung ukrainischer Bischöfe unternimmt. Es ist ein Eindruck, der sinnbildlich steht für das, was er in den nachfolgenden Tagen sieht, hört und spürt: Die Ukraine leidet – und hält dennoch erstaunlich stand. „Die ganze Gesellschaft ist vom Krieg traumatisiert“, sagt der münsterische Weihbischof. „Alle sind betroffen – nicht nur im Osten an der Front.“ 

In Kellern suchen Menschen Schutz, während Kinder tagsüber versuchen, in der Schule Normalität zu leben. „Das macht mürbe“, hat der Weihbischof beobachtet. In einer Nacht erlebt er selbst, wie siebenmal die Sirenen heulen: „Und trotzdem leben die Menschen weiter: Sie arbeiten, fahren Bus, feiern Gottesdienste, denn es muss irgendwie gehen.“

Auffällig sei das Stadtbild: kaum Männer im wehrfähigen Alter. Auf den Straßen sehe man vor allem Frauen, Kinder, Ältere. Viele Familien seien zerrissen, viele Männer gefallen. Andere versuchen, sich der Einberufung zu entziehen, was mitunter für Spannungen im Land sorge, wie er erfährt.

Gebet, das trägt

Und doch: Was den Weihbischof am meisten berührt, ist nicht das Leid allein, sondern die Kraft, mit der die Menschen ihm begegnen. Besonders eindrücklich ist für ihn die Wallfahrt nach Sarwanyzja, einem bedeutenden Marienwallfahrtsort. Tausende Gläubige nehmen teil, trotz nächtlicher Ausgangssperre und Einschränkungen. Die Lichterfeier am Abend beginnt früher als sonst, damit die Gläubigen vor Beginn der Ausgangssperre wieder zu Hause sein können. Am Morgen feiert der Großerzbischof von Kiew, Sviatoslav Shevchuk, einen großen Gottesdienst, und betont: „Jesus heilt die Lähmungen unserer Seele. Auch in Zeiten des Krieges.“

Zeichen der Gemeinschaft

In seiner Rolle als Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland richtet Weihbischof Zekorn bei der Wallfahrt ein Grußwort an die Gläubigen, bringt die tiefe Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zum Ausdruck – und übergibt als Zeichen der Verbundenheit eine Kerze. Sie wurde von geflüchteten ukrainischen Frauen in Münster gestaltet – aus Wachsresten und leeren Dosen. „Ein Licht der Hoffnung in dunkler Zeit“, sagt Zekorn. Er selbst erhält einen Engel der Hoffnung, gemalt von der Witwe eines gefallenen Soldaten. 

Praktische Solidarität zeigt sich auch an anderen Orten. In Lwiw besucht Zekorn ein Haus der Augustinerinnen, in dem wohnungslose Frauen mit ihren Kindern unterkommen – viele aus dem Osten geflohen, oft traumatisiert. Aus einem Krankenhaus mit verwundeten Soldaten wird ihm berichtet: „Viele wollen sofort zurück an die Front. Nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern weil sie sagen: ‚Meine Kameraden brauchen mich.‘“

Hilfe aus Deutschland

Auch Projekte, die das Bistum Münster unterstützt, stehen auf dem Programm: ein Ferienlager für Kinder gefallener Soldaten, Therapieangebote für Witwen, psychologische Betreuung für Heimkehrer. „Die Menschen wissen, dass sie nicht vergessen sind“, sagt Zekorn. „Und sie sagen es ganz deutlich: Bitte richtet allen in Deutschland unseren Dank aus.“

In einem Gespräch mit einem ukrainischen Abgeordneten wird es politisch: Die Ukraine sei auf westliche Unterstützung angewiesen – militärisch, aber auch moralisch. „Keine Angst vor Russland“, lautet die Botschaft, „aber Realismus im Hinblick auf den Imperialismus des russischen Regimes und entsprechend handeln.“ Für den Weihbischof ist klar: „Was ich vor Ort in der Ukraine erlebt habe, ist nicht einfach ein Krieg – es ist der Krieg eines menschenverachtenden Terrorregimes.“

Und doch: Die Hoffnung überwiegt. „Ich habe das Grauen gesehen – aber auch die Kraft des Glaubens. Ich habe Menschen erlebt, die trotz allem weiterlieben, weiterbeten, weiterhoffen.“ Und: „Ich bin überzeugt davon, dass auch das russische Terrorregime nicht das letzte Wort haben wird – wie alle mörderischen Regime in der Geschichte.“

Ann-Christin Ladermann