Drei Geran-Drohnen im Himmel bei untergehender Sonne

Geran2-Drohnen. Bild: Corona Borealis Studio/Shutterstock

Die Drohne Geran-2 ist ein voll industrialisiertes Waffensystem. Was dahintersteckt, alarmiert den Westen. Eine Einschätzung

Die nächtliche Stille über ukrainischen Städten wird seit Monaten regelmäßig vom charakteristischen Brummen herannahender Drohnen durchbrochen. Was einst sporadische Angriffe waren, hat sich zu einem systematischen Bombardement aus der Luft entwickelt.

Im Juli 2025 entlud sich diese neue Dimension des Krieges mit beispielloser Intensität: Allein in diesem Monat feuerte Russland nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe 4.929 Drohnen und 148 Raketen auf das Land ab – durchschnittlich 234 Drohnen täglich.

Im Zentrum dieser Eskalation steht die Geran-2, die russische Version der iranischen Shahed-136-Drohne. Aus der improvisierten Notlösung der ersten Kriegsmonate ist eine industriell gefertigte Präzisionswaffe geworden, die das Gesicht moderner Kriegsführung verändert.

Die Transformation ist dramatisch: Während Russland im Sommer 2023 noch etwa 200 Geran-2-Drohnen pro Monat produzierte, liegt die Fertigungsrate nach Angaben von Militär Aktuell mittlerweile bei über 200 Exemplaren täglich.

Die Fabrik in Yelabuga – Russlands Drohnen-Zentrum

In der Sonderwirtschaftszone Alabuga in der russischen Republik Tatarstan, etwa 1.100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, hat Russland das errichtet, was es als „weltgrößte Drohnenfabrik“ bezeichnet. Wie Eurasian Times berichtet, gewährte das russische Verteidigungsministerium im Juli erstmals detaillierte Einblicke in die Produktionsstätten der Geran-2-Drohnen.

Die von Zvezda, dem TV-Kanal des Verteidigungsministeriums, veröffentlichten Aufnahmen zeigen endlose Reihen mattschwarz lackierter Kampfdrohnen – ein Farbschema, das Russlands neuen Fokus auf nächtliche Angriffe widerspiegelt.

Wie Militär Aktuell aufdeckt, hat Russland aktiv Arbeiterinnen aus der ugandischen Hauptstadt Kampala angeworben. Das Online-Rekrutierungsprogramm „Alabuga Start“ wirbt mit „Teilnehmern“ aus 44 Ländern, darunter Mosambik, Kolumbien, Mali, Lesotho, Simbabwe, Benin, Ruanda, Tansania, Tunesien, Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo sowie Sri Lanka.

Besonders brisant ist die nordkoreanische Beteiligung. Am Rand der Sonderwirtschaftszone wurde laut Militär Aktuell inzwischen ein umzäuntes Arbeitslager errichtet.

Der nordkoreanische Staatsführer hat nach diesen Angaben bis zu 25.000 Arbeiter nach Russland entsandt – konkret, um die Geran-2-Produktion weiter anzukurbeln. Das Video zeigt auch die Produktionsanlagen selbst: Metallgießereien, Schmiedewerkstätten sowie Montage- und Testeinrichtungen, die eine vollständige Eigenproduktion ermöglichen.

Dramatische Produktionssteigerung

Die Zahlen der Geran-2-Produktion zeichnen das Bild einer rasanten industriellen Expansion. Auf Basis der von der Ukraine gemeldeten und abgeschossenen Drohnen dokumentiert Militär Aktuell die Entwicklung.

Lag die Fertigungsrate im Sommer 2023 noch bei rund 200 Stück pro Monat, erreichte sie im Frühjahr 2024 etwa 500 Exemplare. Im Herbst 2024 durchbrach die Produktion bereits die Marke von 1.000 Drohnen monatlich.

Seither steigen die Zahlen sprunghaft an: Im April 2025 wurden 3.000 Drohnen gemeldet, im Mai 4.000, im Juni 5.000. Im Juli 2025 waren es bisher rund 4.300 – womit die Fertigungsrate bereits bei über 200 Stück pro Tag liegen muss.

Eurasian Times bestätigt, dass Russland bereits 5.000 Langstreckendrohnen pro Monat produziert, wobei allein die Yelabuga-Fabrik über 18.000 Geran-2-Drohnen in den ersten sechs Monaten 2025 hergestellt haben soll.

Russland hat in den letzten 45 Tagen neun Mal mehr als 400 Drohnen an einem einzigen Tag abgefeuert. Die Angriffe haben eine neue Dimension erreicht: Am 9. Juli stellte Russland mit 728 Drohnen und 13 Raketen einen neuen Rekord im seit 40 Monaten währenden Krieg auf.

Technische Evolution der Geran-2

Die Geran-2 hat sich von einer simplen Kopie der iranischen Shahed-136 zu einem hochentwickelten Waffensystem entwickelt. Nach Angaben des Fachportals Army Recognition wiegt die Drohne etwa 200 Kilogramm und trägt einen Hochexplosiv-Splitter-Sprengkopf von bis zu 90 Kilogramm.

Mit einer Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern, einer Geschwindigkeit von 180 km/h und einer maximalen Flughöhe von 4.000 Metern kann sie bis zu zwölf Stunden in der Luft bleiben. Ein 50-PS-Kolbenmotor treibt die Drohne an, deren Stückkosten zwischen 20.000 und 50.000 US-Dollar liegen.

Eine taktische Innovation stellt die neue mobile Startplattform dar. Wie Army Recognition unter Berufung auf ein YouTube-Video vom 21. Juli berichtet, montiert Russland die Geran-2 nun auf die Ladeflächen ziviler Geländefahrzeuge. So können die Drohnen nun auch aus abgelegenen Gebieten gestartet werden – ohne feste Infrastruktur.

Besonders bedeutsam ist die Modernisierung der Steuerungssysteme. Die neue Generation verfügt nach Angaben von Army Recognition über ein Leitsystem, das eine Fernsteuerung durch den Operator über mobile SIM-Karten ermöglicht. Für die nahe Zukunft ist eine Umstellung auf russisches Satelliten-Internet geplant.

Noch wichtiger ist die Fähigkeit zum vernetzten Betrieb: Die Drohnen können jetzt Daten mit anderen Systemen austauschen, einschließlich kleinerer Täuschdrohnen wie dem Gerbera-System, was eine neue Dimension taktischer Koordination eröffnet.

Chinesische Komponenten und internationale Lieferketten

Zusätzlich zur eigenständigen Geran-2-Produktion in Alabuga setzt Russland bei weiteren Drohnensystemen massiv auf chinesische Technologie. Wie The War Zone unter Berufung auf den ukrainischen Militärgeheimdienst GUR berichtet, verwendet Russland mittlerweile Köder-Drohnen, die zu 100 Prozent aus chinesischen Komponenten bestehen.

Diese delta-förmigen Drohnen ähneln der Shahed-136, sind jedoch kleiner und können neben ihrer Funktion als Täuschkörper auch mit einem Sprengkopf von bis zu 15 Kilogramm bestückt werden.

Die chinesische Unterstützung geht über einzelne Komponenten hinaus. The War Zone berichtet, dass Russland zunehmend auf chinesische Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen setzt.

Eine im Gebiet Sumy eingesetzte russische V2U-Kampfdrohne konnte autonom Ziele suchen und auswählen – möglich durch den chinesischen Leetop A203-Minicomputer und einen zentralen Prozessor mit amerikanischem NVIDIA Jetson Orin-Modul.

Neue russische Taktiken und gestiegene Effektivität

Russland hat seine Angriffstaktiken grundlegend verändert und damit die Wirksamkeit seiner Drohnenangriffe dramatisch gesteigert. Wie The War Zone unter Berufung auf die ukrainische Verteidigungspublikation Counteroffensive.Pro berichtet, konzentrieren russische Streitkräfte ihre Angriffe nun auf ein bis zwei Städte gleichzeitig, anstatt wie früher 500 Drohnen landesweit zu verteilen.

Diese Fokussierung ermöglicht es, lokale Luftverteidigungssysteme zu überlasten.

Gleichzeitig hat die russische Führung die Flugtaktiken angepasst. Die Drohnen fliegen nun entweder in sehr großen Höhen von über drei bis vier Kilometern oder extrem niedrig, dicht über Gebäudedächern.

In großen Höhen können mobile Abwehrgruppen mit Maschinengewehren die Drohnen nicht mehr erreichen, während die niedrigen Flughöhen die Entdeckung erschweren und die Reaktionszeit verkürzen.

Diese taktischen Änderungen zeigen Erfolge. Ukrainische Luftwaffendaten, die von der Financial Times analysiert wurden, belegen nach Angaben von The War Zone einen Anstieg der Trefferquote von nur fünf Prozent in den drei Monaten vor April auf etwa 15 Prozent zwischen April und Juni.

Geran-Drohnen treffen demnach ihre Ziele nun dreimal häufiger als in den Vormonaten.

Lesen Sie auchMehr anzeigenWeniger anzeigen

Die Geran-2: Symbol einer neuen Ära des Krieges

Die Geran-2 ist zum Symbol einer grundlegenden Transformation der Kriegsführung geworden. Was als improvisierter Ersatz für teure Lenkwaffen begann, hat sich zu einer industriell gefertigten Präzisionswaffe entwickelt, die traditionelle Konzepte der Luftverteidigung herausfordert.

Die Zahlen sprechen für sich: Von 200 Drohnen pro Monat im Jahr 2023 zu über 200 täglich im Juli 2025 – eine Steigerung, die das Tempo moderner Rüstungsproduktion neu definiert. In Alabuga steht heute wahrscheinlich die größte Drohnenfabrik der Welt, mit einem Ausstoß, den sich selbst Militärexperten vor zwei Jahren noch nicht vorstellen konnten.

Entscheidend ist dabei nicht nur die Masse, sondern die deutlich gestiegene Präzision. Die Drohnen sind durch verbesserte Steuerungssysteme und KI-Integration zunehmend störungsresistent geworden und treffen ihre Ziele mit chirurgischer Genauigkeit.

Ein relativ kleiner Sprengkopf von maximal 90 Kilogramm kann so verheerenden Schaden anrichten, wenn er punktgenau sein Ziel erreicht. Diese Genauigkeit ermöglicht es Russland, seine neueste Strategie umzusetzen: den gezielten Fokus auf Rüstungsindustrie und militärische Anlagen statt auf die Energieinfrastruktur wie in den Wintermonaten zuvor.

Die nächtlichen Angriffe entfalten ihre strategische Wirkung: Für die Ukraine wird es zunehmend schwierig, eigene Rüstungsgüter zu produzieren, wenn Fabriken und Produktionsstätten kontinuierlich bedroht sind. Russlands Erfolg liegt in der systematischen Weiterentwicklung von Taktik und Technologie.

Die Geran-2 ist mehr als eine Waffe geworden: Sie ist der Vorbote einer Ära, in der kostengünstige, in Massen produzierte Präzisionssysteme das Schlachtfeld beherrschen und etablierte Militärdoktrinen obsolet machen.

Was in den nächtlichen Angriffen auf ukrainische Produktionsstätten erprobt wird, könnte zum Standard moderner Kriegsführung werden.