Frankreich nimmt das Essen ernst, schon in der Schule. Mit langen Mittagspausen, festen Regeln und strukturierten Mahlzeiten wird Esskultur vermittelt – auch wenn die Jugendlichen bei McDonald’s Schlange stehen.

Bon appétit! Austern und Weisswein, das geht in Frankreich immer. Bon appétit! Austern und Weisswein, das geht in Frankreich immer.

Anton Dobrea / Imago

Wer in diesen Tagen durch Frankreich reist, dürfte vielerorts an José Bové erinnert werden. Das war der Bauernführer mit dem Asterix-Schnauz, der vor 26 Jahren ein McDonald’s-Restaurant mit seinem Traktor zu Kleinholz machte. Der Mann tat das, um gegen amerikanischen Kulturimperialismus und industrielles Billigessen zu protestieren. Die Leute liebten ihn dafür. Doch dem goldenen «M» kann sich heute niemand mehr entziehen. Über 1600 McDonald’s-Filialen gibt es inzwischen im Land, und jeder zweite Franzose in der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen soll dort mindestens einmal im Monat essen.

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Vergeblicher Kampf gegen die «malbouffe»

Seinen Kampf gegen die «malbouffe» hat Bové also verloren. Oder auch nicht? Vielleicht ist Frankreich einfach ein sehr ambivalentes Land. Ein Land, das Junk-Food liebt und gleichzeitig seine traditionelle Küche zelebriert. In den Schulkantinen jedenfalls fällt auf, dass immer noch mehrgängige Menus mit Gemüse, Fleisch oder Fisch, Obst und Käse serviert werden. Softdrinks sind dort tabu, Snack-Automaten sind aus den meisten Schulen verbannt. Für das Mittagessen steht in der Regel eine Stunde, manchmal sogar eineinhalb Stunden zur Verfügung. Idealerweise nehmen die Schüler dann nicht bloss Nahrung zu sich, sondern sitzen gemeinsam an einem Tisch und unterhalten sich.

Ein absolutes No-Go an der Schule ist es, sich in den Gängen oder Klassenzimmern eine Zwischenmahlzeit zu genehmigen, und sei es nur ein Müesli-Riegel. Das ist auch Teil der Esskultur, die Wert darauf legt, dass gegessen wird, wenn gegessen wird, und nicht beiläufig im Vorübergehen. Natürlich kommt es vor, dass das Kantinenessen lieblos zubereitet wird oder der Menuplan über Wochen nicht variiert, dann schreiben Eltern Beschwerdebriefe oder gleich Petitionen. Es stehen auch nicht immer Bressehühner oder Bœuf bourguignon auf dem Speiseplan. Aber alles in allem funktioniert das System. Im Unterschied zu Deutschland oder der Schweiz, wo das Mittagessen oft ausgelagert wird oder zur Nebensache wird, bleibt es in Frankreich fester Bestandteil des schulischen Alltags. Und diese Prägung zeigt Wirkung.

Coffee-to-go ist No-Go

Im französischen Strassenbild sieht man sie jedenfalls seltener: Menschen, die im Gehen schnell noch ein Mayonnaise-Sandwich aus der Plastikverpackung ziehen oder mit einem Coffee-to-go durch die Metrogänge eilen. Oder Eltern, die ihren Kleinkindern im Buggy hastig ein Brötchen zustecken, damit es unterwegs ja keinen Aufstand gibt. Sich zum Essen hinzusetzen und sich dabei Zeit zu lassen, ist nach wie vor die Norm. Laut einer OECD-Studie verbringen die Franzosen täglich 133 Minuten mit Essen – mehr als jede andere westliche Nation. In Deutschland sind es 95, in den USA 62 Minuten.

José Bové findet übrigens nicht, dass er den Kampf gegen schlechtes Essen grundsätzlich verloren habe. McDonald’s, sagte er in einem Interview mit «Le Point» vor einigen Jahren, habe sich anpassen müssen, mit besseren Standards und regionalen Produkten. Und vielleicht solle man auch nicht zu streng sein mit den Jugendlichen. Die empfänden «McDo» als eine Art rebellischen Gegenraum, wo man mit den Händen essen dürfe, laut sein könne und sich nicht erklären müsse. Der Burger, meint Bové, sei für viele vor allem ein Ausbruch – kein Bruch mit der Esskultur, mit der sie aufgewachsen seien. Viele von ihnen sässen spätestens am Wochenende wieder mit der Familie am Tisch.