Am Nachmittag bricht die Richterin am Amtsgericht Augsburg die Verhandlung überraschend ab. Eigentlich hätte im Fall des mutmaßlich von seinem Vater und seiner Stiefmutter gefesselten und geschlagenen Buben am Donnerstag ein Urteil fallen sollen. Stattdessen haben sich erst die Zeugenaussagen hingezogen – und dann wollten die Verteidiger der beiden Angeklagten weitere Zeugen hören sowie ein psychologisches Gutachten angefertigt wissen, wie glaubwürdig die Aussagen des heute sechsjährigen Jungen überhaupt sind.

Geht es nach den Zeugen, die am Donnerstag aussagten, kann an der Glaubwürdigkeit des Buben kein Zweifel aufkommen. „Wenn er bei uns war, ist er immer zu einem Foto seiner Mama gegangen und hat auf dem Bild ihre Wangen gestreichelt“, so schildert die Mutter einer Kindergartenfreundin den heute Sechsjährigen. Zu der Familie ist der Bub auch gelaufen, als er von zu Hause floh.

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„Mach bitte schnell die Tür zu, der Papa, wenn mich erwischt, der bringt mich um“, habe er gesagt, als sie ihn zur Tür hineinließ. Sie habe Hämatome und Striemen in seinem Gesicht entdeckt, sagt die Zeugin und die Polizei verständigt. Der Bub habe geschildert, wie er zu Hause geschlagen werde, wie er gefesselt werde, wie er nichts zu essen bekommen habe und sogar habe zusehen müssen, wie die anderen Familienmitglieder Leberkäse gegessen hätten – ohne selbst etwas abzubekommen. „Er hatte wahnsinnigen Hunger und Durst.“

Der Betreuer der Wohngruppe, in der der Sechsjährige inzwischen lebt, berichtet Ähnliches. Und er sagt, dass der Bub es immer exakt gleich schildere, wie er misshandelt worden sei. „Er lügt nicht“, da ist sich der Betreuer sicher. Der Bub sei gut in seinem neuen Kindergarten angekommen, aber ein inzwischen ängstliches Kind, das zum Beispiel Angst vor Wasser habe und vor fremden Situationen.

In der Haustür der Wohngruppe, erzählt der Betreuer, stecke oft der Schlüssel, damit die Kinder, die draußen spielen, selbständig hineinkommen können. Der Sechsjährige, so schildert er es, habe schon angemerkt, dass das so aus seiner Sicht nicht mehr gehe, wenn der Vater aus dem Gefängnis komme. Weil er Angst habe, dass dieser dann ins Haus komme.

Die Anträge der Verteidiger, die mehr Zeugen hören und ein psychologisches Gutachten über den Sechsjährigen haben wollten, will die Richterin nun sammeln und bis nächste Woche bewerten. Die Verteidigung argumentiert, dass der Bub sich ab und an in seinen Aussagen widersprochen habe: Einmal habe er angegeben, der Vater habe ihm die Hand in der Tür eingequetscht, dann soll es ein Schlag mit dem Hammer gewesen sein. Einmal habe er gesagt, er habe kein Essen bekommen, dann wieder, dass doch.

Was das Kerngeschehen angehe, widersprechen Staatsanwältin sowie die Nebenklagevertreterin, seien die Aussagen des Buben jedoch konsistent, ob bei Polizei, bei der richterlichen Vernehmung oder in Gesprächen in seiner jetzigen Wohngruppe: Er berichte wiederholt von Schlägen, Fesselungen und Einsperren. Es seien so viele Vorwürfe über einen solch langen Zeitraum, dass der Sechsjährige schlicht in verschiedenen Befragungen von verschiedenen Situationen berichte und so Unschärfen entstünden, was psychotraumatisch nachvollziehbar sei.

Der Prozess, betont die Richterin am Ende der Sitzung, müsse aus terminlichen Gründen bis Ferienbeginn zu einem Urteil kommen. Vor den Plädoyers sind – unabhängig von den Anträgen der Verteidiger – auf jeden Fall noch zwei Sachverständige zu hören.