Ein zerstörter Viadukt der Hamburger Hochbahn-Bahnlinie nach Rothenburgsort

Stand: 27.07.2025 05:00 Uhr

Am 27. Juli 1915 eröffnet, im Zweiten Weltkrieg zerstört: Die Hamburger U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort ist seit Langem abgebaut. Aber einige Überbleibsel sind heute noch zu entdecken.

von Marc-Oliver Rehrmann

Für die meisten Menschen wäre es einfach ein feuchter, kahler Keller. Für Karsten Leiding ist es einer der spannendsten Aufenthaltsorte in Hamburg. Gemeint ist der Tunnel der verschwundenen U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort. Leiding hat 2014 mit dem NDR darüber gesprochen. Die Gleise sind seit Jahrzehnten fort, auf dem Boden haben sich Pfützen gebildet. Für Leiding zeugt der unterirdische Ort dennoch von einer spannenden Zeit. Es ist eine Geschichte, die eng mit der Geschichte der Hansestadt verbunden ist. Am 27. Juli 1915 wird die Zweiglinie vom Hauptbahnhof nach Rothenburgsort eröffnet, bei den Bombenangriffen im Juli 1943 zerstört und nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut.

Mühsame Suche in Archiven

Karsten Leiding zeigt auf die Stelle, an der einst die U-Bahn-Halstestelle "Brückenstraße" stand

Karsten Leiding zeigt auf die Hauswand nahe den Elbbrücken, an der einst die U-Bahn-Haltestelle „Brückenstraße“ angrenzte.

Als Taxifahrer kommt Leiding viel in der Stadt herum. In seiner Freizeit erforscht er seit etwa zwölf Jahren die Geschichte der einzigen Hamburger U-Bahn-Linie, die es nicht mehr gibt. Er verbringt Stunden und Tage in Archiven, um in Vergessenheit geratene Fakten und unbekannte Fotos aufzuspüren. „Irgendwann hatte ich dann so viel Material zusammen, dass ich das Ganze ins Internet gestellt habe„, erzählt Leiding 2014.

Ein Streifzug mit ihm entlang der früheren Hochbahn-Linie bringt so manches Überbleibsel an den Tag. Da ist zum Beispiel die alte Mauer, die einst das Eisenviadukt der Hochbahn-Linie stützte. Oder der Rest eines alten Geländers. An einer Hauswand ist noch gut zu erkennen, wie hoch einer der vier Bahnhöfe über dem Straßenniveau lag. Das faszinierendste Souvenir liegt aber unter der Erde: Es ist der alte Tunnel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Auf einer Länge von rund 150 Metern ist er fast vollständig erhalten und vom Keller des Generali-Hauses am Besenbinderhof begehbar, aber nicht öffentlich zu betreten.

Im Ersten Weltkrieg fehlen die Arbeiter

Die gut drei Kilometer lange Strecke der U-Bahn-Linie führte – vom Hauptbahnhof kommend – zunächst durch den Tunnel. Dann rollten die Züge größtenteils auf einem eisernen Viadukt durch Hammerbrook – einem Stadtteil, in dem sich nach Schaffung des Freihafens 1880 zunehmend Hafenarbeiter, Seeleute, kleine Beamte und Geschäftsleute ansiedelten. Das Hochbahn-Viadukt prägte jahrzehntelang das Bild des Stadtteils.

Die Haltestelle Rothenburgsort der Hamburger U-Bahnlinie nach Rothenburgsort

Die Endhaltestelle Rothenburgsort lag für viele Bewohner des Stadtteils ungünstig.

Die neue U-Bahn-Linie sollte die bevölkerungsreichen Wohnquartiere von Hammerbrook und Rothenburgsort besser an die Innenstadt anbinden. Bereits 1905 steht die Planung für die Strecke weitgehend. Vier Haltestellen sind vorgesehen: Spaldingstraße, Süderstraße, Brückenstraße und Rothenburgsort. Nach mehrjähriger Planung beginnen die Bauarbeiten, 1912 ist bereits der Tunnel weitgehend fertiggestellt. Aber mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der Zeitplan nicht mehr einzuhalten. Viele Arbeiter ziehen in den Krieg, zudem wird das Baumaterial knapp. Hinzu kommt eine lange Frostperiode im Winter 1914/15.

Die für Februar 1915 geplante Eröffnung muss folglich mehrmals verschoben werden. Im Sommer ist es dann so weit: An einem Dienstag, den 27. Juli, eröffnet die Hochbahn die Strecke nach Rothenburgsort – wohl ohne große Feierlichkeiten, schließlich befand man sich mitten im Krieg. Um 4.54 Uhr fährt die erste Bahn ab. Die Fahrtzeit zwischen Hauptbahnhof und Rothenburgsort beträgt sieben Minuten.

Die Haltestelle Rothenburgsort der Hamburger U-Bahnlinie nach Rothenburgsort

Viele weitere Informationen über die Zweiglinie nach Rothenburgsort hat Karsten Leiding auf seiner Website zusammengestellt.

Nur wenige Fahrgäste

Doch die neue Linie bringt nicht den erhofften Erfolg – es steigen zu wenige Fahrgäste zu. Ein Problem der Streckenführung: Die Endhaltestelle Rothenburgsort befindet sich in einer Randlage. Die Straßenbahn-Linien in Richtung Innenstadt sind zudem für viele Bewohner attraktiver gelegen. Die Hamburger Hochbahn zieht nach acht Jahren Konsequenzen: Im September 1923 stellt sie den Betrieb zwischen Hauptbahnhof und Rothenburgsort vorübergehend ein. Im Tunnel stellt sie nun überzählige U-Bahn-Wagen ab.

Aus der Verlängerung wird nichts

Aber viele Anwohner und Firmen protestieren gegen die Stilllegung. Die Hochbahn bleibt zunächst hart. Aber als die Hamburgische Bürgerschaft zusagt, sich an den Kosten für den Bau einer dringend benötigten Wagenhalle in Rothenburgsort zu beteiligen, lenkt die Hochbahn ein: Im Februar 1924 fahren die Züge wieder – oft jedoch nur noch als einzelner Triebwagen. Diese Sonderanfertigungen sind zu Beginn der 1920er-Jahre extra für die wenig frequentierten Strecken in Hamburg entwickelt worden. Und spätestens mit der Weltwirtschaftskrise verabschiedet sich die Hochbahn von ihren Plänen für eine Verlängerung der Rothenburgsort-Linie nach Billbrook und einen Abzweig in den Freihafen.

Bombentreffer bei „Operation Gomorrha“

Die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg läuten dann das Ende der U-Bahn-Linie ein – auf den Tag genau 28 Jahre nach der Eröffnung. Am späten Abend des 27. Juli 1943 gibt es Luftalarm. Um 1 Uhr nachts beginnt die Bombardierung im Zuge der mehrtägigen „Operation Gomorrha“ der Alliierten. Getroffen werden auch die Stadtteile Hammerbrook und Rothenburgsort, ein Feuersturm richtet enorme Schäden an. Innerhalb weniger Stunden kommen Zehntausende Bewohner der Stadtteile rund um die Zweiglinie ums Leben.

Buch-Tipp

Viele Informationen über die ehemalige U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort bietet der Band „Hamburgs dunkle Welten. Der geheimnisvolle Untergrund der Hansestadt“ von Ulrich A. Christiansen.

Auf der Hochbahn-Strecke fuhr nie wieder ein Zug. Denn auch nach Kriegsende wird der Betrieb nicht wieder aufgenommen – zu groß sind die Schäden und zu klein die Fahrgastzahlen. Zudem sind die Wohngebiete in Hammerbrook und Rothenburgsort größtenteils zerstört. Sie werden auf Jahre hinaus zum Sperrgebiet erklärt, eine Mauer schottet die Gegend ab. Die letzten Trümmer werden erst mehr als zehn Jahre nach Kriegsende beseitigt.

Abbau in den 1950er-Jahren

Erst im März 1951 beginnt die Hochbahn damit, die Strecke abzubauen – zuvor hat sie alle Energie darauf verwendet, die anderen kriegsbeschädigten U-Bahn-Linien im Stadtgebiet zu reparieren. Als Erstes nehmen sich die Abriss-Arbeiter das Viadukt am Nagelsweg vor, im Juli 1951 wird die Haltestelle Süderstraße abgetragen. Im „Hamburger Echo“ ist am 21. Juli zu lesen: „Die letzte Bahn ab Hauptbahnhof fuhr am 27. Juli 1943. Die folgende Nacht zerriß das Band vom Gestern zum Morgen, und von diesem Augenblick an lagen die Bahnhöfe verödet, erstarb auf den Gleisen das gleichförmige Rollen der Räder, erstarrten die Signale, und zwischen dem Schotter des Unterbaues, zwischen den Betonritzen der Bahnsteige suchte sich das Gras kümmerlichen Nährboden. So blieb es fast acht Jahre.“ Die Bahnhofshallen werden nicht verschrottet, sondern verkauft – etwa als Gewächshaus.

Tunnel: Luftschutzbunker und Museumslager

Das erhaltene Tunnelstück der früheren U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort

Der einzige Tunnel der U-Bahn-Linie ist noch erhalten. Lange Zeit dient er als Aktenlager, seit einigen Jahren steht er nun leer.

Der Tunnelschacht hingegen hat lange noch nicht ausgedient. Weil ab Sommer 1943 keine Züge mehr durch den Tunnel rollen, kann die Stadt ihn zeitweilig als provisorischen Luftschutzbunker nutzen. Aber schon 1944 wird dies verboten, da die Einsturzgefahr infolge von Bombeneinschlägen zu groß ist. Später lagert das nahegelegene Zoologische Museum einzelne Sammlungsstücke im Tunnel ein. Der Legende nach sind darunter mit Alkohol gefüllte Glasbehälter, in denen Tier-Präparate aufbewahrt werden. Der verstorbene Schriftsteller Siegfried Lenz hat dem Alkohollager im U-Bahn-Tunnel ein Denkmal gesetzt: In „Lehmanns Erzählungen – So schön war mein Markt“ berichtet ein Schwarzhändler stolz, wie er nach dem Krieg ausreichend Schnaps für eine Siegesfeier der Alliierten besorgt, indem er „Reptilien und Frösche von ihrer Alkoholumhüllung befreit“ und sie „vergnüglicheren Zwecken“ zuführt.

Letztes Kapitel als Aktenlager

Nach dem Krieg wird der Tunnel zunächst als Lager und Verladestation für Lebensmittel benutzt – bis 1949. Über eine Rampe werden beispielsweise Kartoffeln eingelagert. Im Tunnel ist bis heute der Unterbau für das entsprechende Transportband zu erkennen. Ein Teil der Gleise war bereits 1943 ausgebaut worden, um mit ihnen Schadstellen im übrigen Netz der Hamburger Hochbahn zu beheben. Die letzten Gleise im Tunnel werden dann 1954 zurückgebaut. Der Bau der U1 in Richtung Wandsbek bringt es 1958 mit sich, dass der Tunnel vom übrigen U-Bahn-Netz abgetrennt wird und seitdem eine Sackgasse ist. Später nutzt die Volksfürsorge (heute: Generali) die unterirdischen Räume als Aktenlager, bis sie Ende 2005 den Großteil des Archivs auflöst. Der restliche Tunnel steht nun leer, nur einige Fernwärmerohre verlaufen dort.

Der Verlauf der U-Bahn nach Rothenburgsort

Blick vom Kirchturm auf die zerstörte Innenstadt in Richtung Hafen nach den Luftangriffen auf Hamburg 1943

Die Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg erreichen in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 ihren Höhepunkt. Zehntausende sterben.

Ein Werbeplakat der Firma Horten hängt an den Wänden eines verlassenen Bahnsteigs in einem Geistertunnel ohne Gleise unter dem Hamburger Hauptbahnhof. Die 1968 gebaute U-Bahn Tunnelröhre wurde nie benutzt. (22.06.2022)

1968 wurde die U-Bahnstation Hauptbahnhof Nord in Hamburg fertiggestellt. Aber: Zwei von vier Röhren gingen nie in Betrieb. Das ändert sich nun.

U-Bahnstation Hellkamp in Hamburg-Eimsbüttel in den 1930er-Jahren

Bis zum 1. Mai 1964 fährt die Hamburger U-Bahn bis zur Endhaltestelle Hellkamp. Die Station wird danach zu einem Geisterbahnhof.

Altes Foto des U-Bahnhofs Beimoor bei Großhansdorf

1915 beginnen die Arbeiten an der U-Bahnstation. Doch sie geht nie in Betrieb. Die Linie U1 endet im Osten deshalb in Großhansdorf.

Der Tunnel unter der Gründgensstraße in Hamburg-Steilshoop, wo lange eine geplante U-Bahnstation vermutet wurde (aufgenommen am 21.03.2017)

Lange munkelte man: Unter dem Einkaufszentrum in Hamburg-Steilshoop soll sich der Zugang für eine geplante U-Bahnstation befinden.

Blick auf die Strecke zwischen Landungsbrücken und Baumwall im Juni 1912

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Mit dem Bau der Hamburger Großrohrpost wächst ab 1960 eine weltweit einmalige Anlage. Doch schnell kommt das Aus.