„Einfamilienhäuser haben es heute schwer“, sagt Carmen Mundorff, die Geschäftsführerin der Architektenkammer Baden-Württemberg. Ihr Appell an die Kommunen ist deutlich: „Keine neuen Einfamilienhaus-Gebiete mehr ausweisen.“ Die Prioritäten hätten sich verschoben – Wohnraum müsse geschaffen, der Klimawandel bewältigt und zugleich Lebensqualität gesichert werden.

Das zeigt auch der Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen Rems-Murr-Kreis 2018–2025“, bei dem 25 Projekte aus 89 eingereichten Arbeiten ausgezeichnet wurden. Stephan Weber, der Jury-Vorsitzender und Vizepräsident der Kammer, bringt es auf den Punkt: „Architekten sind heute weniger Gestalter schöner Luxusvillen, sondern Problemlöser. Es geht um Alltagsarchitektur – nachhaltig, sozial und zukunftsfähig.“

Holz statt Beton: Architektur zum Wohlfühlen Eines der Projekte, das die neue Richtung exemplarisch zeigt, steht in Remshalden-Buoch. Das in Massivholz errichtete Wohnhaus für eine junge Familie fügt sich zurückhaltend in die Umgebung ein, greift das Motiv einer benachbarten Scheune auf und nutzt das schmale Grundstück optimal. Innen dominiert Holz – warm, duftend, wohnlich. Große Dachgauben holen Licht ins Haus, eine skulpturale Metalltreppe scheint über einem Holzsockel zu schweben. „Man möchte sich dort am liebsten noch auf einen Kaffee dazusetzen“, schwärmt Weber.

Wohnhaus in Massivholzbauweise in Buoch Foto: Martin Bühler

Auch öffentliche Bauten zeigen, wie Holz Atmosphäre schafft: Die neue KiTa Koppelesbach in Winnenden überzeugt mit Lichtbrunnen, Sitznischen und einem nach Süden geneigten Pultdach, das für helle, luftige Räume sorgt. „Ein inspirierender Lernort, der beweist, dass Nachhaltigkeit und Wohlfühlen zusammengehören“, lobt die Jury.

Gemeinschaft statt Einsamkeit: Wohnformen mit Zukunft „Wir bauen immer ein Stück Stadt mit“, sagt Mundorff – und meint damit die soziale Dimension von Architektur. Ein herausragendes Beispiel dafür ist das Mehrgenerationenprojekt „Mittendrin und Nahdran“ in Winnenden. Offene Laubengänge, ein Gemeinschaftsraum mit angrenzendem Außenbereich und ein Gästeappartement laden zum Miteinander ein. Besonders lobt die Jury die Möglichkeit, im Alter in kleinere, betreute Einheiten umzuziehen – ein Konzept, das aktuell sozial Bedürftigen zugutekommt. „Das soziale Miteinander wird hier nicht nur geplant, sondern gelebt“, sagt Weber.

Mehrgenerationenwohnen „Mittendrin und nah dran“ in Winnenden Foto: Markus Guhl

In Backnang beweist das Projekt „Wohnen im Quartier“, dass gemeinschaftliches Bauen auch in kleineren Städten funktioniert. Auf dem Gelände eines ehemaligen Krankenhauses entstand ein Hof, der von zwei klar gegliederten Baukörpern umrahmt wird. Quartiersfeste, ein Gemeinschaftsraum und eine Gästewohnung fördern das Miteinander. „Ein Projekt, das Mut macht, gemeinschaftlich zukunftsfähigen Wohnraum zu schaffen – besonders in einem kleinstädtischen Umfeld“, urteilt die Jury.

Stadtreparatur statt Zersiedelung: Quartiere mit Identität Die Zukunft des Bauens liegt nicht in der Zersiedelung, sondern im intelligenten Umgang mit innerstädtischen Flächen. Ein Musterbeispiel dafür sind die „Kronenhöfe“ in Backnang. Auf einem schwierigen Grundstück entstand ein neues Stadtquartier, das Altstadt und Bahnhof verbindet. Kleine Plätze und öffentliche Durchgänge schaffen Begegnungsräume, Backsteinfassaden und unterschiedliche Dachformen verleihen dem Quartier Identität. Die Jury spricht von „Stadtreparatur“ – ein Begriff, der früher selten im Zusammenhang mit ausgezeichneten Projekten fiel.

Die Kronenhöfe in Backnang Foto: Swen Carlin

Auch der Erweiterungsbau des Landratsamts am Alten Postplatz in Waiblingen zeigt, wie städtische Räume aufgewertet werden können. „Hier wird Nachhaltigkeit nicht nur gebaut, sondern gelebt“, sagt Weber. Der polygonale Neubau mit Photovoltaik-Fassaden, Dachbegrünung und einem Mobilitätskonzept schließt eine städtebauliche Lücke und setzt ein klares Zeichen für nachhaltige Verwaltung.

Weinberge, Holz und Lieblingsplätze: Bauen für alle Sinne Manchmal kann Architektur auch sinnlich sein. Das Weingut Leon Gold in Weinstadt zeigt, wie Weinproduktion, Wohnen und Landschaft verschmelzen können. Das Ensemble schmiegt sich sanft in die Hänge der Weinberge, Terrassen laden zum Verweilen ein. Die Jury bezeichnete es als „kleines Paradies im Remstal“.

Das Weingut Leon Gold in Großheppach Foto: Martin Bühler

Weitere prämierte Projekte wie der Bürgerpark „Grüne Mitte“ in Weinstadt oder die Revitalisierung der Alten Kelter in Miedelsbach beweisen, dass auch Freiräume und Bestandsbauten zur Baukultur beitragen können.

Alltagsarchitektur statt Luxusvillen Neun der 25 prämierten Projekte sind Wohngebäude, viele davon in Baugemeinschaften oder mit sozialem Anspruch. Luxusvillen am Hang, früher oft ausgezeichnet, sind kaum noch vertreten. „Alltagsarchitektur rückt in den Fokus“, sagt Weber. „Es geht um Projekte, die unser tägliches Leben verbessern – und das auf nachhaltige Weise.“

Die ausgezeichneten Projekte sind ab dem 3. Dezember in einer Ausstellung im Landratsamt Waiblingen zu sehen. Sie zeigen eindrucksvoll: Die Zukunft des Bauens liegt nicht im Einfamilienhaus, sondern in cleveren, nachhaltigen und gemeinschaftlichen Konzepten.