Die Berliner Ravekultur lebt vom Mythos und von Exklusivität. Schafft man es am Türsteher vorbei, wird nach der gründlichen Taschenkontrolle das Handy abgeklebt, und man wird mit Bändchen und Garderobenmarke in die Nacht entlassen. Was danach passiert, wird nirgends festgehalten, und der Rausch lässt sogar die eigenen Erinnerungen schemenhaft werden. Was von solchen Nächten bleibt, ist ein Gefühl der Zugehörigkeit, eine nostalgische Ekstase, deren Momentgebundenheit zum besonderen Erlebnis wird.

Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski wagten sich mit „Rave On“ an ein Projekt, an dem viele Filmemachende scheitern. Solche Nächte darzustellen, ist eine Herausforderung; den Exzess und die zerfließenden Gespräche. Schnell wirkt es artifiziell, ästhetisiert, glorifiziert. Und wenn Berliner über das Erlebte sagen: „Das kann man keinem erzählen“, dann stimmt das meist auch.

Alles andere als szenefremd

Der erste Schritt in die richtige Richtung wurde auf jeden Fall durch die Besetzung gemacht, einen zeitgenössischen Rave-Film mit Aaron Altaras („Die Zweiflers“) in der Hauptrolle zu besetzen. Der ist im Berliner Nachtleben nicht nur bewandert, sondern hat mit seinem Bruder Leo als „Alcatraz“ selbst in den relevanten Clubs der Stadt aufgelegt, bis er sich von seiner DJ-Existenz verabschiedete, um sich auf seine Schauspielkarriere zu konzentrieren.

Auch der restliche Cast ist alles andere als szenefremd: von Urgesteinen, die die frühen Tage des Technos mitprägten – etwa Hieroglyphic Being, der im Film den Technopionier Troy Porter spielt –, bis hin zu Newcomern wie Lucia Lu und DJ Hyperdrive, die als Roxy J und DJ Megalon auftreten. Spätestens die Rollennamen lassen vermuten, dass die Regieanweisung „Spielt einfach euch selbst“ gelautet haben muss.

Eine Platte soll zu einer DJ-Ikone

Musikalisch begleitet wird „Rave On“ von der Technogröße Ed Davenport. Vom Sound und der Visualität her ist der Film zumindest für Leute, die sich für elektronische Musik und ihre Kultur begeistern können, wirklich ein Erlebnis. Die Musik trifft den Puls der Zeit, und es ist bemerkenswert, wie überzeugend die Räumlichkeiten im RevierSüdOst an den berühmtesten Club der Stadt erinnern, von dessen Innern es ausdrücklich keine Fotos geben soll.

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Der Plot wirkt zunächst fad, wobei beim zweiten Hinschauen vielleicht genau darin das klügste Stilmittel liegt. Es geht um eine einzige Clubnacht, eine Schallplatte soll an eine DJ-Ikone überreicht werden, der Weg jedoch ist mäandernd, die Erzählung verliert sich in Episoden, Zufällen und dubiosen Abzweigungen.

Als verlorene Seele durch die Berliner Nacht

Jeder Film über Raving, der ohne Selbstironie auskommen will, ist zum Scheitern verurteilt. Denn das Berliner Nachtleben ist nun mal grotesk: Alle, so sagen sie, sind „wegen der Musik“ da, doch alle nehmen sie Drogen. Die mentalen und physischen Barrieren, die die Hauptfigur Kosmo davon abhalten, Troy Porter eine Schallplatte zu übergeben, wirken von außen fast lachhaft. Zuerst will der Türsteher ihn schon am Eingang zu seinem eigenen Schutz mit der „Heute nicht“-Guillotine absägen: Kosmo gilt als eine „verlorene Seele“, auf der einen Seite gefeierte Szenegröße, auf der anderen jemand, der einfach zu oft und zu lange da war, als dass es für ihn gesund wäre.

Leider ist zwischen Kosmo und seiner Szene-Bekanntheit etwas Zeit ins Land gegangen, weshalb ihm der Zugang zum Backstage verwehrt bleibt – und das, nachdem er mit der Entschlossenheit eines Ravers über den Zaun geklettert ist, um in den Club zu gelangen. Mittlerweile füllen neue Gesichter den Backstage. Kosmo fühlt sich alt und bestätigt sein Klischee, indem er gemäß der „Früher war alles besser“-Mentalität über den heutigen Techno wettert.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Was immer währt, ist der Absturz in die Drogen. Schuld daran tragen alle, die nicht richtig Nein sagen können, aber auch jene, die kein Nein akzeptieren. Die Sprüche an der Bar, auf dem Floor und den Toiletten kennt jeder Clubgänger. Der Shot, den Kosmo eigentlich gar nicht trinken wollte, endet in einer Ketamin-Überdosis. Die Verharmlosung sowie Überpräsenz harter Drogen im Club ist an manchen Stellen beängstigend, aber leider vollkommen realistisch. Kosmo robbt verzweifelt durch den Darkroom (Ketamin ist eigentlich ein Pferdebetäubungsmittel), vorbei an Körpern mitten im Akt, die ihn kaum bemerken. An manchen Stellen ist der Film zu langatmig. Nüchtern im Kino, wird man zwar von der Musik mitgerissen und elektrisiert von den vibrierenden Tanzszenen, bleibt aber außen vor wie absichtlich stehen gelassen.

Doch genau diese Inhaltsleere und Ungeschöntheit braucht der Film wohl, damit es nicht überspitzt, sondern gut wird. Im Film wird durchweg darüber diskutiert, was Techno ist und was nicht, was Techno darf und was lieber nicht. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Die schönste kommt von Troy Porter, der Techno als kollektives Erleben beschreibt. Wenn der Anspruch war, kollektives Erleben auf die Leinwand zu bringen, dann muss es roh und authentisch passieren. Ohne leinwandreife Handlungsstränge, ohne zu sauber gebaute Dialoge. Diesen Anspruch trägt die Nacht nicht und will ihn auch gar nicht. Am Ende bestätigt sich also der Mythos, von dem immer alle reden: Man muss wohl dabei gewesen sein.