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Tyler, the Creator müsste dieses Jahr gar nichts mehr tun und hätte schon alles erreicht. Auf “Chromakopia”, seinem Album vom vergangenen Herbst, stellte er sich seiner Midlife-Krise, schürfte neue Wunden und alte Ängste auf und ging als Gewinner hervor. Die dazugehörige Welttournee fühlte sich an wie eine Ehrenrunde. Kurz darauf erfüllte er sich einen Traum: Mit seiner Strophe auf dem Comeback-Album seiner Helden Clipse zollte er ihnen Tribut – und stahl gleichzeitig die Show.

Doch statt die Füße hochzulegen, spurtet Tyler zurück in den Club. Auf “Don’t Tap The Glass” tut er das, was unlängst Beyoncé („Renaissance”) sehr gut und Drake (“Honestly, Nevermind”) sehr läppisch getan haben: Er droppt ohne Vorwarnung ein Dance-Album. Tylers Ansatz scheint dabei zu sein, ein möglichst breites Spektrum Schwarzer Tanzmusik in seinen eigenen Kosmos einzubinden. Fürs Cover bemüht er den jungen LL Cool J. Die erste Single kommt mit Jamiroquai-Gedächtnis-Video und 80s-Electro. “Ring Ring Ring” und “Sucka Free” sind moderner Boogie, getragen von Tylers berühmten Synth-Akkorden. Es gibt Bounce aus New Orleans, Baltimore-Club-Sounds, Miami-Bass und P-Funk aus L.A. Drake wird namenlos gedisst. Es ist herrlich. Wie immer, wenn Tyler den Kopf ausschaltet. Gerappt wird auch, in Form einer größtenteils wertebefreiten, urkomischen Prahlerei, die den Club-Charakter der Platte unterstützt, ohne zu sehr in die Quere zu kommen.

Ein solches Album voller, respectfully, hirnloser Banger versteht sich natürlich am besten als Abgrenzung von seinem verkopften Vorgänger. Das heißt nicht, dass “Don’t Tap The Glass” ambitionslos wäre. In den Linernotes beschreibt Tyler einen Notstand, den er in seiner Peergroup bemerkt. Niemand wolle mehr tanzen, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Im größeren Kontext scheint dieser Gegenangriff auf die lähmende “Cringe-Kultur” mehr als zeitgemäß. So ist “Don’t Tap The Glass” ein Freischwimmen, eine Lockerungsübung für Künstler und Rezipienten gleichermaßen. Ein Durchdrehen mit Vorsatz.