Als Großbritannien vor ziemlich genau fünf Jahren nach einer schier endlosen Diskussion und mehrmals verlängerten Phasen der Verhandlungen über den Austritt die Europäische Union verließ, war der Schaden in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Insel und dem Festland längst angerichtet. „Schon die Abstimmung über den Ausstieg hat in der Folge zu einer deutlichen Verringerung der Exportzahlen geführt“, sagte am Montag Jürgen Matthes, Leiter Internationale Wirtschaftspolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Das zeigt sich auch in den Außenhandelszahlen zwischen NRW und Großbritannien. Denn die nordrhein-westfälische Wirtschaft hat nach Angaben der Statistikbehörde IT.NRW zwar 2023 nur noch Waren im Wert von 9,5 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich exportiert und damit zehn Prozent weniger als 2019 (also ein Jahr vor dem Brexit). Aber damals waren die Ausfuhren schon m 24 Prozent niedriger ausgefallen als 2015, ein Jahr, bevor die Bevölkerung in Großbritannien, Irland und dem Commonwealth per Referendum über den Austritt abstimmte.

Ein Jahrzehnt später hat sich an der Perspektive für die Briten nichts geändert. Das britische Forschungsunternehmen Cambridge Econometrics kam im vergangenen Jahr in einer Studie zu der Erkenntnis, dass allein für die Zeit bis 2023 die Einbußen bei der realen Bruttowertschöpfung auf sechs Prozent zu beziffern seien und das Minus bis zum Jahr 2035 auf etwa zehn Prozent wachsen dürfte. Deshalb sollten die Folgen des Brexits ein warnendes Beispiel für jene sein, die offensiv auch einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union fordern – namentlich die AfD. Ein sogenannter Dexit, das haben Matthes und einige weitere IW-Autoren in einer Studie errechnet, würde binnen fünf Jahren das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 5,6 Prozent sinken lassen und rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland riskieren. „Ein Austritt Deutschlands aus der EU und aus der Europäischen Währungsunion würde bewusst eine schwere ökonomische Krise und einen nachhaltigen Wohlstandsverlust der Bevölkerung in Deutschland auslösen“, heißt es in der Studie aus dem Mai des vergangenen Jahres.

Für Nordrhein-Westfalen hat die britische Insel als Exportregion durch den Brexit deutlich an Bedeutung verloren, wie die am Montag von IT.NRW vorgelegten Zahlen zeigen. 2015 war Großbritannien noch der drittwichtigste Auslandsmarkt für Waren und Dienstleistungen aus NRW, vier Jahre später reichte es in der Rangliste nur noch für Platz sieben, abermals vier Jahre später nur noch zu Rang neun. Wobei man sagen muss, dass der zwischenzeitliche Rückgang der Exportzahlen auf 8,4 Milliarden Euro im Jahr 2021 natürlich auch eine Folge der Corona-Pandemie gewesen ist. Und: „Großbritannien ist immer noch einer der wichtigsten Exportmärkte für deutsche Autos“, sagt IW-Experte Matthes. Rund 400.000 Fahrzeuge seien im vergangenen Jahr auf die britische Insel geliefert worden, ungefähr so viele wie in die USA und fast doppelt so viel wie nach China (216.000). Allerdings bauen VW, Mercedes und BMW dort auch Autos – nicht nur für den chinesischen Markt, sondern auch für den Export. Insgesamt entfallen die höchsten Exportwerte 2023 auf Lastkraftwagen unter fünf Tonnen (rund 478 Millionen Euro) und Bänder für Getränkedosenkörper aus Aluminium (ungefähr 426 Millionen Euro). Im Jahr 2019 hatten noch Pkw und Arzneiwaren bei den Ausfuhren in das Vereinigte Königreich vorn gelegen.

„Während vor dem Brexit die Exportsumme die Summe der Importe überstiegen hatte, hatten sich beide Werte im Jahr 2023 nahezu angeglichen“, schreibt IT.NRW in seiner Betrachtung. Heißt im Klartext: Vom einstigen deutlichen Handelsüberschuss für NRW ist nicht mehr viel übriggeblieben. Ein Blick auf die Importzahlen zeigt, dass die Briten nur geringfügig weniger nach Nordrhein-Westfalen liefern als unmittelbar vor dem Brexit. 2023 betrug der Wert der Einfuhren aus Großbritannien nach NRW noch 9,4 Milliarden Euro, nach 9,5 Milliarden vier Jahre zuvor. Auch hier hatte es im Corona-Jahr 2021 einen deutlichen Rückgang gegeben, aber der ist vergessen. Gleichzeitig macht der Anteil Großbritanniens an den Einfuhren nach NRW nur etwas mehr als drei Prozent aus. Den größten Anteil haben Erdöl im Wert von 1,9 Milliarden Euro und Arzneien für knapp eine Milliarde Euro. Dass der Erdöl-Import noch einmal um 600 Millionen Euro gegenüber 2019 gestiegen ist, liegt natürlich auch am Ölembargo gegen Russland nach dem Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine.