Eine Wunde begutachten, Befunde besprechen, ein psychotherapeutisches Gespräch führen oder Krankmeldungen ausstellen: Videosprechstunden werden immer beliebter, mehr Praxen bieten sie an – auch in Bremen und Niedersachsen. Wie Patienten den Schub nutzen können.
Wie oft wird per Video behandelt?
Nach der Pandemie gab es einen Knick, jetzt steigt die Zahl wieder: Für 2024 meldet die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bremen rund 23.450 Videosprechstunden, im Jahr davor waren es 21.300. Am stärksten nutzen Patienten das Angebot in den Erkältungsmonaten in Herbst und Winter. Im vergangenen Jahr fand fast jede dritte Videosprechstunde (7550) in den letzten drei Monaten statt.
Noch deutlicher fällt der Anstieg bundesweit aus: 2,7 Millionen Videosprechstunden und ein Plus von knapp 25 Prozent gegenüber 2023 meldet das Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung. Jede zweite Videosprechstunde (50,1 Prozent) fand bei Hausärzten statt, etwas mehr als jede dritte bei Psychotherapeuten (34,2 Prozent). Im Land Bremen verfügen laut KV insgesamt 680 Ärzte sowie Psychotherapeuten über die Abrechnungsgenehmigung von Videosprechstunden.
Wann sind sie sinnvoll – wo sind die Grenzen?
„Wir nutzen sie etwa für Krankmeldungen“, sagt der Bremer Hausarzt Matthias Juricke. Die Bescheinigung könne umgehend elektronisch verschickt werden. Ein weiterer Schwerpunkt: Wenn sich etwa ein Patient mit akuten Beschwerden melde und einen kurzfristigen Hausbesuch benötige. „Dann fährt eine medizinische Fachangestellte zu dem Patienten, untersucht ihn – und schaltet einen unserer Ärzte oder Ärztinnen dazu“, so Juricke. „Bei Hausbesuchen ist das schon eine deutliche Entlastung. Auch die Patienten sind sehr zufrieden, weil wir dadurch kurzfristig reagieren können.“
Bei sogenannten Blickdiagnosen wie Wunden könne man zum Teil sehr gut per Video entscheiden und eine Behandlung einleiten. „Sind tiefergehende Untersuchungen oder eine Diagnostik mit Geräten notwendig, ist das nur in der Praxis möglich.“ Grenzen gebe es auch bei der Neuverordnung von Medikamenten. Videosprechstunden seien ein ergänzendes Angebot. Wie bei dem Bremer Hausarzt werden Termine meist über die Praxis-Internetseiten vereinbart: „Mehrere Tage im Voraus oder auch kurzfristig, im hausärztlichen Bereich ist der Anlass oft akut“, so Juricke. „Das kann innerhalb von ein bis zwei Stunden sein, hängt aber immer an den Kapazitäten.“
Sind Videosprechstunden ein Instrument gegen den Ärztemangel?
Durch den richtigen Einsatz könnten Ärzte mehr Patienten in kürzerer Zeit behandeln, betont die KV Bremen. Überfüllte Praxen könnten entlastet werden. Insbesondere Patienten mit eingeschränkter Mobilität könnten einfacher Hilfe erhalten, auch Berufstätige hätten mehr Flexibilität. Aber: Dass Videosprechstunden den Nachwuchsmangel voll ausgleichen könnten, sehe die KV nicht. In Bremen sei bereits mehr als jeder dritte Arzt und Psychotherapeut älter als 60 Jahre.
Die Techniker Krankenkasse (TK) fordert eine Ausweitung der Telemedizin – in Form einer „digitalgestützten Ersteinschätzung des medizinischen Anliegens, noch bevor ein Arzttermin vereinbart wird“. Um gesundheitliche Probleme schneller einzuordnen und einen geeigneten Behandlungspfad zu empfehlen. „Je nach medizinischem Bedarf kann das etwa ein Termin in der Arztpraxis oder eine telemedizinisches Angebot sein“, heißt es.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst in Niedersachsen setzt neuerdings auch auf Videosprechstunden. Wie läuft das?
Wer in Niedersachsen die 116 117 wählt, wird innerhalb von 30 Minuten per Videoanruf oder Telefon mit einem Telemediziner verbunden, sofern dies die Ersteinschätzung der Symptome ergibt. Erst wenn der Arzt einen Hausbesuch für notwendig erachtet, wird ein medizinischer Fahrdienst losgeschickt. Ergebnis nach der Testphase: In drei von vier Fällen habe der Telemediziner abschließend helfen können – die Zahl der Hausbesuche habe sich so von 3400 auf etwa 950 pro Woche reduziert, so die KV Niedersachsen. Auch in Bremen soll die Videosprechstunde im Notdienst aufgegriffen werden, die KV will dafür auf die bundesweite Notfallreform warten.
Wie finden Patienten eine Arztpraxis mit Videosprechstunden?
Eine Liste gibt es nicht. Patienten können per Internet-Suchmaschine fündig werden, seit Ende 2019 dürfen Ärzte Videosprechstunden aktiv bewerben. Auch viele Krankenkassen bieten Versicherten Videosprechstunden oder telefonische Beratung durch Ärzte an.