Unter dem Motto „No dyke* is free until every dyke* is free“ hat am Freitagnachmittag der „Community Dyke*March“ begonnen. Die mehreren hundert Teilnehmer:innen haben sich am Oranienplatz versammelt und wollen nach mehreren Redebeiträgen ab 17 Uhr durch Kreuzberg und Neukölln zum Treptower Park ziehen. Gegen 18.45 Uhr sprach die Polizei von etwas mehr als 4600 Teilnehmenden. 

Zu Beginn der Auftaktkundgebung reckten die Teilnehmer:innen Pride-Flaggen und Plakate mit Botschaften wie „Freedom for all Dykes“ oder „Trans lives are human rights“ in die Luft. Auch Berlins Queerbeauftragter, Alfonso Pantisano (SPD), ist vor Ort.

Mit einiger Verzögerung setzte sich der Demonstrationszug um kurz nach 17.40 Uhr in Bewegung. Am Rande der Demo kommt es zu einem vereinzelten Gegenprotest.

Der Demonstrationszug wird von der laut hupenden Gruppe Dykes* on motorbikes angeführt.

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Die Demonstration für lesbische Sichtbarkeit findet traditionell am Vorabend des CSD statt.

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„Es ist unser Raum, nehmen wir uns“, rief eine Veranstalter:in zu Beginn der Auftaktkundgebung. Redner:innen berichteten danach unter anderem über Polizeigewalt in der Dyke*szene, übten Kritik an Deutschlands Israelpolitik sowie Israels Vorgehen in Nahost und warnten vor einer Zunahme rechter Angriffe auf queere Veranstaltungen wie CSD-Paraden.

Mehrmals wurde auch Solidarität mit Palästina bekundet. Die Menschenmenge reagiert mit lautem Applaus, auch als der unumstrittene und als antisemitisch geltende Slogan „from the river to the sea“ gerufen wurde. Kurz darauf nahm die Polizei eine Teilnehmer:in fest.

Der Begriff „Dyke“

Der Begriff Dyke stammt aus dem Englischen und bezeichnet in der queeren Community vor allem eine Lesbe, oft mit Betonung auf Maskulinität, Selbstbewusstsein oder Widerstandsfähigkeit. Früher war „Dyke“ ein Schimpfwort für maskuline Lesben, wurde aber im Zuge des „Reclaimings“ von der Community selbstbewusst als positive Selbstbezeichnung angeeignet. Im heutigen Gebrauch, etwa beim Dyke* March, steht der Begriff symbolisch für lesbische Sichtbarkeit und Empowerment.

Der Dyke*March in Berlin geht zurück auf eine Idee von Journalistin und Verlegerin Manuela Kay, die ihn 2013 zum zehnjährigen Jubiläum des Magazins „L-mag“ als jährliche Demo ins Leben rief. Bei der ersten Ausgabe im Juni 2013 kamen auf Anhieb mehr als 1500 Teilnehmende, die von Friedrichshain nach Kreuzberg liefen. Die Zahlen wuchsen kontinuierlich an.

Im vergangenen Jahr waren etwa 9000 Menschen dabei. Unterwegs kam es zu einigen Festnahmen, auch die Abschlusskundgebung auf dem Oranienplatz war von einer aufgeheizten Stimmung geprägt gewesen.

Beim Dyke*March 2024 prägte propalästinensischer Protest das Bild.

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Im Juni hatte das Orga-Team bekanntgegeben, den Dyke*March Berlin in diesem Jahr aus „gesundheitlichen und organisatorischen Gründen“ in diesem Jahr nicht durchführen zu können. Kurz danach kündigte eine neue Gruppe eine Demonstration für den heutigen Freitag an. Sie soll als Community Dyke*March in Kreuzberg und Neukölln auf die Straße gehen.

Dahinter stehen nach eigener Aussage Dykes, „die sich unabhängig und basisorganisiert zusammengeschlossen haben“, wie das Team dem Tagesspiegel mitteilte. Eine Verbindung zur Orga-Gruppe des alten Dyke*March bestehe nicht.

Auf die Frage, was die neue Gruppe bewogen habe, den Protest zu organisieren, schrieb sie: „Wir wollen uns solidarisch mit allen Dykes* der Welt zeigen, denn in Zeiten zunehmender Faschisierung und des Anstiegs queerfeindlicher Gewalt ist es wichtiger denn je, sichtbar zu sein und gemeinsam unsere Stimmen gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt zu erheben.“

Es gehe darum, die historischen Kämpfe der lesbischen Community wertzuschätzen und daran zu erinnern, dass so mancher Kampf noch nicht gewonnen sei. Passend zum intersektionalen Selbstverständnis wurde das Motto „No dyke* is free until every dyke* is free“ gewählt.

Einige Initiativen haben ihre Teilnahme am Dyke*March inzwischen zurückgezogen. „Rad und Tat – Offene Initiative lesbischer Frauen“ zum Beispiel wird sich nicht beteiligen. „Wie im letzten Jahr können und wollen wir einen DykeMarch nicht unterstützen, der richtigerweise die Leiden der Menschen in Palästina in den Blick nimmt, aber den brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel, bei dem es zu Morden, massenhaften sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen gegenüber Frauen gekommen ist und der der Auslöser für die jetzige Situation ist, gar nicht erwähnt“, teilte die Initiative bei Instagram mit. Israel werde fälschlicherweise Apartheid und systematische Auslöschung des palästinensischen Volkes unterstellt.

Der Demonstrationszug ist in mehrere Blöcke unterteilt. Neben einem Block mit einem Dykes*-Chor, einem Drag- und einem Antifa-Block ist auch eine pro-palästinensische Sektion angekündigt. Gleichzeitig wirft der pro-palästinensische Block mangelnde Solidarität mit Palästina vor und kündigte am Freitagmorgen an, nicht an der Demonstration teilzunehmen.

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Zur Begründung hieß es in einem Instagram-Beitrag der Gruppe dykes4palastine.berlin unter anderem, dass die Veranstalter:innen trotz Bemühungen nicht in der Lage seien, eine „politische, anti-zionistische und pro-palästinensische Positionierung“ vorzunehmen. Die Organisatoren werfen dem Community-Dyke*March-Team unter anderem vor, dass sie zwar verschiedene Formen der Diskriminierung, darunter Antisemitismus, verurteilen würden, aber nicht die Diskriminierung von muslimischen, palästinensischen und arabischen Menschen. Zudem seien mehrere Aussagen zu Flaggen, Bannern und Blöcken gemacht worden, die für sie inakzeptabel seien. Einige Solidarität mit Palästina ausdrückende Kufiyas und Palästinaflaggen sind dennoch zu sehen.

Ein eigenständiger pro-palästinensischer Block war dann auch bei der Demonstration nicht erkennbar. Lediglich im Antifa-Block ging es auch um Solidarität mit Palästina. Demonstrant:innen hielten ein Banner mit der Aufschrift „Dykes Against Genocide“ in die Höhe, dazu ertönen antifaschistische Sprechchöre.

Die Demonstration ist unterwegs.

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Die einzelnen Blöcke, die relativ lose voneinander marschieren, sorgen dafür, dass sich eigentlich mehrere Demonstrationen unter dem Dach des Community Dyke*March versammeln. Wird in einem Block Eis essend „Wrecking Ball“ von Miley Cirus geträllert, geht es in anderen Blocks anarchistisch zu („Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“). Immer wieder ist auch die Parole „Viva, Viva Palästina“ zu hören.

Am Rande der Demo kommt es zu einem vereinzelten Gegenprotest. Zwei Demonstrant:innen halten Schilder mit der Aufschrift „No Pride in Antisemitism“ und „From Berlin to Masada Dykes Against the Intifada“ in die Luft. Von der vorbeiziehenden Menge ernten sie Buh- und „Free Palastine“-Rufe. Die beiden sind von der Gruppe „Dykes, Women and Queers against antisemitism“ und haben nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr am Dyke*March teilgenommen.

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Gegenüber dem Tagesspiegel sagen sie: „Wir können nicht an einem Marsch teilnehmen, auf dem jüdische Symbole auf eine Stufe mit terroristischen Symbolen wie dem Hamas-Dreieck gestellt werden.“ Das Verbot des Davidsterns komme faktisch einem Ausschluss gleich. Sie seien gekommen, um trotzdem da zu sein und zu zeigen, dass es eine Opposition zu der Positionierung des diesjährigen Dyke*March gebe.

Insgesamt ist bis hierhin die Stimmung friedlich, im Block der Dyke-Chors gar ausgelassen. Dort wird am lautesten geklatscht und gesungen.

Am Hermannplatz war der Nahostkonflikt das bestimmende Thema im Antifa-Block.

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Am Hermannplatz kommt der Antifa-Block zum Halten und bildet einen Kreis auf der Straße. Der Nahostkonflikt ist nun das bestimmende Thema. Die Demonstrierenden rufen unter anderem die umstrittene Parole „We want 48“ und „Yalla Yalla Intifada“.