„Niemand versteht wirklich, warum jemand stottert. Und das gilt für die meisten Pathologien von Sprechen und Sprache“, sagt Jennifer Below Direktorin des Vanderbilt Genetics Institute in Nashville/Tennesee. „Sie sind stark unterforscht, weil sie die Menschen nicht ins Krankenhaus bringen. Aber sie können enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen haben“, so Below, Hauptautorin der Genetik-Studie, die soeben im Fachmagazin „Nature Genetics“ erschienen ist.

Oft in frühkindlicher Entwicklung

Am meisten verbreitet ist Stottern in der kindlichen Entwicklung. Typischerweise tritt es bei Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren auf. Etwa 80 Prozent von ihnen genesen spontan, mit oder ohne Sprachtherapie. Zu Beginn betrifft Stottern etwa gleich viele Buben und Mädchen, unter Jugendlichen und Erwachsenen ist es beim männlichen Geschlecht aber deutlich häufiger. Deshalb untersuchten die Fachleute speziell geschlechtsspezifische Teile des Erbguts.

Below und die Sprachpathologin Shelly Jo Kraft von der Wayne State University begannen vor mehr als zwei Jahrzehnten, die Genetik des Stotterns zu erforschen. In Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen auf der ganzen Welt sammelte Kraft Blut- und Speichelproben für genetische Studien von mehr als 1.800 Menschen, die im Rahmen des International Stuttering Project gesammelt wurden. Aber das Projekt hatte nicht genug Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um eine groß angelegte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) zu unterstützen.

Mit Hilfe des US-Biotechunternehmens 23andMe ist das nun gelungen. Insgesamt standen nun Daten von knapp 100.000 stotternden Menschen und einer Kontrollgruppe von einer Million Menschen zur Verfügung.

Hängt mit Rhythmusgefühl zusammen

Die Gruppe um Below identifizierte 57 Genorte auf 48 Genen, die mit einem Risiko für die Störung des Redeflusses in Verbindung stehen. Den stärksten Zusammenhang gab es bei dem Gen VRK2, dessen Varianten u.a. mit Epilepsie, dem Sprachabbau bei Menschen mit Alzheimer sowie der Fähigkeit, im Takt zu klatschen, in Verbindung steht.

„Historisch gesehen haben wir Musikalität, Sprache und Sprachfähigkeit als drei getrennte Einheiten betrachtet. Aber unsere Studien deuten darauf hin, dass es eine gemeinsame genetische Grundlage gibt“, sagt Below. Sie weisen damit in eine Richtung, dass Rhythmusprobleme dem Stottern zugrunde liegen könnten.

„In meiner Arbeit haben wir Beweise sowohl im Verhalten als auch durch Gehirnbilder gesammelt, die auf einen Mangel bei der Rhythmusverarbeitung bei stotternden Sprechern hinweisen“, ergänzt Soo-Eun Chang, ein Sprachneurophysiologe an der University of Michigan, gegenüber dem Fachmagazin „Science“.

Stigma zerstreuen

Die anderen nun identifizierten „Stottergene“ waren in der Vergangenheit mit einer Reihe von neurologischen und mentalen Krankheiten in Verbindung gebracht worden, darunter Autismus und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

„Es gibt viele unbeantwortete Fragen zum Stottern, und als jemand, der persönlich betroffen ist, wollte ich zu diesem Forschungsgebiet beitragen“, sagt Dillon Pruett, ein Mitautor der Studie. „Unsere Studie hat gezeigt, dass es viele Gene gibt, die zum Stottern-Risiko beitragen, und wir hoffen, dieses Wissen zu nutzen, um das Stigma im Zusammenhang mit Stottern zu zerstreuen und in Zukunft neue therapeutische Ansätze zu entwickeln.“