Selten war das Motto für die Demonstration zum Christopher Street Day in Berlin so gut gewählt wie in diesem Jahr. Es lautet „Nie wieder still!“ und wird auch von rund 50 weiteren CSDs in Deutschland verwendet. Eine solche bundesweite Einigkeit herrscht zum ersten Mal.
Sie zeigt, wie dringlich das Thema in der LGBTIQA-Community ist, die derzeit sowohl gesellschaftlich als auch politisch einen scharfen Gegenwind zu spüren bekommt. Der manifestiert sich nicht nur in wochenlangen öffentlichen Debatten um Regenbogenflaggen, sondern auch in Stimmen, die queeren Menschen nahelegen, sich weniger auffällig zu verhalten und jetzt mal halblang zu machen mit den ewigen Forderungen.
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Zu hören sind sie mal im Privaten, mal in Kommentarspalten oder auch auf einem rechten Portal, wo Rainer Wendt, der Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, kürzlich über die „Überbetonung einer kleinen Minderheit“ schrieb, „die uns ihre sexuelle Orientierung ständig aufdrängen“ wolle. Regenbogenflaggen vor Behörden sind für ihn „Symbole des Kniefalls vor einer Laune des Zeitgeistes“.
Nadine Lange ist verantwortliche Redakteurin für den Queerspiegel und besucht seit vielen Jahren CSD-Demonstrationen.
Doch Regenbogenflaggen sind genauso wenig ein Sexangebot wie es das Foto der Lebenspartnerin auf dem Schreibtisch einer Angestellten ist. Es sind Zeichen einer gesellschaftlichen Emanzipation, zu der es niemals durch stilles Im-Kämmerlein-Sitzen gekommen wäre. Weder die Ehe für alle noch die Abschaffung des Paragrafen 175 oder die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes wären ohne jahrelange politisch-aktivistische Arbeit Realität geworden.
Auch die fortbestehende Diskriminierung queerer Familien im Abstammungsrecht wird nicht verschwinden, weil lesbische Mütter lieb Bitte, Bitte sagen, sondern weil sie vors Bundesverfassungsgericht ziehen und Druck auf Parteien ausüben.
Queerfeinden wird man es nie recht machen können
Lautsein bringt Fortschritt und rettet Leben. Weil mutige queere Menschen früherer Generationen sichtbar geworden sind, konnten sich andere mit ihnen zusammentun und zu Vorbildern für Jüngere werden. Das ist weiterhin wichtig, damit junge Menschen, die ihre Homosexualität oder Trans-Identität entdecken, in einer ablehnenden Umgebung nicht verzweifeln, aber auch damit erwachsene Queers nicht vereinzeln und verzagen.
„Dabei ist Sichtbarkeit keine Ideologie. Sie ist Überleben“, schrieb Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano gerade in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Unsichtbarkeit ist jedenfalls keine Alternative, denn wie schon die afroamerikanische, lesbische Autorin Audre Lorde schrieb: „Your silence will not protect you“. (Dein Schweigen wird dich nicht schützen). Das haben Minderheiten-Angehörige immer wieder schmerzlich erfahren müssen. Wer sie hasst, hasst sie in jeder Form.
Auch wer ihnen nahelegt, sich unauffälliger zu verhalten, stellt letztlich ihr Existenzrecht infrage. Wie perfide diese Aufforderung ist, lässt sich erkennen, wenn man sie gedanklich einmal umdrehen und von der cis-geschlechtlichen Heterowelt etwas mehr Zurückhaltung fordern würde.
Das CSD-Motto ist nicht nur eine Kampfansage an die LGBTIQA-feindliche Ecke, sondern auch eine Ermutigung an die Community, sich nicht einschüchtern zu lassen und die eigene Buntheit selbstbewusst zu vertreten.
Nadine Lange, Kulturredakteurin und verantwortlich für den Queerspiegel
Wie sähe das wohl aus angesichts der erdrückenden Allgegenwart von Frau-liebt-Mann-Geschichten in Filmen und Serien, angesichts von Werbung voller stereotyper Genderdarstellungen, angesichts von Parks und Cafés, in denen, Männer und Frauen ganz selbstverständlich Zärtlichkeiten austauschen? Ja, da würden sich Lesben, Schwule, trans, inter und non-binäre Menschen auch oft mal etwas anders wünschen, aber sie sind in diesen Fragen mehrheitlich tolerant.
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Sie selbst sollten also nicht den Fehler machen, sich zu verbiegen oder zu verstummen – damit würden sie sich einem Maßstab beugen, der ohnehin unerreichbar bleibt. Denn Queerfeinden wird man es nie recht machen können, ihnen werden Queers immer zu laut sein. Auch deshalb ist das CSD-Motto so wichtig: Es ist nicht nur eine Kampfansage an die LGBTIQA-feindliche Ecke, sondern auch eine Ermutigung an die Community, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern die eigene Regenbogenbuntheit selbstbewusst zu vertreten.
CSD-Demonstrationen sind dafür eine gute Gelegenheit – und sie geben queeren Menschen Energie für den Alltag in der Heterowelt.