Die USA sollen Atomwaffen nach Großbritannien verlegt haben. Damit untermauern sie ihre „besondere Partnerschaft“, sagt Geopolitik-Experte Klemens Fischer. Er spricht auch von einer „völligen Neuorientierung der globalen Bedrohungslage“.
Es waren Berichte, die für Aufruhr sorgten. Offenbar brachte ein US-Militärflugzeug vom Typ C-17 Mitte Juli Wasserstoffbomben vom Typ B61-12 von der US-Basis Kirtland Air Force im Bundesstaat New Mexico zum britischen Luftwaffenstützpunkt Lakenheath.
Die USA haben also – möglicherweise zum ersten Mal seit vielen Jahren – wieder Atomwaffen nach Großbritannien verlegt. „Sicherheitspolitik basiert zu einem wesentlichen Teil auf glaubwürdiger Abschreckung“, sagt Klemens Fischer im Gespräch mit FOCUS online zu den Gerüchten.
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Er arbeitet als Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln. Bis 2023 war Fischer außerdem Teil der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel.
„Leak der Flugroute spricht dafür, dass die Verlegung real ist“
Bisher gibt es weder handfeste Beweise noch Dementi für die Verlegung der US-Atomwaffen nach Großbritannien. Verwunderlich ist das nicht. Die USA und andere Nato-Staaten machen grundsätzlich keine offiziellen Angaben darüber, wo sie ihre Atomwaffen positionieren.
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Allerdings mehren sich Hinweise, dass die Berichte, die in US-amerikanischen und britischen Medien kursieren, zutreffen. „Das Leak der Flugroute spricht beispielsweise sehr stark dafür, dass die Verlegung real ist“, sagt Fischer.
Dazu kommt, dass die britische Regierung im Juni offiziell den Kauf von speziellen F-35-Kampfflugzeugen aus US-Produktion angekündigt hat. Diese sind in der Lage, sogenannte taktische Atomwaffen zu transportieren. Am Stützpunkt RAF Lakenheath waren außerdem schon während des Kalten Krieges US-Atomwaffen stationiert.
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Montag, 28.07.2025 | 16:18Fischer sieht „völlige Neuorientierung der globalen Bedrohungslage“
„Die Wahrscheinlichkeit ist entscheidend, nicht der Beweis“, sagt Fischer. Grundsätzlich zeigen die USA und Großbritannien mit der Aktion in seinen Augen, „dass die besondere Partnerschaft, die Churchill beschworen hatte, weiter existiert“.
Sollte US-Präsident Donald Trump sich wirklich dazu entschlossen haben, Atomwaffen in Großbritannien zu stationieren, macht er damit auch deutlich, wem er in Europa vertraut, so der Geopolitik-Professor.
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Fischer spricht darüber hinaus von einer „völligen Neuorientierung der globalen Bedrohungslage“. „Europa fürchtet weitere imperiale Initiativen Russlands, ist sich aber der eigenen Schwäche bewusst. Die USA wollen ihren Fokus in den Indo-Pazifik verlegen“, sagt er.
Die weltweite Sicherheitslage ist ihm zufolge prekärer als irgendwann sonst in den vergangenen 40 Jahren. „In Zentralasien stehen sich Russland und Aserbaidschan in Wartehaltung militärisch gegenüber, im Südosten Zentralasiens steigen die Spannungen zwischen Indien und Pakistan sowie zwischen Indien und China“, sagt Fischer.
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Dann seien da noch die Kampfhandlungen zwischen Kambodscha und Thailand, der Taiwan-Konflikt, der Ukraine-Krieg und die brutalen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Doch sei die Verlegung der US-Atomwaffen nach Europa trotzdem „keine Reaktion auf diese konkreten Entwicklungen“, so der Experte.
ANZEIGEPrinzip aus dem Kalten Krieg wird reaktiviert
Vielmehr sieht Fischer darin eine „vorausschauende Handlung, die darauf abzielt, das im Kalten Krieg zur Perfektion entwickelte Prinzip der Abschreckung wieder zu aktivieren“. Generell warnt er davor, den US-Präsidenten zu unterschätzen.
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Kritiker werfen Trump immer wieder vor, irrational und impulsiv Entscheidungen zu treffen. Ihn nicht ernst zu nehmen, sei „aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus unverantwortlich“, sagt der Geopolitik-Experte.
Denn: „Er übt ein Amt mit nahezu unbeschränkter militärischer Macht aus. Sympathie darf hier keine Rolle spielen.“ Trump, so beschreibt es Fischer, agiert ganz im Sinne des klassischen Realismus und tritt machtpolitisch auf.
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„Ziel ist es, den Status der USA als Atom- und Hegemonialmacht vorzuführen und zu festigen. Der Zeitpunkt ist wohl bewusst gewählt. Das Signal geht sowohl nach Russland als auch nach Europa und bedeutet, dass die USA im Ernstfall zu ihrer Bündnisverpflichtung stehen.“ Trump würde nach dieser Lesart also vorausschauend und rational handeln. Und eben nicht aus einer Laune heraus, wie es ihm so häufig unterstellt wird.
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Kreml reagiert verärgert auf Atomwaffen-Berichte
Russland zeigte sich indes verärgert hinsichtlich der Berichte über die potenzielle Verlegung von US-Atomwaffen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte vor einigen Tagen: „Wir sehen eine Tendenz zur Eskalation, zur Militarisierung, auch im nuklearen Bereich.“
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Weiter hieß es, man werde die Lage beobachten und alles Nötige tun, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. „Russland musste reagieren, ansonsten verliert es den eigenen Anspruch als Atom- und Hegemonialmacht“, sagt Fischer.
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Atomwaffen in Großbritannien zu stationieren, sei für Moskau trotzdem deutlich akzeptabler als beispielsweise in Polen. „Das wäre eine ganz andere Dimension gewesen“, meint der Geopolitik-Professor.
Größere Sorgen machen den Experten unsteuerbare Konflikte
Insgesamt sind es aber nicht die etablierten Großmächte, die Fischer mit Blick auf die weltpolitische Lage am meisten Sorge bereiten. Denn die sind sich der Spielregeln bewusst, sagt er.
Beunruhigt schaut der Professor eher auf „diejenigen Staaten, die entweder darauf bauen, dass man ihnen zu Hilfe eilt, wenn ihre Provokationen einen massiven Gegenschlag nach sich ziehen, oder aber die aus religiös-kulturellen Gründen handeln“.
Denn: Aus Stellvertreterkriegen könnten unsteuerbare Konflikte entstehen, die auch Großmächte mit einbeziehen. „Die etablierten Mächte wären daher wohl beraten, ihre Satelliten-Staaten eng zu führen, um eine ungewollte Eskalation zu vermeiden. Und daran zweifle ich gelegentlich.“