Die Bundesrepublik hat eine historische Verpflichtung, auf der Seite des Judenstaats zu stehen. Das Bewusstsein dafür schwindet. Der Ton gegenüber Israel ist an der Grenze des Erträglichen.
Proisraelische Demonstration im Jahr 2024 vor dem Brandenburger Tor.
Stefan Zeitz / Future Image / Imago
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Der Ton in Deutschland gegenüber Israel hat sich verändert. Mehr oder weniger direkt wirft man dem Judenstaat vor, das zu verüben, was letztlich zu seiner Gründung führte: Grausamkeit, Terror, Genozid. «Gaza, ein Verbrechen» steht auf der aktuellen Titelseite des «Spiegels».
Im Heft wird über einen Aufstand im Aussenministerium berichtet. 130 Diplomaten sollen sich dort zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, deren Zweck recht undiplomatisch klingt: Sie wollen offenbar Deutschlands Nahostpolitik umkrempeln und stellen die Solidarität mit Israel infrage. Aussenminister Johann Wadephul hatte in dem Zusammenhang vor einer «Zwangssolidarität» gewarnt. Später distanzierte er sich von dem Begriff.
Solche Peinlichkeiten sind von Kanzler Friedrich Merz nicht bekannt, doch auch sein Ton gegenüber Israel hat sich verschärft. Am heutigen Dienstag empfängt er den jordanischen König Abdallah II. in Berlin. Der Nahostkonflikt dürfte dabei das zentrale Thema sein. Deutschland will gemeinsam mit Jordanien eine Luftbrücke einrichten, um Hilfsgüter für die Palästinenser einzufliegen.
Amnesty International auf Abwegen
Ebenfalls in der deutschen Hauptstadt findet am Dienstag eine Pressekonferenz statt, zu der Organisationen wie Amnesty International einladen. Es geht um «Gaza» – der Kampfbegriff all derer, die den Konflikt auf die schreckliche Situation im Gazastreifen verkürzen. Wenn überhaupt, erwähnen sie nur am Rande, dass die islamistische Terrorgruppe Hamas den jetzigen Krieg mit Israel begann. Am 7. Oktober 2023 ermordete sie 1200 Menschen auf bestialische Art und Weise.
Im Jahresbericht von Amnesty International wird das Massaker nicht als solches benannt. Stattdessen wirft man Israel «Völkermord» an den Palästinensern vor. Auch an der Pressekonferenz vertreten ist die Organisation Medico International, die offenbar die Diplomaten im Aussenministerium inspiriert. Laut dem «Spiegel» hängen dort an manchen Büros israelkritische Plakate und Postkarten von Medico International.
Es ist der aktivistische Ungeist, den auch die ehemalige grüne Aussenministerin Annalena Baerbock pflegte. Moralische Belehrungen anderer Staaten waren ihr Spezialgebiet. Israel blieb nicht davon verschont.
Merkels Ex-Berater irrt
Viele tote Zivilisten, wenig strategischer Weitblick: Es gibt Gründe, Israels Krieg gegen die Hamas kritisch zu sehen. Die Frage ist nur, ob gerade deutschen Politikern hier nicht etwas Zurückhaltung gut stünde. Manch einer scheint das zu ahnen. Die Israelkritik wird deshalb gerne so begründet, wie es Christoph Heusgen am Montag im Deutschlandfunk tat. Der ehemalige aussenpolitische Berater von Angela Merkel behauptete, die Deutschen müssten sich, gerade wegen «unserer Geschichte», dafür einsetzen, internationales Recht zu wahren.
Die deutsche Geschichte ist allerdings exakt der Grund, weshalb Israel in der heutigen Form existiert. Dieser Staat ist das Versprechen, dass es keinen zweiten Holocaust geben wird. Die Regierung in Berlin trägt die historische Verantwortung, den Judenstaat zu unterstützen – weil der Holocaust zwangsläufig das bilaterale Verhältnis definiert. Israel braucht Deutschland, Israel braucht aber keine Belehrungen aus Deutschland.