Irgendwas stimmt da nicht. Es ist Viertel vor acht im Olympiastadion, und es läuft schon lautstark „Angels“, unschwer zu hören der Lieblingssong der 70 000 Gäste hier. Die Massen singen es dankbar und erfüllt, und dazu schreit ein Mann mit lustigem Hut auf der Bühne: „Ich war das nicht, ich habe nichts zu tun damit, schmeiß mich nicht raus, Robbie!“ Das stimmt natürlich nicht, denn Thom Rylance, der Vorturner der Vorband The Lottery Winners, hat Robbie Williams Megahit natürlich selbst angestimmt, und jetzt schmeißt er sich noch voll rein in bester Karaoke-Laune: „And through it all…!“

Das wäre freilich ein Kapitalverbrechen jeder Vorband, die größte Zugaben-Nummer des Stars zu kapern. In dem Fall macht Rylance aber genau das, wofür ihn Williams angeheuert hat: Stimmung. Der Typ aus dem Großraum Manchester ist wie ein Hofnarr, eine Karikatur des Entertainer-Königs, der gleich kommen soll. Rylance sagt in einer halben Stunde öfter „Scheiße“ und „Schwanz“ als Robbie in einem ganzen Konzert, er beichtet wie sein Arbeitgeber psychische Probleme und erzählt von einer schweren Schulzeit – und er züngelt dazu anzüglich mit seinem Becken.

Vor seinem eigenen Hit „You Again“ beschwert er sich, den kenne „in Deutschland keine Sau“, und für ihr Münchenkonzert im Dezember seien gerade mal sieben Tickets verkauft. Der Song aber habe Robbie Williams und ihn zusammengebracht. Williams habe den Song gehört und danach bei ihm angerufen und gefragt: Willst Du mein bester Freund sein? Rylances Antwort: „Ich sagte: Nein!“

Williams erscheint in einem weißen Renn- oder Raumfahreranzug mit schnittig frisierter Silbertolle

Es zeugt von großem Selbstbewusstsein, solch eine Spaßsprinkleranlage wie Rylance vor sich auf die Bühne zu stellen – die nun auch noch durch zunehmenden Regen von oben begossen wird. Wie wird Robbie Williams diesen Auftritt toppen?

Ganz einfach, in dem er Robbie Williams ist. Und noch eine Schippe obendrauf legt. Williams erscheint in einem weißen Renn- oder Raumfahreranzug mit schnittig frisierter Silbertolle, er macht Roboter-Moves, tänzelt, schaut heldenhaft. Umschwirrt ist er von einer Schar von Musikern, Sängerinnen und Tänzerinnen, die ihn wie eine Gospelsekte hochleben lassen.

Williams startet auf dieser Tour gleich am Anfang eine Rakete: seinen neuen Song „Rocket“, der tatsächlich auch sehr rockig ist. Zum Finale des furiosen Entrees steigt er eine Himmelleiter hinauf auf die Spitze eines leuchtenden Bogens, der funkensprühend abhebt. Robbies Himmelsfahrt – und dann kommt er Jesusgleich doch zurück geschwebt auf die Bühne, um zu entertainen. Gleich schiebt er seinen alten Opener hinterher: „Let Me Entertain You“. Diese Nacht sei seine Liebeserklärung ans Entertainmant, sagt er – und Williams möchte der beste Entertainer der Welt sein.

„Das war nicht Scheiße!“, das sei besser gewesen als Berlin, lobt Williams.

Der 51-Jährige ist körperlich fit wie nie, obwohl er ein tropfendes linkes Nasenloch habe, sagt er. „Aber das ist nicht Covid!“ Seine Stimme ist jedenfalls mächtig laut. Williams zeigt seinen erstaunlich trainierten Körper in roten Trainingshosen und im engen Muskelhemd. Er schmeißt sich ran ans Münchner Publikum und fordert es heraus, bei ein paar Cover-Gassenhauern lauter zu sein als das in der Berliner Waldbühne: Auf „Song 2“ folgt der Stadionbrüller „Seven Nation Army“, den er wie Heldentenor Jonas Kaufmann tönen lässt, dann Bon Jovis „Living On A Prayer“. Darin heißt es „We`re half Way there“, aber München ist schon voll mittendrin: „Das war nicht Scheiße!“, das sei besser gewesen als Berlin, lobt Williams.

Und man glaubt ihm gerne, dass auch er eine bessere Show spielt als je zuvor, das nimmt man ihm ab. Nicht wegen seinem Song „Rock DJ“, der folgt. Sondern wegen seiner hinreißenden Liebeserklärung an seine Familie, seine Frau, die vier Kinder, die ihn gerettet hätten. Es folgt die Liebeserklärung „Love My Life“, so positiv kann es weitergehen.

Robbie Williams ist einer der erfolgreichen britischen Musiker. Zusammen mit den Platten seiner früheren Band Take That kommt er je nach Zählweise auf etwa 15 Nummer-eins-Alben allein in Großbritannien. Mit 18 Auszeichnungen bei den renommierten Brit-Awards hält er einen Guinness-Rekord. Derzeit befindet sich der 51-Jährige wieder auf großer Europa-Tournee mit 30 Terminen. Nach dem München-Konzert geht es am 10. August nach Frankfurt. Das Ende der Reise ist am 7. Oktober in Istanbul.

Sie lesen einen Bericht direkt aus dem Stadion aus dem laufenden Konzert von Robbie Williams. Eine ausführliche Kritik erscheint am Folgetag.