Ehrenamt in Stuttgart: Eine Karte, die betont, was uns verbindet Bürgerschaftliches Engagement verdient mehr Anerkennung (Symbolfoto). Foto: IMAGO/Westend61

Die Ehrenamtskarte ist ein gutes Signal für Menschen, die den Fliehkräften unserer Zeit etwas Verbindendes entgegensetzen. Ein Kommentar von Jan Sellner.

Das Ehrenamt ist ein Hauptbestandteil von Sonntagsreden. Vom „Kitt der Gesellschaft“ ist da die Rede, von den „stillen Helden“, ohne die das Land ärmer wäre. Auch von „guten Seelen“ spricht man gerne, die im Hintergrund wirken, während andere im Vordergrund stehen. Das Problem ist: Von diesen Sonntagsreden können sich die Angesprochenen am Montag, Dienstag und während des Rests des Alltags nichts kaufen. Zwar gibt es für Ehrenamtliche eine Reihe von Vergünstigungen, auch steuerlicher Art. Die handfeste Würdigung von freiwilligem Einsatz für das Gemeinwesen lässt jedoch immer noch zu wünschen übrig.

Das ist bedauerlich, zumal nicht wenige von den vielen, die freiwillig Verantwortung übernehmen oder sich in Verantwortung nehmen lassen, bei aller empfundenen Sinnhaftigkeit ihres Tuns, Lücken schließen, die sonst der Staat teuer besetzen müsste.

Es ist gut, dass Stuttgart keine Kleinstädterei betreibt

Diesem Defizit an Wertschätzung will die grün-schwarze Landesregierung durch die Einführung einer landesweiten Ehrenamtskarte begegnen. Sie ermöglicht Vergünstigungen in Form von freiem oder reduziertem Eintritt in öffentlich geförderte Einrichtungen wie Museen, Schlösser oder Bäder. Ein Testlauf an ausgewählten Standorten verlief aus Sicht des Sozialministeriums positiv. Nun geht es damit in die Breite – sofern die Stadt- und Landkreise sich dem anschließen wollen. Stuttgart will! Zumal es sich als Stadt des Ehrenamts versteht, in der sich fast 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger freiwillig einbringen. Der Gemeinderat muss nächste Woche nur noch einen Knopf dranmacht.

Der sich abzeichnenden mehrheitlichen Zustimmung war einiges Zögern vorausgegangen sowie die Überlegung, statt der landesweiten Karte eine lokale Ehrenamtskarte anzubieten. Damit würden nur Stuttgarterinnen und Stuttgart die hier angebotenen Vergünstigungen in Anspruch nehmen können, nicht aber Ehrenamtliche aus Ulm, Freiburg oder dem Ostalbkreis. Umgekehrt hätten Stuttgarter dann dort auch nichts von ihrem Stuttgart-Kärtle. Nimmt man das Ganze in den Blick, dann ist es sinnvoll, dass die Landeshauptstadt nicht aus der Reihe tanzt und keine Kleinstädterei betreibt, sondern die Vorteile der landesweiten Lösung nutzt, einschließlich der vom Land entwickelten Ehrenamts-App, die in Kürze bereitstehen soll.

Auch der Ehrenamtspreis unserer Zeitung will einen Beitrag leisten

Die zunächst auf zwei Jahre befristete Ehrenamtskarte kann jedoch nur ein Element von mehreren sein, um freiwilliges Engagement hervorzuheben und gleichzeitig dafür zu werben. Erfreulicherweise hat Stuttgart da bereits einiges zu bieten. Die aus bürgerschaftlichem Engagement hervorgegangene Freiwilligenagentur der Stadt ist beispielhaft zu nennen, ebenso Caleidoskop, das Freiwilligenzentrum der Caritas, wo sich Interessierte untereinander austauschen und vernetzen können. Dazu kommen erprobte Formen der Anerkennung, wie Ehrungen durch die Stadt und der Bürgerpreis der Bürgerstiftung. Auch die beiden Stuttgarter Zeitungen unterstützen diese Haltung der Freiwilligkeit durch ihren gemeinsam mit der Volksbank Stuttgart ausgerichteten und mit 15 000 Euro dotierten Preis „Stuttgarter/Stuttgarterin des Jahres“.

Das Signal, das Stuttgart nun zusätzlich mit der Ehrenamtskarte geben will, ist ein gutes – gerade in Zeiten, die von Polarisierung und starken gesellschaftlichen Fliehkräften geprägt sind. Denn sie betont etwas, das zunehmend in Gefahr gerät: das Verbindende, das durch bürgerschaftliches Engagement geschaffen wird.