Gerne erinnere ich mich an einen Berliner CSD Ende der Achtziger, bei dem ein als Schwan verkleideter Artist auf einem Einrad unterwegs war. Irgendwann kletterte er auf die Schaukästen am Ku’damm. Einige Polizisten – damals noch grün gekleidet – wollten ihn animieren, freiwillig herunterzukommen.
Sigrid Grajek ist Sängerin, Schauspielerin und Kabarettistin. Sie tritt regelmäßig im BKA-Theater am Mehringdamm auf.
Er führte eine wunderbare minutenlange Szene mit den leicht überforderten Beamten auf, so als traute er sich nicht zu springen. Sie sollten ihn bitte auffangen.
Als er dann sprang, den Grünen wie der sterbende Schwan in die Arme sank und beherzt Küsse verteilte, gab es brausenden Applaus von den Demo-Teilnehmern.
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Damals standen noch nicht die extra angereisten Touris an der Straße Spalier. Die Stadt Berlin war noch nicht stolz auf ihre Vielfalt. Wir waren noch eher ein Schandfleck.
Bisweilen von den Straßenrändern bedacht mit den zu der Zeit für alles „Andere“ verwendeten üblichen Nachkriegsworten: „Euch hat man vergessen zu vergasen“ oder „Euch müsste man alle an die Wand stellen.“ Das ansonsten sehr beliebte „Geht doch nach drüben!“ kam nicht vor. Es war ja klar, dass die uns „Drüben“ auch nicht wollten.
Mit Charleston-Kleid und Dosenbier
Mein Highlight war dann der CSD 1992. Da waren wir schon 25.000. Meine Freundin und ich waren im Stil der 20er Jahre kostümiert. Ich im Charleston-Kleid. Es war brüllend heiß.
Damals trank ich eigentlich keinen Alkohol. Aber die Stimmung war so klasse. Wir tanzten auf der Straße und wurden furchtbar durstig. Es gab nur Dosenbier. Am Ende war ich so betrunken, dass ich im Wasserklops-Brunnen am Breitscheidplatz baden ging.
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Diese Geschichte erzählt meine Mutter bei jeder Gelegenheit, wenn die Rede auf den Breitscheidplatz kommt: „Da hat meine Tochter schon im Brunnen gebadet. Beim CSD. Wissen Sie, was der CSD ist? Nein?! Das kann ich Ihnen erklären …“