Zweilagiges Wolframselenid als Testobjekt
Für ihr Experiment nutzten Huang, Erstautor Yichaoe Zhang und ihr Team zwei einlagige Wolframselenid-Schichten (WSe2), die im Winkel von 1,7 Grad aufeinanderlagen. „Im ersten Schritt untersuchten wir diese Probe mittels Dunkelfeld-Transmissions-Elektronenmikroskopie, um die Moiré-Struktur zu lokalisieren“, erklären die Physiker. Dann nutzten sie die Elektronen-Ptychografie, um die Vibrationsmuster der einzelnen Atome anhand ihrer Form und Größe sichtbar zu machen.
„Wir erreichen damit eine so hohe Auflösung, dass wir sehen können, wie die Vibrationen die Atome verschwimmen lassen“, erklärt Huang. „Diese Bewegungen sind winzig, aber durch diese Methode können wir uns jedes einzelne Atom ansehen und feststellen, wie stark es sich durch Wärme bewegt.“
In dieser Ptychografie-Aufnahme wurden die Atome je nach Stärke ihrer Wärmeschwingungen eingefärbt. Orange kennzeichnet stärkere Vibration, bläu schwächere. Die Häufung der orangefarbenen Punkte enthüllt eine Phason-Gitterschwingung.© Yichao Zhang und Pinshane Huang
Bewegungen von tausendstel Nanometern
Und tatsächlich: Die Ptychografie machte die Bewegungen einzelner Wolfram-Atome und das Ausmaß ihrer Wärmeschwingungen sichtbar. Erkennen ließ sich dies an der Form und Unschärfe der einzelnen Atome in den resultierenden Bildern. Diesen Daten zufolge schwingen die Wolfram-Atome im zweilagigen Wolframselenid bei Raumtemperatur je nach Position um 5,8 bis 6,8 Pikometer – das entspricht 0,0058 bis 0,0068 Nanometern.
„Damit haben wir jetzt quasi die Geheimsprache der Atombewegungen dekodiert“, sagt Zhang. „Die Elektronenptychografie zeigt uns erstmals diese subtilen Vibrationen direkt.“ Die direkte Messung solcher atomaren Wärmeschwingungen ist ein großer Fortschritt für die Mikroskopie im Bereich des Allerkleinsten. “Wenn wir uns ein Atom nach dem anderen anschauen und messen, wie ihre Vibrationen auf Wärme reagieren, gibt uns dies fundamentale Einblicke“, sagt Huang.
Die neue Methode könnte aber auch ganz praktischen Nutzen haben und beispielsweise dabei helfen, die thermischen Eigenschaften von Materialien gezielt zu verbessern.
Erster experimenteller Nachweis von Phasonen
Die Aufnahmen enthüllten auch, dass sich das Ausmaß der Atomschwingungen je nach Position im Materialgitter unterscheidet. Dadurch entstehen übergeordnete Schwingungsmuster, die den zuvor theoretisch postulierten Phasonen solcher 2D-Materialien entsprechen. „Unser Experiment zeigt, dass Phasonen die thermischen Vibrationen der Moiré-Strukuren dominieren“, schreiben die Physiker.
Dies liefert den experimentellen Beleg für diese bisher hypothetische Klasse von Gitterschwingungen. Huang und sein Team haben demnach erstmals die Phasonen eines 2D-Moiré-Materials direkt sichtbar gemacht. „Diese Ergebnisse repräsentieren einen vielversprechenden Weg, um thermische Schwingungen in atomarer Auflösung abzubilden – und eröffnet uns die Chance, den bisher verborgenen Zweig der Moiré-Phonon-Physik experimentell zu erforschen“ , konstatieren die Physiker. (Science, 2025; doi: 10.1126/science.adw7751)
Quelle: University of Illinois, University of Maryland
29. Juli 2025
– Nadja Podbregar