Ganz so schnell, wie Richter Markus Vogt es gern gehabt hätte, geht der Prozess gegen den 35 Jahre alten Kouider S. aus Algerien nicht zu Ende. In der Verhandlung am Donnerstag fiel am Landgericht Aachen kein Urteil, vielmehr vertagte man sich auf den 14. August. An diesem Tag könnte sich also entscheiden, ob der mehrfach vorbestrafte Zuwanderer wegen des Brandes in der Flüchtlingsunterkunft auf Vogelsang im Nationalpark Eifel verurteilt wird oder nicht. Für ihn geht es um viel: Die Anklage wirft ihm vor, durch die Brandstiftung zehn versuchte Morde begangen zu haben. Er selbst bestreitet die Tat.
In dem Prozess geht es um zwei zentrale Fragen. Die erste: Kann überhaupt nachgewiesen werden, dass Kouider S. der Täter war? Die zweite: War seine Schuldfähigkeit zur Zeit der Tat am 23. November 2024 durch eine psychische Krankheit oder durch Drogenkonsum ganz oder teilweise eingeschränkt? Könnte er also überhaupt zu einer Haftstrafe verurteilt werden? Vorläufige Antwort auf beide Fragen: schwer zu sagen.
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Die psychiatrische Sachverständige, Annette Rauch aus Aachen, konnte am Ende ihres Vortrages am Donnerstagnachmittag auch nicht genau sagen, was eigentlich mit Kouider S. los ist. Sie hält eine psychische Erkrankung für wahrscheinlich, sicher ist sie aber nicht. Als Richter Vogt, Vorsitzender der Schwurgerichtskammer, fragte, ob es eigentlich irgendwelche Indizien für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung gebe außer seinen eigenen Angaben, musste Rauch passen.
Ja, er sei in einer psychiatrischen Einrichtung in Essen nach seiner Festnahme am 23. November medikamentös in Bezug auf eine paranoide Schizophrenie eingestellt worden. Im Anschluss sei er in der Tat auch ruhiger geworden. Doch eine definitive Diagnose stellte weder in Essen jemand und auch später in der psychiatrischen Klinik in Düren nicht. „Es bleibt alles total spekulativ“, sagte Rauch, psychische Krankheiten seien generell „schwer zu beweisen“.. S. hatte, wenn auch widersprüchlich, von akustischen Halluzinationen berichtet. Rauch sagte, es könne auch sein, dass er lediglich einen Tinnitus habe, ein Pfeifen im Ohr.
Richter Vogt stellte fest, es sei ja bekannt, „dass man mit einer psychischen Störung nicht so leicht abgeschoben werden kann“. Er hat grundsätzliche Zweifel an den sich ohnehin stark widersprechenden Aussagen von Kouider S. „Stark diskrepante Angaben“, nannte das Psychiaterin Rauch. Das Asylverfahren war bislang im Prozess kein Thema. Doch wie den allermeisten Algeriern droht auch Kouider S. die Abschiebung aus Deutschland.
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Vogt wies darauf hin, dass Kouider S. ausgesagt habe, kokain-, cannabis- und medikamentenabhängig zu sein. Ein toxikologisches Gutachten, das nach seiner Festnahme an der Uniklinik Bonn erstellt worden war, ergab nicht den geringsten Hinweis auf eine Suchtproblematik. Trotzdem hatte Rauch in ihrem Gutachten immer wieder den Substanzmissbrauch des Angeklagten thematisiert; doch für den gibt es keine Indizien außer dessen eigenen Aussagen.
Kouider S. wartet mit seiner Anwältin Ann-Sophie Rosenbrock (l.) und dem Dolmetscher Oman Osman (r.) auf den Prozessbeginn wegen zehnfachen versuchten Mordes. Foto: Roberto Pfeil/dpa
Richter Vogt möchte noch zwei weitere Zeugen hören, die möglicherweise etwas zur Tat sagen können. Doch der eine ist wegen mehrerer in Deutschland gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren nach Frankreich weitergezogen und wenig motiviert, als Zeuge nach Aachen zu kommen, wie er in einem Telefonat mit Richter Vogt in der Verhandlungspause andeutete. Und der andere ist in einer Flüchtlingsunterkunft in Düren gemeldet, gilt aber seit geraumer Zeit als abgetaucht. Niemand in Düren weiß, wo er sein könnte.
Kouider S. saß in Frankreich zwei Mal wegen Drogenhandels im Gefängnis, in Deutschland wurde er wegen Taschendiebstahls zwei Mal zu kleineren Geldstrafen verurteilt. Im Moment laufen Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Kfz-Diebstahls und einer im Prozess nicht näher bezeichneten pädophilen Tat. Im Fall einer Verurteilung wegen zehnfachen Mordes auf Vogelsang am 23. November droht ihm eine langjährige Haftstrafe.