Dem Jazz geht’s aktuell allseits an den Kragen. Plattenverkäufe sind noch rückläufiger als im vergleichsweise weiterhin wohlsituierten Popmarkt. Selbst Solisten aus dem nordamerikanischen Mutterland der freien Musik kriegen jene Schuppen nicht mehr gefüllt, die für ihre Auftritte gebucht werden. Mit satten Gagen dürfen nunmehr nur noch die Großunterhalter unter den Stadionbühnenakteuren rechnen.
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Dementsprechend gäbe es gerade für jüngere Jazzakteure derzeit theoretisch gute Gründe fürs Lamentieren und Trübsinn blasen. Den 27-jährigen Aachener Tastenspieler Simon Oslender scheint der Sand im Getriebe seines Genres hingegen kaum zu bedrücken.
Am Mittwochabend gab der „Rising Star“ der europäischen Jazzszene im Verbund seines Trios ein Konzert von Seltenheitswert auf der Würselener Burg Wilhelmstein. Deren Zuschauerrang war gut gefüllt, als Oslender um kurz nach acht flankiert vom Bassisten Claus Fischer und seinem Drummer-Freund Jérôme Cardynaals die Freiluftbühne betrat.
Sodann brach die Dreierbande in Bestspiellaune mit „Where You Goin‘“ zur kurzweiligen, rund zwei Stunden dauernden Musikreise auf, die unter einem unausgesprochenen Motto stand: präsent im Moment.
An deren Ende trat ein überaus dankbar applaudierendes Publikum spürbar vitalisiert den Heimweg an. Aus gutem Grund: Gegenwärtigen Schnell-schnell-Kommunikationstrends zum Trotz ließ die Band sich auf ausgiebigen, von reichlich feurigen Soli gesäumten, intensiven musikalischen Dialog ein.
Der leidenschaftlich-temperamentvolle Wortwechselcharakter des Programms sprang bereits während des Konzerteröffnungsstücks von der Bühne auf die dankbare Zuhörerschaft über. Kein noch so vermeintlich nebensächlich vermittelter Musikerkurzalleingang im Kontext des Ensemblespielens blieb unbeachtet.
Die Dauerresonanz an diesem Abend war zum einen dem Charakter der Oslender-Kompositionen geschuldet. Außen unterhaltsam gradlinig, innen voller in sich verzahnter Harmonien und Themen heißen die Stücke des Pianisten herrlich ambivalent willkommen. Der Zugang zu ihnen fällt leicht, die sogleich einsetzende Mehrschichtigkeit lässt allerdings insbesondere in der Livesituation unmöglich weghören.
Als ob’s nicht bereits innerhalb der ersten zehn Konzertminuten ausreichend ansprechend packend gewesen wäre, prophezeit Oslender in seiner kurzen Ansprache: „Jetzt machen wir es uns schön.“
Sogleich wurde zum Blues-Shuffle „Along the Coast“ übergeleitet, der das zweite besondere Merkmal des Trios offenbarte. Während Schlagzeuger, Bassisten und Keyboarder in der Regel in ihren jeweiligen Puls- und Harmoniengeberrollen verharren, mehrdimensioniert die Funktionsvermischung hier die Musik.
Fischer schüttelt aus seinem Fünfsaiter mit der ihm typischen Gelassenheit reichlich Melodienzeug, Cardynaals lässt seine Trommeln bisweilen regelrecht singen. Oslender gibt hingegen immer wieder die Metrik vor, insbesondere sobald er seinen Platz von E-Piano und Synth zur Hammond-B3-Orgel wechselt.
Fürs Jazzfach liebenswert unprätentiös und aufrichtig huldigen die drei Instrumentalisten der großen ewig jungen Tante Musik und überraschen sich selbst und ihr Auditorium wechselseitig.
Mal trommelt Cardynaals so fiebrig swingend, dass Oslender „etwas im Grundwasser“ von Maastricht vermutet, woher der Drummer stammt. Dann wieder holt der dauercoole Fischer zum euphorisierenden Slapbass-Solo aus, das selbst Mark King ein Staunen abgewinnen würde.
Zum Schluss dieses an sich schon denkwürdigen Konzerts setzt Oslender noch eine besonders feine Note: Spontan umarmt er seine Mitmusiker, um der schönen Gemeinsamkeit Ausdruck zu verleihen. Man möchte es ihm am liebsten gleichtun.