Wie eine Säule ragt Freihams Wohnturm am Mahatma-Gandhi-Platz 65 Meter hoch in den Münchner Himmel – als Wahrzeichen von Europas größtem Neubaugebiet, in dem einmal bis zu 30 000 Menschen leben und rund 15 000 arbeiten sollen. Eine weithin sichtbare Signatur. Dabei ist die Höhe nur das sekundäre Merkmal des Landmarks: Seinen Charme entfaltet das Gebäude direkt am Platz, in Kombination mit den weißen Arkaden, die die Nachbarbauten umsäumen.
„522 Glasfaserbeton-Elemente werden wir bis zum Herbst an der Fassade angebracht haben“, sagt Herbert Hölscher. „Mithilfe von 30 000 Einzelteilen in der Unterkonstruktion.“ Hölscher ist Fassadenbau-Spezialist, seine Firma mit Sitz in Kleve verantwortet die Befestigung der speziellen Säulenelemente, die die Arkaden-Optik des Platzes auf dem Turm widerspiegeln. Jeden Tag montieren Hölschers Leute vier der großen Elemente am Hochhaus. Das schwerste Fassadenteil wiegt 1,6 Tonnen: Es wird, dank ausgeklügelter Statik, von lediglich zwei Konsolen getragen. Sechs weitere halten es in Position.
Einige der weiß schimmernden Riesen lagern aktuell am Fuße des Gebäudes, ein weiteres Depot befindet sich ein paar hundert Meter weiter nördlich der Bodenseestraße. Die Fertigung der Fassadenelemente übernimmt – händisch, Stück für Stück – ein Spezialbetrieb aus Madrid. „Dabei wird der Glasfaserfaden zerkleinert, zusammen mit einer Betonmischung in die vorgefertigte Schalung eingesprüht und anschließend mit der Kelle eingearbeitet, sodass in mehreren Arbeitsschritten eine Wandstärke von rund 25 Millimetern entsteht“, erklärt Projektleiter Julian Dreuw vom Bauträger Buwog. „Das Prinzip des seriellen Bauens lässt sich damit nicht verfolgen.“
In Deutschland, betonen Hölscher und Dreuw, gebe es kein Unternehmen, das diese Art der Steinherstellung in solch einem Ausmaß beherrsche. Anfangs hatte man die Fassadenelemente noch aus Naturstein kreieren wollen. Das Gewicht und die fehlende Formbarkeit des Naturmaterials erforderten dann aber eine Alternativlösung.
Zu verdanken ist die Optik des Platzes samt Wohnturm dem Entwurf der Hamburger Architekten Störmer Murphy and Partners. Das Architekturbüro hatte Anfang 2019 den Wettbewerb zur Gestaltung von Freihams urbaner Mitte, genannt „Zam“, gewonnen – zu einer Zeit, als die Baukosten noch deutlich niedriger waren als heute. Das Immobilienunternehmen Vonovia, das vor vier Jahren die Deutsche Wohnen und deren Projekte übernahm, inklusive des Vorhabens in Freihams Zentrum, hielt trotz explodierender Kosten an der Optik fest.
Projektleiter Julian Dreuw betreut die Arbeiten für den Bauträger Buwog. (Foto: Robert Haas)
„Obwohl uns das jetzt ein Vielfaches einer klassischen Wohnungsbaufassade kostet“, wie der Regionalbereichsleiter für Bayern, Robert Stellmach, konstatiert. Stellmach weiß aber auch: ohne Realisierung der städtischen Vorgaben keine Baugenehmigung. Kalkuliert hatte die Vonovia für das „Zam“-Projekt mit einer Investitionssumme unter 300 Millionen Euro, inzwischen liegen die Kosten deutlich darüber.
Die Wohnungen sind mit Eichenparkett und Einbau-Küche ausgestattet
144 Wohnungen samt Alpenblick in den obersten Geschossen entstehen bis zum Herbst in dem 18-stöckigen Hochhaus, 188 weitere in den beiden anderen fünfstöckigen Gebäuden der Vonovia auf dem „Zam“-Areal. Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen, ein Drittel davon barrierearm oder barrierefrei, alle frei finanziert. Durchschnittsmiete: 24,35 Euro pro Quadratmeter. „Das sind keine typischen Vonovia-Wohnungen, bei denen in München der Kalt-Mietpreis bei durchschnittlich 9,62 Euro liegt, den geförderten Wohnraum zu rund einem Drittel mit eingerechnet“, erläutert Stellmachs Münchner Kollegin Janine Venhoff. Die Wohnungen um den Mahatma-Gandhi-Platz sind unter anderem mit Eichenparkett und einer Einbau-Küche ausgestattet. In den niedrigeren Gebäuden sind die ersten Mieter bereits im April eingezogen, Ende des Monats sollen 70 Prozent der Wohnungen belegt sein. „Mehr als 40 Nationalitäten“, meint Stellmach, „haben wir hier“.
Freihams Stadtteilzentrum setzt sich aus vier Baufeldern zusammen, zwei längs der Bodenseestraße gestaltet von der Rosa-Alscher-Gruppe, zwei begonnen vom Projektentwickler Isaria für die Deutsche Wohnen und weitergebaut von der Buwog für die Vonovia. Wie die für Vonovia-Innenhöfe am Ende aussehen werden, lässt sich am Modell Rosa-Alscher ablesen, das bereits realisiert ist. Auch Rosa-Alscher musste infolge allgemeiner Preissteigerungen am Bau, teureren Stroms und den Folgen der Lockdowns während der Corona-Pandemie mehr investieren als geplant: statt 300 letztlich 360 Millionen Euro. Ein Plus von 20 Prozent.
470 Wohnungen sollen einmal auf dem „Zam“-Areal entstehen, dazu Büroflächen und Platz für Einzelhandel und Gastronomie. (Foto: Robert Haas)
470 Wohnungen werden sich einmal auf dem rund 110 000 Quadratmeter großen „Zam“-Areal befinden, vom Single-Apartment bis zur Fünf-Zimmer-Familienwohnung. Dazu rund 19 000 Quadratmeter Bürofläche sowie etwa 27 000 Quadratmeter für den Einzelhandel und die Gastronomie. Eine Tiefgarage mit 1000 Parkplätzen sorgt dafür, dass nicht in den umliegenden Wohnstraßen geparkt werden muss.
Der Platz soll gleichermaßen Marktplatz und Treffpunkt sein
Das Herz Freihams ist offen konzipiert: Es soll gleichermaßen lebendiger Marktplatz, attraktiver Treffpunkt und Flaniermeile sein. Das Waren- und Dienstleistungsangebot der Einkaufsmeile entspricht zwar dem einer Shopping-Mall. Aber die Eingänge zu den Läden liegen, nach dem Vorbild innerstädtischer Einkaufszonen, an Straßen und Plätzen, um den öffentlichen Raum zu beleben. Mit großzügigen Schaufensterfronten und den prägenden Arkaden vor den Gebäuden. „Offenes Einkaufen“ nennt das die Stadt. Schon heute gibt es die Nahversorger Tegut, Lidl, Rewe, die Metzgerei Vinzenzmurr und die Bäckereien Müller sowie die Brotmanufaktur Schmidt. Einziehen wird außerdem noch der Discounter Aldi. Diverse Bekleidungsgeschäfte und ein Schuhladen sind ebenfalls bereits an Ort und Stelle, ebenso Woolworth, ein Spielwarengeschäft, eine Apotheke, Handy-Läden, ein Friseur und zahlreiche gastronomische Angebote. Ein Italiener und das vegane Restaurant Katzentempel, das nicht nur Gastronomie, sondern auch Katzendomizil ist, sollen im Herbst eröffnen. Die Stadtsparkasse, ein Fitness-Studio und die Münchner Volkshochschule folgen noch.
Auf sich warten lässt aber noch die endgültige Platzgestaltung. Die momentane ist ein Provisorium, denn zwei Entscheidungen stehen noch aus: Weder ist klar, wie eine von Norden von der Aubinger Allee kommende Tram durch das Stadtteilzentrum zum S-Bahn-Halt Freiham geführt werden soll, noch steht das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie zur Querung des Fuß-, Rad-, Bus- und möglicherweise auch Tramverkehrs über die Bodenseestraße fest. Das Baureferat rechnet daher mit einer „mehrjährigen Nutzung“ des Provisoriums.