Der Borstenwurm im Karlsruher Meerwasseraquarium gibt den Wissenschaftlern weiter Rätsel auf. Womöglich hat er sich selbst und mit Absicht von seinem Hinterleib getrennt.

Er hält Wissenschaftler und die Öffentlichkeit gleichermaßen in Atem: der Borstenwurm im Meerwasseraquarium des Karlsruher Naturkundemuseums. Schritt für Schritt kommen die Wissenschaftler dem Phantom näher – mit neuen Erkenntnissen und einer neuen Theorie: Laut der könnte der Ringelwurm seinen Hinterleib selbst abgeworfen haben.

Wissenschaftler: Wurm hat sich möglicherweise selbst entleibt

Wurmexperte Markus Böggemann aus Vechta erklärt das folgendermaßen: Im Falle des Karlsruher Borstenwurms könnte es sich um einen Notfall gehandelt haben. Denn bei genauer Betrachtung des abgeworfenen Hinterteils hat man dort im Darm eine Gräte entdeckt – und zwar unmittelbar nach der Trennstelle. Der Wurm hatte also einen Fisch gefressen.

Weiter stellte sich heraus, dass es sich um den Strahl einer Rückenflosse eines Wolfbarsches gehandelt hat. Die Gräte hatte sich wahrscheinlich quergestellt und drohte den Darm des Wurms aufzuschlitzen. Quasi als letzte Rettung trennte sich der Wurm von seinem Hinterleib und der wurde dann im Aquarium des Naturkundemuseums gefunden. Solche Praktiken seien in der Wurmwelt nicht neu, dienten jedoch zumeist der Fortpflanzung, so der Wissenschaftler.

Die Bissspuren an der Koralle

Die Bissspuren an der Koralle stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit vom vermissten Borstenwurm.

DNA-Spuren des Borstenwurms deuten auf eine unbekannte Art hin

Weiter fand Wurmspezialist Markus Böggemann heraus, dass es sich bei dem Karlsruher Borstenwurm um eine bislang noch unbekannte Art handeln muss. Die untersuchten DNA-Spuren passen jedenfalls zu keinem lebenden, bekannten Tier. Nur so viel: Rein genetisch muss es sich um einen nahen Verwandten des berüchtigten Bobbitwurms handeln.

Und der Fund wirft immer noch mehr Fragen auf, als er beantworteten konnte: Wie groß war das Tier ursprünglich? Wie viel vom Körper fehlt? Wovon hat es sich ernährt? Wieso ist es aufgetaucht? Und hat der „Kopf“ überlebt? Mit all diesen Fragen beschäftigt sich der Wurmspezialist aus Vechta. Über seine Forschungsergebnisse wird der Professor aus Vechta am Montagabend um 18.30 Uhr im Karlsruher Naturkundemuseum referieren. Der Vortrag ist öffentlich und kostenlos.

Ein Teil eines meterlangen Borstenwurms wurde Anfang April im Karlsruher Meerwasseraquarium im Naturkundemuseum gefunden.

Ein Teil eines meterlangen Borstenwurms wurde Anfang April im Karlsruher Meerwasseraquarium im Naturkundemuseum gefunden.

Kirchhauser ist dem Wurm seit Jahren auf der Spur

Der Chef des Vivariums im Karlsruher Naturkundemuseum, Hannes Kirchhauser, ist dem unbekannten Tier seit Jahren auf der Spur. Aber nur zwei Mal in zehn Jahren bekam er überhaupt nur einen Schatten des scheuen und nachtaktiven Wesens zu Gesicht. Erst dieses Frühjahr spielte ihm der Zufall in die Hände, als er das etwa 1,5 Meter lange Hinterteil des Wurmes auf dem Beckenboden seines Aquariums fand.

Unterdessen geht die Jagd nach dem Vorderteil des Ringelwurms weiter: Hannes Kirchhauser würde das Tier gerne fangen. Für Aquarianer wie ihn sind solche Würmer eher Parasiten. Immerhin hat der Wurm seine Korallen angefressen. Eine Wurmfalle, die er in Kroatien am Mittelmeer gefunden hatte, darf er allerdings auch nicht zum Einsatz bringen. Der Direktor des Museums, Martin Husemann, möchte den Wurm vielmehr möglichst am Leben erhalten.

SWR-Wissenschaftsredaktion unterstützt Jagd nach dem Wurm

Dafür bekommt Hannes Kirchhauser Unterstützung von der SWR-Wissenschaftsredaktion. Weil es bisher noch nie gelungen ist, den Wurm abzubilden, hat die Redaktion ein Experiment gestartet. Mit zwei extrem lichtempfindlichen Kameras versucht sie aktuell, den Wurm vor die Linse zu bekommen. Dazu wurden die Kameras in der vergangenen Woche eine ganze Nacht lang auf eine bestimmte Koralle gerichtet, die der Wurm in der Vergangenheit immer wieder angefressen hatte. In der ersten Nacht verlief das Experiment ergebnislos. Diese Woche soll ein weiterer Versuch folgen.

Als Wissenschaftsjournalisten sind wir per se furchtbar neugierig. Und als ich davon gehört habe, dass sich hier diese Geschichte abspielt, war einfach die nächste Frage: Ist schon jemand dabei, über Nacht zu schauen, was hier passiert? Jetzt stehen wir hier und probieren es aus.

Für Hannes Kirchhauser ist es vielleicht die Chance, dem scheuen Wesen doch noch auf die Spur zu kommen. Im September wird er das Museum verlassen. Bevor er in Rente geht, wäre es ein Herzenswunsch, das unbekannte Tier noch ausfindig zu machen.