Wer für den verregneten Sommer noch keine Reisepläne hat, könnte Armenien in Erwägung ziehen, meint der CDU-Politiker Martin Pätzold (40). Das kleine Land sei die Wiege der Christenheit, wenn nicht der Menschheit. Pätzold schwärmt von Gebirgsschluchten, klaren Seen und „unglaublicher Gastfreundschaft“.

Neulich hat der Lichtenberger Direktkandidat im Abgeordnetenhaus eine der höchsten Auszeichnungen der Republik Armenien erhalten, was kaum jemand mitbekam: Eine Ehrenmedaille aus den Händen des Botschafters. Einer der Gründe war Pätzolds erfolgreicher Einsatz für Direktflüge von Berlin nach Jerewan. Die armenische Hauptstadt wird nun im Sommer alle paar Tage von Eurowings angeflogen, ab 89,99 Euro.

Ein Kellner wischt mal wieder Regen von Tischen und Stühlen

Um das alles etwas zu vertiefen – die Gründe der Ehrung, das Reiseziel Armenien -, sind wir zum Essen verabredet. Im Restaurant Yerevan. Das ist direkt am S-Bahnhof Friedrichsfelde Ost, an einem Parkplatz mit Bushaltestellen. Der Flachbau beherbergt außerdem einen Penny und einen Mr. Ice Cream.

Auf der Terrasse des Restaurants stehen Kästen mit Blumen in leuchtenden Farben. Ein Kellner wischt gerade den Regen von Tischen und Stühlen. Über dem Eingang prangt auf einem Schild der Name des Restaurants, daneben ein ikonisches Gebäude. „Das ist die Oper in Jerewan“, erklärt Geschäftsführer Gevorg Manukyan (36).

Geschäftsführer Gevorg Manukyan (l.) und Politiker Martin Pätzold im Restaurant Yerevan

Geschäftsführer Gevorg Manukyan (l.) und Politiker Martin Pätzold im Restaurant YerevanMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Pätzold ist nicht zum ersten Mal hier, das Gebäude auf dem Schild hat er bisher nicht wahrgenommen. „Nie drauf geachtet“, sagt er. Natürlich kennt er den Stadtteil mit der Oper. Steile Treppen würden dort Hunderte Meter emporführen, meint Restaurantchef Manukyan: „Das geht von hier bis Edeka“ – er zeigt in die Ferne, über Kleingärten hinweg.

„Da um die Ecke hat mein Vater studiert“, sagt Pätzold halb zu sich selbst, in Gedanken in Jerewan. Wir betreten das Restaurant und sind auf einen Schlag zurückversetzt in den Ostblock. Die großen Entwürfe, der Mangel, der Kitsch. Alles da. Gewölbte Deckenlampen. Mit Pressspan vertäfelte Wände, daran Ornamente aus Plaste. Einige schimmern golden. Andere imitieren Pflanzen.

Pätzolds Vater kam damals beim Auslandsstudium in der Nähe der Oper von Jerewan mit einer gebürtigen Armenierin zusammen, die „für die Liebe“ schweren Herzens ihr Land verließ. Für die Plattenbauten von Hohenschönhausen. Ihr Sohn, der CDU-Politiker, ist zur Hälfte dort aufgewachsen. Zur anderen Hälfte in Moskau.

Aus dem Land seiner Mutter berichtet Pätzold von Kirchen aus einer Zeit, in der „die Deutschen noch in den Urwäldern lebten“. In Armenien wurde das Christentum zur Staatsreligion, als seine Anhänger im alten Rom noch verfolgt wurden, erklärt er. Und die Arche Noah, die lande in der Bibel nach der Sintflut am Ararat, einem Fünftausender gleich hinter der Grenze zur Türkei.

Ist denn auch Badeurlaub möglich in Armenien? „Sie haben die Möglichkeit, im Sewansee baden zu gehen“, erläutert Pätzold. „Da brauchen Sie aber Sonnencreme, weil an diesem See in fast 2000 Meter Höhe die Gefahr von Sonnenbrand sehr groß ist.“

„Zurückversetzt in den Ostblock“: Wände mit mit Pflanzen und Gold aus Plaste

„Zurückversetzt in den Ostblock“: Wände mit mit Pflanzen und Gold aus PlasteMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Der Kellner nimmt die Bestellung auf. Pätzold ordert „Kebap, gerne vom Lamm“, und einen Jerewan-Salat, der sich vom deutschen Salat kaum unterscheiden wird. Armenische Limonade ist gerade nicht vorrätig. Also gibt es „Kompott“ zu trinken. Die Rechnung wird später geteilt, wie üblich kommt alles in die Mitte und jeder bedient sich, danke.

In der Karaffe mit dem „Kompott“ schwimmen geschnittene Pfirsiche, eingelegt in Zuckerwasser. Der dickliche Fruchtsaft aus den Einweckgläsern meiner DDR-Kindheit.

Die Zahl der Bäume in Armenien und der Dank von Eurowings

Wofür wurde Pätzold nun also geehrt von der kleinen Republik im Kaukasus? Zunächst erwähnt er eine Rede, die er vor zehn Jahren im Bundestag gehalten hat. Dem hat er von 2013 bis 2017 angehört. Seit 2021 sitzt er im Abgeordnetenhaus. Im Bundestag damals sprach er ohne Manuskript knapp fünf Minuten über den Genozid der Türken an den Armeniern im Jahr 1915. Es ging ihm um das Eingeständnis eigener Schuld als Bedingung für Aussöhnung.

Die Türken haben den Völkermord bis heute nicht anerkannt, aber Pätzolds Rede hat in der damals „extrem aufgeladenen Diskussion“ einen recht nachhaltigen Eindruck hinterlassen, wie er versichert. Sie war ein Türöffner. Seitdem hat Pätzold eine Zählung aller Bäume in Armenien mitveranlasst. Die genaue Zahl, die herausgekommen ist, hat er nicht parat. Aber Rodungen seien nun erschwert. Er hat die Digitalisierung uralter armenischer Schriften mit der Hightech des Fraunhofer-Instituts mit ermöglicht. Und er war jedes Jahr Schirmherr deutsch-armenischer Kulturtage im Kulturhaus Karlshorst. Schließlich noch die Direktverbindung nach Jerewan. Eurowings habe sich offiziell bedankt für die Vermittlung.

Auf der Terrasse leuchten die Blumen, oben das Schild mit der Oper (rechter Bildrand)

Auf der Terrasse leuchten die Blumen, oben das Schild mit der Oper (rechter Bildrand)Markus Wächter/Berliner Zeitung

Der Kebap kommt. Er ist Legende. Der Vater des Geschäftsführers, Ashot Manukyan (65), soll damit noch zu Sowjetzeiten berühmt geworden sein. An einer viel befahrenen Straße bei Jerewan hätten sie ihm die Fleischspieße aus der Hand gerissen, schwört der Sohn.

Das Fleisch hat die Konsistenz von feinem Hack. Es war auch eingelegt, wie die Pfirsiche, und hat eine irgendwie erfrischende Schärfe. Seltsam gewürzte Boulette, würde der abgestumpfte Berliner sagen. Auf Holzkohle gegrillt mit ganzer Tomate und Peperoni. Dazu wird eine süßliche Soße in einem Schälchen gereicht.

Wie ist der Kebap gewürzt? „Pfeffer, Salz, Petersilie … – ich werde nicht meine Geheimnisse verraten“, sagt Geschäftsführer Gevorg. Pätzold schlägt Koriander vor. Der Restaurantchef verzieht keine Miene. Der Laden laufe gut, sagt er. Vieles gehe über Uber Eats und Lieferando weg. Wolt sei in dieser Gegend noch weniger etabliert. Dazu komme das Catering für Familienfeste. Oft seien das „Hochzeiten und Verlobungen von Armeniern und Jesiden“.

Der Restaurantchef nickt, verstanden: „Volksarmee“

Vor zehn Jahren ist er nach Berlin gekommen, um vorübergehend einzuspringen bei der Familie. Inzwischen ist er reingewachsen ins Geschäft. Vater und Mutter sind nach wie vor Inhaber. Die Frage, wie seine Familie nach Deutschland gekommen ist, sorgt kurz für Verwirrung. Sein Vater und sein Großvater hätten hier beim Militär gedient, sagt Gevorg Manukyan. Beide seien einige Monate lang stationiert gewesen „bei der Bundeswehr“. Sie hätten da auch in der Küche gestanden. Als Armenier.

Es stellt sich heraus, dass die beiden wohl in der DDR stationiert waren. Es war also nicht die Bundeswehr, sondern die NVA. Gevorg nickt, verstanden: „Volksarmee“, wiederholt er. Ist vielleicht auch ein bisschen egal.

Boxweltmeister Arthur Abraham Ende 2023 vor seinem Stammrestaurant

Boxweltmeister Arthur Abraham Ende 2023 vor seinem StammrestaurantBenjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Größere Schlagzeilen machte zuletzt die Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach in Aserbaidschan Ende 2023. Für Pätzold eine „klassische Geschichte“: Ein autokratisches System setzte seine Interessen an Land und Besitz durch, auf Kosten anderer. „In Karabach lebten vor fünf Jahren noch etwa 120.000 Menschen. Wenn wir morgen nach Karabach fahren, was nicht ganz einfach ist, finden wir dort wahrscheinlich noch 2000 oder 3000 Menschen. Und fast keine Armenier mehr.“

Die Armenier sind ein leidgeprüftes Volk von etwa drei Millionen, die zum Teil in Armut leben. Dazu kommen bis zu sieben Millionen Armenier im Ausland. Einige Tausend leben in Berlin, schätzt Pätzold. Der berühmteste sei wohl Arthur Abraham. Ein früherer Profiboxweltmeister, der oft im Restaurant Yerevan isst. Meist nimmt er den Kebap.