Auch mit 51 Jahren sieht Pierre-Edouard Stérin immer noch wie ein Musterschüler aus. Der französische Geschäftsmann und Milliardär meidet das Rampenlicht, hat aber ein unerschütterliches Sendungsbewusstsein und eine politisch-moralische Mission: Frankreich retten und Christus dienen.

In diesen Kulturkampf ist der Erzkatholik nicht als Politiker gezogen, sondern er will mit seinem Geld rechte und extrem rechte Politiker an die Macht bringen, die seine konservative, identitäre und libertäre Weltanschauung teilen.

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Drastischer Staatsabbau, Kampf gegen woken Zeitgeist und Immigration, das Verbot von Abtreibungen und Adoptionen für gleichgeschlechtliche Paare sind einige der Ziele.

Geheimer Schlachtplan

Eigentlich wollte der Unternehmer, der als einer der diskretesten Frankreichs gilt, unter dem Radar der Öffentlichkeit bleiben. Aber die Tageszeitung „Humanité“ hatte im Juli 2024 den „Businessplan“ für das Geheim-Projekt „Périclès“ veröffentlicht.

Darin werden die Etappen beschrieben, in denen extrem Rechte und Liberal-Konservative an die Schaltstellen der politischen Macht gebracht werden sollen.

1000

Bürgermeister mit der richtigen Gesinnung sollen bei den Kommunalwahlen 2026 unterstützt und ins Amt gebracht werden

Seither macht Stérin viel von sich reden – auch weil französische Ermittler seine Kredite für Politiker des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) als möglichen Verstoß gegen die Gesetze zur Parteienfinanzierung untersuchen.

Das konkrete Ziel für die kommenden zwei Jahre: mindestens 1000 gleichgesinnte Bürgermeister in Kommunen mit mehr als 3000 Einwohnern bei den Kommunalwahlen 2026 ins Amt bringen, davon mindestens 300 von der Partei Marine le Pens.

Nicht katholisch genug: Der Milliardär Stérin unterstützt trotz ideologischer Unterschiede auch die Partei Marine Le Pens.

© AFP/Julien de Rosa

Und ein Jahr später die Eroberung des Élysée-Palastes und eine Mehrheit in der Nationalversammlung. 150 Millionen Euro bis 2032 will Stérin dafür ausgeben.

„Juristische Guerilla“ und katholische Influencer

Das Geld fließt über „Périclès“ an Dienstleister und Organisationen, die die Politiker und die ideologische Wende unterstützen sollen.

Finanziert wird ein Training für Bürgermeisterkandidaten, das in eine eigene Ausbildungsstätte münden soll; Kommunikation, Wahlwerbung, sowie ultrakonservative Thinktanks und Vereine, die die öffentliche Debatte beeinflussen sollen; auf der Agenda stehen auch ein eigenes Umfrageinstitut und eine „juristische Guerilla“, die Andersdenkende mit Angriffen überziehen soll.

Doch das verschachtelte Imperium des Geschäftsmannes, darunter die Investmentfirma Otium Capital und seine Stiftung „Gemeinwohlfonds“, finanziert auch eine Journalistenschule und katholische Influencer.

Katholische Internate hatten durch die jahrzehntelange Kindesmisshandlungen in Notre-Dame-de-Bétharram gerade erst wieder im Fokus der Öffentlichkeit gestanden.

© AFP/PHILIPPE LOPEZ

Und nach den Sommerferien wird mit dessen Unterstützung das erste einer Reihe neuer katholischer Privatinternate eröffnet, in dem Mädchen und Jungen nicht mehr gemeinsam unterrichtet werden.

Reichtum durch Erlebnisgutscheine

Geld genug hat er. Reich wurde der aus der Normandie stammende Stérin ursprünglich mit „Smartboxen“, also Erlebnis-Geschenkgutscheinen für Kurztrips und Freizeitaktivitäten. Heute wird sein Vermögen auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt.

Ich will meine Kinder nicht verderben.

Pierre-Édouard Stérins Begründung, warum seine fünf Kinder nichts erben sollen.

Obwohl er sich als Patriot präsentiert, bezahlt er in Frankreich keine Steuern und ist stolz auf seine Steuerflucht: Als der sozialistische Präsident François Hollande 2013 eine bescheidene Vermögenssteuer einführt, fühlt sich Stérin „beraubt“ und lässt sich mit Ehefrau und mittlerweile fünf Kindern in Belgien nieder.

Die dadurch erzielten Steuerersparnisse flössen in seine „philanthropischen“ Aktivitäten, freut sich der Unternehmer. Seine Kinder dagegen sollen nur gute Berufsausbildungen bekommen, aber kein Vermögen erben. „Ich will meine Kinder nicht verderben“, sagte Stérin in einem Interview.

Das Power-Duo Bolloré und Stérin

Stérin ist nicht der einzige französische Milliardär, der die Rechten an die Macht bringen will. Der Unternehmer und Milliardär Vincent Bolloré arbeitet daran, indem er Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Verlage aufkauft, die er anschließend auf politische Linie bringt.

Auch der Unternehmer Vincent Bolloré will eine politisch-moralische Wende: Er setzt dafür auf sein Medienimperium.

© REUTERS/Benoit Tessier

Eigentlich wollte Stérin den Gleichgesinnten nachahmen. Aber der Kauf der Wochenzeitschrift „Marianne“ war vor einem Jahr am erbitterten Widerstand der Redaktion gescheitert. Erst im Juni wurde bekannt, dass Unternehmen des Stérin-Universums diskret das Hybrid-Medium Cerfia gekauft haben, dem beim Kurznachrichtendienst X 1,2 Millionen Abonnenten folgen.

1968 als Vorbild?

Der Frankreich-Experte Jacob Ross sieht in dem Vorgehen der beiden Milliardäre durchaus eine „Tendenz“. Dahinter stehe die Idee, „dass zunächst das politische Vorfeld, der Raum der Ideen erkämpft werden müsse, bevor man politische Macht gewinnen kann“, sagt er. Eine Art „Metapolitik“, um den Zeitgeist zu prägen.

Jacob Ross ist Research Fellow im Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der DGAP. Französische Politik ist einer seiner Schwerpunkte.

„Viele rechte Aktivisten und Politiker sehen in der 68er-Bewegung eine äußerst erfolgreiche Manifestation eines solchen metapolitischen Machtwechsels, der in Deutschland häufig auch als ,Marsch durch die Institutionen’ gepredigt wurde.“ Nach diesem Beispiel wollten reaktionäre Kräfte nun linke Ideen und Politik nicht nur in Frankreich zurückdrängen.

Rechte, vereinigt Euch

Doch bei der von den französischen Milliardären gewünschten Vereinigung rechtsextremer und liberal-konservativer Kräfte hapert es noch. Gemeinsam organisierten die beiden Ende Juni den sogenannten „Gipfel der Freiheiten“ in Paris, zu dem Parteienvertreter, Unternehmer und Journalisten aus diesen Lagern geladen waren.

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Der Parteichef des Rassemblements National, Jordan Bardella, war ebenso dabei wie die Nichte Marine Le Pens, Marion Maréchal, Galionsfigur der konservativ-identitären Strömung. Aber Liberale und Konservative waren nicht gekommen.

Der Politikwissenschaftler Ross zeigt sich skeptisch: „Die ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien und Bewegungen sind doch groß.“

Stérin und viele seiner Mitstreiter seien sehr wirtschaftsliberal und katholisch, während der RN, als aussichtsreichste Partei für einen Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl 2027, auf einen starken Staat und großzügige Sozialpolitik – für französische Staatsbürger – setze und Marine Le Pen sich bisher von den katholischen Milieus fernhalte.

Amerikanische Verhältnisse?

Ross sieht in der Art der Politikbeeinflussung durchaus eine Amerikanisierung der französischen Politik.

„Stérin hat offen seine Bewunderung für die politischen Aktivitäten von US-Milliardären wie Elon Musk oder Peter Thiel gezeigt.“ Letzterer habe früh in JD Vance investiert, als dieser für das Senatorenamt in Ohio kandidierte und Geld für seinen Wahlkampf brauchte.

Der rechts-libertäre Tech-Unternehmer und Milliardär Peter Thiel mischt in den USA in der Politik mit.

© Getty Images for The Cambridge Union/Nordin Catic

„Nun ist er Vizepräsident und aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Donald Trumps. Ganz ähnlich stellt es sich offenbar Stérin vor, wenn er junge Talente fördert“, sagt Ross dem Tagesspiegel.

Ermittlungen wegen illegaler Parteienfinanzierung

Nicht nur Analysten sehen die massive Einflussnahme von Milliardären wie Bolloré und Stérin auf Politik und öffentliche Meinung kritisch. In Ermittlungsverfahren zu möglicher illegaler Parteienfinanzierung ist Stérin bereits befragt worden.

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Dabei geht es vor allem um Kredite, die er zumeist Kandidaten des Rassemblement National in Wahlkämpfen 2020/21 gewährte und die möglicherweise nicht ordnungsgemäß zurückgezahlt wurden. Der Befragung zu diesem Thema in einem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung war der Investor im Mai ferngeblieben.

„Dass Stérin zu Anhörungen zitiert wurde, spricht dafür, dass ihm viel Gewicht beigemessen wird und Teile der französischen Politik, natürlich insbesondere linke Parteien, versuchen, seinen Einfluss auf politische Entwicklungen zu begrenzen“, analysiert Ross.