Bei seiner Sitzung im Juli hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) 13 neue Medikamente zur Zulassung empfohlen, darunter 5 Orphan Drugs, 4 Biosimilars und 2 Generika [1]. Die Details:
Aqneursa (Levacetylleucin) bei der Niemann-Pick-Krankheit
Grünes Licht gab es für Aqneursa, einem neuen Medikament zur Behandlung neurologischer Symptome der Niemann-Pick-Krankheit Typ C (NPC) bei Erwachsenen und Kindern ab 6 Jahren mit einem Körpergewicht von mindestens 20 Kilogramm.
Levacetylleucin ist eine modifizierte Form der Aminosäure Leucin, die auf zentrale Prozesse neurologischer Fehlfunktionen abzielt. Auch wenn der Wirkmechanismus noch nicht vollständig geklärt ist, zeigen präklinische Studien, dass Levacetylleucin den Energiestoffwechsel verbessert, insbesondere die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP), dem wichtigsten Energielieferanten für Zellen und Gewebe im Kleinhirn.
In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie mit Crossover-Design konnte Aqneursa nach zwölfwöchiger Behandlung im Vergleich zu Placebo eine Verbesserung neurologischer Anzeichen, Symptome und Funktionsfähigkeit erzielen, gemessen mit der SARA-Skala zur Bewertung von Ataxie.
Blähungen sind die häufigsten Nebenwirkungen.
Ekterly (Sebetralstat) beim hereditären Angioödem
Der CHMP hat eine positive Stellungnahme zur Zulassung des neuen Medikaments Ekterly abgegeben. Es handelt sich um die 1. orale Therapie zur akuten Behandlung von Schüben des hereditären Angioödems (HAE) bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren.
Der Wirkmechanismus zielt auf das Kallikrein-Kinin-System ab, das bei HAE-Patienten überaktiv ist. Sebetralstat unterdrückt sowohl die Aktivierung des positiven Rückkopplungsmechanismus als auch die weitere Bildung von Plasmakallikrein. Dadurch wird die Produktion von Bradykinin reduziert – dem Botenstoff, der maßgeblich für die typischen HAE-Symptome wie schmerzhafte Schwellungen verantwortlich ist. Auf diese Weise kann der Verlauf eines HAE-Anfalls frühzeitig gestoppt werden.
Ekterly ist damit die erste HAE-Behandlung, die oral eingenommen werden kann. Für Patienten stellt dies einen bedeutenden Fortschritt dar, weil bisherige Therapien meist als Injektion oder Infusion verabreicht werden mussten.
Die Wirksamkeit von Ekterly wurde in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie nachgewiesen. Sie zeigt: Ekterly verkürzt im Vergleich zu Placebo die Zeit bis zum Beginn der Symptomlinderung bei akuten HAE-Attacken signifikant. Als häufigste Nebenwirkung wurden Kopfschmerz beobachtet.
Romvimza (Vimseltinib) bei symptomatischen Riesenzelltumor der Sehnenscheiden
Ein positives Votum gab es auch für Romvimza zur Behandlung erwachsener Patienten mit symptomatischen Riesenzelltumor der Sehnenscheiden (tenosynovial giant cell tumour, TGCT).
Vimseltinib ist ein Proteinkinase-Inhibitoren, der gezielt den Kolonie-stimulierenden Faktor-1-Rezeptor (CSF1R) hemmt. Die CSF1/CSF1R-Signalkaskade spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung und dem Fortschreiten von TGCT. Durch die Blockade von CSF1R-exprimierenden Zellen unterbindet Vimseltinib wachstumsfördernde Signale und hemmt die Proliferation von Tumorzellen und Makrophagen.
Der Nutzen wurde in einer multizentrischen, randomisierten Phase-3-Studie mit offener Verlängerungsphase untersucht. Dabei zeigte sich nach 25 Wochen eine signifikant höhere Gesamtansprechrate (Overall Response Rate, ORR) im Vergleich zu Placebo. Nach 97 Wochen wurde bei vielen Patienten sogar ein vollständiges Ansprechen beobachtet.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen erhöhte Leberwerte (AST, ALT), Schwellungen im Gesichts- und Augenbereich, erhöhter Cholesterinspiegel, Hautausschläge, Müdigkeit, Juckreiz, verringerte Neutrophilenzahl, erhöhter Kreatininwert, periphere Ödeme und Bluthochdruck.
Tryngolza (Olezarsen) bei familiärem Chylomikronämie-Syndrom
Der CHMP sprach sich ebenfalls dafür aus, Tryngolza zuzulassen: ein neues Medikament zur Behandlung erwachsener Patienten mit familiärem Chylomikronämie-Syndrom (FCS).
Olezarsen ist ein Antisense-Oligonukleotid, das gezielt die Bildung von Apolipoprotein C3 (apoC-III) hemmt. Dieses Protein spielt eine zentrale Rolle im Triglyzeridstoffwechsel und bei der Leber-Clearance von Chylomikronen und anderen triglyceridreichen Lipoproteinen. Durch die Reduktion von apoC-III im Blut wird die Ausscheidung von Triglyzeriden aus dem Plasma erhöht.
In einer randomisierten, multizentrischen, doppelblinden und placebokontrollierten Phase-3-Studie zeigte Tryngolza nach 6-monatiger Behandlung eine signifikante Senkung der nüchtern gemessenen Triglyzeridspiegel im Vergleich zu Placebo.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Rötungen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und Erbrechen.
Voranigo (Vorasidenib) bei niedriggradigem Astrozytom und Oligodendrogliom
Der Ausschuss veröffentlichte zudem eine positive Empfehlung für die Zulassung von Voranigo, einem neuen Medikament zur Behandlung von niedriggradigem Astrozytom oder Oligodendrogliom mit einer IDH1-R132- oder IDH2-R172-Mutation bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit einem Mindestgewicht von 40 Kg.
Vorasidenib ist ein antineoplastischer Wirkstoff, der gezielt mutierte Formen der Enzyme Isocitratdehydrogenase 1 und 2 (IDH1 und IDH2) hemmt. Diese Mutationen führen bei Patienten zu einer Überproduktion des onkogenen Metaboliten 2-Hydroxyglutarat (2-HG), der die normale Zelldifferenzierung stört und so die Tumorentwicklung begünstigt. Durch die Hemmung der mutierten Enzyme wird die pathologische Produktion von 2-HG unterdrückt, was die Differenzierung der malignen Zellen fördert und deren Wachstum hemmt.
In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie konnte Voranigo das radiografisch gemessene progressionsfreie Überleben bei Patienten mit IDH-mutierten Gliomen im Vergleich zu Placebo signifikant verlängern.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen erhöhte Leberwerte (ALT, AST, GGT), Müdigkeit und Durchfall.
Yeytuo (Lenacapavir) zur Prävention von Infektionen mit HIV-1
Auch Yeytuo, einem Medikament zur Vorbeugung sexuell übertragener Infektionen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus Typ 1 (HIV-1), erhielt eine Zulassungsempfehlung. Es enthält den Wirkstoff Lenacapavir und wird als 464-mg-Injektionslösung sowie als 300-mg-Filmtablette zur Verfügung stehen.
Beide Darreichungsformen sind fester Bestandteil des Behandlungsregimes: Nach einer Initialdosis, bestehend aus Injektion und Tabletten, genügt künftig eine Injektion alle 6 Monate.
Lenacapavir ist ein antiviraler Wirkstoff zur systemischen Anwendung, der gezielt die Funktion der HIV-1-Kapsidstruktur hemmt und damit die Virusvermehrung unterbindet. Die Wirksamkeit von Yeytuo wurde in 2 klinischen Phase-3-Studien nachgewiesen: PURPOSE 1 mit weiblichen Jugendlichen ab 16 Jahren und erwachsenen Frauen sowie PURPOSE 2 mit männlichen und geschlechtsdiversen Jugendlichen und Erwachsenen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren lokale Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall. Über weitere Details hat Medscape berichtet.
Zurzuvae (Zuranolon) bei Depressionen
Der Ausschuss gab auch grünes Licht für Zurzuvae, einem neuen Medikament zur Behandlung der postpartalen Depression bei Erwachsenen.
Zuranolon gehört zur Gruppe der neuroaktiven Steroide. Es verstärkt die Wirkung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA), indem es die hemmenden GABAergen Signale im Gehirn unterstützt. Dieser Mechanismus wird als zentraler Bestandteil der antidepressiven Wirkung angesehen.
In einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie zeigte sich, dass Zurzuvae depressive Symptome bei postpartal depressiven Erwachsenen bereits nach 2-wöchiger Behandlung signifikant lindern kann, gemessen mit der 17-teiligen Hamilton-Depressionsskala (HAMD-17).
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schläfrigkeit, Benommenheit und Sedierung.
Biosimilars und Generika
Der Ausschuss hat positive Stellungnahmen für 4 Biosimilars abgegeben. Bildyos (Denosumab) wurde zur Behandlung von Osteoporose und Knochenschwund empfohlen, während Bilprevda (ebenfalls Denosumab) für die Prävention skelettbezogener Komplikationen bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen, knochenbeteiligten Tumorerkrankungen vorgesehen ist.
Mit Eyluxvi (Aflibercept) steht ein weiteres Biosimilar zur Verfügung, das zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration und bei Sehbeeinträchtigungen eingesetzt werden soll. Usrenty (Ustekinumab) wurde zur Behandlung von Morbus Crohn, Plaque-Psoriasis, pädiatrischer Plaque-Psoriasis sowie Psoriasis-Arthritis positiv bewertet.
Darüber hinaus erhielten 2 Generika eine positive Empfehlung: Macitentan Accord und Macitentan AccordPharma, beide mit dem Wirkstoff Macitentan, die zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie bestimmt sind.
8 Zulassungserweiterungen
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Alhemo (Concizumab) bei schwere Hämophilie A (angeborener Faktor-VIII-Mangel, FVIII
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Baqsimi (Glucagon) bei schwerer Hypoglykämie bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab 1 Jahr mit Diabetes mellitus
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Clopidogrel Zentiva (Clopidogrel) bei akutem Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung in Kombination mit ASS bei Patienten, die sich einer perkutanen Koronarintervention unterziehen (einschließlich Patienten, denen ein Stent eingesetzt wird) oder bei medikamentös behandelten Patienten, für die eine thrombolytische/ fibrinolytische Therapie in Frage kommt
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Invokana (Canagliflozin) bei Erwachsenen und Kindern ab 10 Jahren mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes mellitus als Ergänzung zu Diät und Bewegung
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mResvia (mRNA) bei Erwachsenen im Alter von 18 bis 59 Jahren, bei denen ein erhöhtes Risiko für eine durch RSV verursachte Erkrankungen der unteren Atemwege besteht
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Sirturo (Bedaquilin) als Teil einer geeigneten Kombinationstherapie bei Erwachsenen und Kindern ab 2 Jahren mit mindestens 7 kg Körpergewicht mit Lungentuberkulose (TB) aufgrund von Mycobacterium tuberculosis indiziert, das mindestens gegen Rifampicin und Isoniazid resistent ist
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Taltz (Ixekizumab) allein oder in Kombination mit Methotrexat zur Behandlung der aktiven juvenilen Psoriasis-Arthritis bei Patienten ab 6 Jahren und mit einem Körpergewicht von mindestens 25 kg, die auf eine konventionelle Therapie unzureichend angesprochen haben oder diese nicht vertragen sowie allein oder in Kombination mit Methotrexat zur Behandlung der aktiven Enthesitis-assoziierte Arthritis bei Patienten ab 6 Jahren und mit einem Körpergewicht von mindestens 25 kg, die auf eine konventionelle Therapie unzureichend angesprochen haben oder diese nicht vertragen
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Tevimbra (Tislelizumab) in Kombination mit einer platinhaltigen Chemotherapie als neoadjuvante Behandlung und anschließender Fortführung als Monotherapie als adjuvante Behandlung zur Behandlung erwachsener Patienten mit resektablem NSCLC und hohem Rezidivrisiko
Erneute Bewertung von Kisunla (Donanemab) bei Alzheimer
Der Ausschuss für Humanarzneimittel hat nach Abschluss eines erneuten Prüfverfahrens eine positive Stellungnahme zur Zulassung von Kisunla abgegeben. Hintergrund ist eine Ablehnung des CHMP. Darüber hatte Medscape berichtet.
Das Arzneimittel ist zur Behandlung der frühen symptomatischen Alzheimer-Krankheit bei Erwachsenen vorgesehen, die Träger einer für Apolipoprotein E ε4 (ApoE ε4)-heterozygoten Konstellation oder keine ApoE ε4-Träger sind.
Donanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gezielt an Amyloidplaques im Gehirn bindet und deren Abbau durch mikrogliale Phagozytose unterstützt. Ziel der Therapie ist es, das Fortschreiten kognitiver und funktioneller Defizite bei Alzheimer-Patienten zu verlangsamen. Der Nutzen liegt nach aktueller Datenlage in der Verringerung des Krankheitsfortschritts im frühen Stadium.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen amyloidbedingte Bildgebungsanomalien (ARIA) sowie Kopfschmerzen.
Die Therapie sollte nur von Ärzten begonnen werden, die Erfahrung in der Diagnostik und Behandlung der Alzheimer-Krankheit haben und zeitnah Zugang zur Magnetresonanztomografie gewährleisten können. Die Anwendung von Donanemab erfordert die Betreuung durch ein multidisziplinäres Team, das in der Erkennung, Überwachung und Behandlung von ARIA sowie von infusionsbedingten Reaktionen geschult ist. Der Therapiebeginn erfolgt im Rahmen eines zentralen Registrierungssystems, das Teil eines kontrollierten Zugangsprogramms ist.