Ein US-Startup will das jahrtausendealte Rätsel gelöst haben, wie man aus anderen Elementen Gold herstellt: als Abfallprodukt in Nuklearreaktoren. Nicht nur Energie, auch das Edelmetall könnte so in Zukunft womöglich faktisch unbegrenzt erzeugt werden – mit dramatischen Folgen.

Es ist ein jahrtausendealter Traum: Gold einfach aus anderen Elementen zu erzeugen, statt es unter lebensgefährlichen Bedingungen in Minen abzubauen, dafür Wälder abzuholzen, Flüsse mit Quecksilber zu vergiften und die Landschaft mit Abraum zu verschandeln. Schon im alten Ägypten war die Chrysopoeia – die Umwandlung niederer Metalle wie Blei in das wichtigste Edelmetall – ein zentrales Ziel der Alchemie. Auch die Griechen und Römer versuchten sich erfolglos in der künstlichen Goldherstellung. Ein Startup aus San Francisco will nun einen Weg gefunden haben, der den Menschheitstraum eines Tages im großen Stil wahr machen soll: nukleare Fusion.

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Getrieben vom Energiehunger der KI-Revolution erlebt die Kernkraft eine Renaissance. Dutzende Startups weltweit forschen dabei an Fusionsreaktoren, auch in Deutschland. Denn auch wenn funktionierende Fusionsreaktoren womöglich noch Jahrzehnte entfernt sind, verspricht die Technik potenziell unendliche, saubere und verlässliche Energie – ohne CO2-Emissionen oder radioaktiven Müll.

Um neue Brennstoff-Technologien für solche nukleare Fusionsreaktoren zu entwickeln, wurde 2023 Marathon Fusion gegründet. Dabei will die Firma quasi nebenbei nicht nur einen „praktikablen Weg zur großtechnischen, fusionsgetriebenen Umwandlung von Quecksilber in Gold“ gefunden haben. Sondern mit dem Ansatz künftigen Fusionsreaktoren „eine neue Einkommensquelle eröffnen“ und sie so wirtschaftlich überhaupt erst tragfähig machen.

Gold durch Kraft der Sonne

Die Kosten eines Fusionsreaktors sind wegen des enormen technischen Aufwands gigantisch. Die grundsätzliche Idee ist zwar einfach: Wasserstoffatome werden zu Heliumkernen verschmolzen – die nukleare Fusionsreaktion, die die meisten Sterne im Universum und auch unsere Sonne antreibt. Doch praktisch müssen dafür im Reaktor zwei verschiedene Wasserstoff-Isotope – Deuterium (mit einem Neutron) und Tritium (mit zwei Neutronen) – auf mehr als 100 Millionen Grad erhitzt werden, bis sie zu einem Heliumkern (mit zwei Neutronen) fusionieren und dabei Energie – in Form eines freien Neutrons – abgeben.

Damit die Fusion in Gang bleibt und immer wieder genug Tritium als Brennstoff im Plasma entsteht, wird der Reaktor mit einem Mantel aus Lithium umhüllt. Denn Lithium zerfällt bei Kontakt mit dem freiwerdenden Neutron aus der Fusionsreaktion zu Helium – und eben neuem Tritium, das so den Fusionsprozess weiter antreibt. Der Fusionsreaktor basiert darauf, verschiedene Elemente der Natur ineinander umzuwandeln: Wasserstoff wird zu Helium, Lithium zu Tritium. Warum die Kernfusion dann nicht auch für andere nukleare Rekombinationen nutzen – etwa für die künstliche Herstellung von Gold, die nicht nur Ägypter und Griechen im Sinn hatten?

Marathon schlägt daher vor, zusätzlich zu Lithium noch Quecksilber in den Mantel um den Fusionsreaktor zu geben. Denn ein bestimmtes Quecksilber-Isotop (mit 118 Neutronen) verwandelt sich bei Kontakt mit den Neutronen aus der Fusionsreaktion in ein anderes Quecksilber-Isotop (mit 117 Neutronen). Und das ist instabil – und zerfällt innerhalb von 64 Stunden zu Gold.

Ein Teil der freiwerdenden Neutronen aus der Wasserstoff-zu-Helium-Fusion soll im Marathon-Reaktor also weiter zur Energiegewinnung genutzt werden. Die andere Hälfte jedoch zur Goldproduktion. Das Entscheidende ist: Der Brennstoffkreislauf soll dadurch aber nicht abgewürgt werden. Gold fällt quasi als Nebenprodukt ab, ohne die Energieerzeugung zu unterbrechen.

Bislang ist der Reaktor zwar reine Zukunftsmusik, und Marathon hat den Vorschlag lediglich in einem Paper veröffentlicht, das noch nicht peer-reviewed wurde. „Auf dem Papier sieht es großartig aus, und jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, ist interessiert und begeistert“, zitiert die „Financial Times“ jedoch Ahmed Diallo, einen Kernphysiker der Princeton-Universität und Kernfusions-Experte.

Marathon-Gründer Adam Rutkowski, der zuvor als Raketen-Ingenieur bei Elon Musks SpaceX gearbeitet hat, verspricht sich von seiner Idee, die kommerzielle Anwendung von Kernfusion massiv zu beschleunigen. Denn der Verkauf von im Reaktor erzeugten Gold könnte ausreichen, „um die Kapital- und Betriebskosten auszugleichen und in vielen Fällen sogar vollständig zu decken. Diese zusätzlichen Erlöse senken die tatsächlichen Stromerzeugungskosten erheblich“, heißt es in seinem Paper. Fusionsenergie würde dadurch zu mehr als einer reinen Energiequelle – „was ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert erheblich steigert.“

Macht Kernfusion Gold zum Billigmetall?

Das hängt jedoch davon ab, wieviel sich mit dem Verkauf des Goldes verdienen lässt. In seinem Paper geht Rutkowski von zwei Tonnen, in der „Financial Times“ von jährlich bis zu fünf Tonnen Gold je Gigawatt Stromerzeugungskapazität aus, ohne die Leistung des Reaktors zu mindern. Bei den gegenwärtigen Marktpreisen wäre das Gold dann in etwa so viel wert wie der erzeugte Strom selbst – und würde den Gewinn eines Fusionskraftwerks entsprechend verdoppeln.

Rutkowski nimmt allerdings an, dass das zusätzliche Reaktor-Gold auf dem Markt nicht den Preis drückt. Bislang werden weltweit jährlich über 3500 Tonnen des Edelmetalls gefördert. Zusammen mit allem recyceltem Gold lag das Gesamtangebot im vergangenen Jahr laut World Gold Council bei rund 5000 Tonnen. Theoretisch ließen sich also künftig Fusionsreaktoren mit 1000 bis 2500 Gigawatt Leistung bauen, bevor sie laut Rutkowskis Annahmen synthetisch soviel Gold erzeugen wie momentan herkömmlich gefördertes Gold gekauft wird. Das ist sicherlich eine Menge und könnte helfen, die wirtschaftlichen Einstiegshürden der Kernfusion zu senken.

Doch auf Dauer würde die synthetische Goldproduktion den Markt wohl überschwemmen und den Goldpreis crashen. Denn schon heute liegt die weltweite Stromerzeugungskapazität aller Kraftwerke laut US-Energieagentur (EIA) mit über 9000 Gigawatt fast viermal so hoch – und durch den KI-Boom wird sie noch massiv steigen. Nur die ersten Fusionsreaktoren werden mit zusätzlicher Goldproduktion also Geld verdienen können. Falls sich die Kernfusion als dominante Energiequelle durchsetzen und die synthetische Erzeugung dabei zum regulären Nebengeschäft werden sollte, könnte sie nicht nur Strom deutlich günstiger machen. Sondern auch Gold faktisch zum Billigmetall degradieren.

Bis aus der Theorie womöglich Wirklichkeit wird, ist es noch ein langer Weg. Selbst die optimistischsten Prognosen privater Fusionsunternehmen gehen von einer kommerziellen Nutzung der Kernfusion erst ab Anfang bis Mitte der 2030er Jahre aus. Und selbst danach würde noch mehr Zeit vergehen: Durch die natürliche Verunreinigung von Quecksilber entstehen bei der Produktion im Fusionsreaktor auch instabile Isotope, die zerfallen und die Goldernte teilweise radioaktiv machen. Laut Rutkowski müsste sie etwa 14 bis 18 Jahre gelagert werden, bevor sie genutzt werden kann. Bis der Menschheitstraum, Gold nach Belieben zu erschaffen womöglich wahr wird, dürfte es bestenfalls also noch Jahrzehnte dauern.